Gefahrenabwehr

Contra: Erhöhtes Brandrisiko ist umstritten

© Bundespolizei-Fliegerstaffel Fuhlendorf
Belegbar erhöhtes Brandrisiko

Das erhöhte Brandrisiko von brennbaren Baustoffen, das gilt nicht nur für Polystyrole, ist belegbar. Das Umweltschutzthema der Entsorgung und die Energiebilanz der Herstellung sprechen auch gegen dieses Material. Nur auf Druck der Lobby wurde die Einstufung als Sondermüll vor wenigen Monaten zurückgenommen.

Es stellt sich die Frage: „Wer streitet?“

Zwar ist das Thema umstritten. Aber es ist die Frage zu stellen „Wer streitet?“ Auf der einen Seite die Lobby der Hersteller, die ein nicht von der Hand zu weisendes Interesse an den Umsätzen hat.

Zum anderen Brandschutzfachleute wie Prof. Ries, Chef der Frankfurter Feuerwehr, der sogar ein Portal mit Fallbeispielen füllt und andere Feuerwehrexperten (Berlin, Hamburg, Braunschweig etc.). Alles Fachleute, die mit Styroporbränden zu kämpfen hatten oder haben. Sie alle haben keine wirtschaftlichen Interessen und greifen die Labor-Tests an, mit denen die Hersteller die bauartliche Zulassung erhalten haben. Die Tests spiegeln in keiner Weise das praktische Brandverhalten in der Anwendung wider. Es sagt keiner der Befürworter von polystyrolbasierten Dämmungen, dass das Material in den meisten europäischen Ländern für Fassaden gar nicht verwendet werden darf. Vor diesem Hintergrund ist dem Beitrag „Erhöhtes Brandrisiko ist umstritten“ vom 16.10.2017 in den folgenden Punkten nicht zuzustimmen:

Folgende Punkte belegen ein erhöhtes Brandrisiko

1. Es ist unsachlich, die Zahl der Toten als Argument anzuführen. In der Sicherheitsplanung geht man von Gefährdung, Risiko und Schutzziel aus, wenn man systematisch arbeitet. Schutzziel sind in erster Linie Menschen und in zweiter Linie Werte.

 

2.Im Zusammenhang mit dem Londoner Unglücksfall wird z. B. von einem Berufsverband gefordert, dass alle direkt an Gebäuden stehenden Fahrzeuge (mind. nichtbrennbar) eingehaust werden sollen.“

Brandlasten – so ist die Regel, sollen immer > 6m vom gefährdeten Objekt sein. Feuerüberschlagsgefahren geben immer Abstände vor, erzwingen sie und resultieren aus Branderfahrungen. Die baurechtlich vorgeschriebenen Brandriegel alle zwei Etagen machen deutlich, dass auch die Schöpfer dieser Vorschrift von der Brennbarkeit dieser Fassaden ausgehen. 

 

3.Mit Abwägung, Gefährdungsbeurteilung, Ökonomie, Sinn und Sachverstand haben solche Vorstellungen von Brandschutz und Sicherheit nicht mehr viel gemein.“

Ökonomie sollte nicht als Argument für brennbare Baustoffe dienen. Es gibt Alternativen. Sie sind z.Zt. in der Tat etwas teurer als Polystyrole. Doch nur deshalb, weil wegen des heutigen Preisunterschieds Styropore genommen werden. Wären sie unzulässig, würde die Größendegression der Herstellungskosten schnell ein gleichartiges Preisniveau erreichen.

 

4. Der Tenor des angeführten Urteils OVG Münster, Az.: 10 A 363/86 vom 11.12.1987; aus Vorinstanz VG Gelsenkirchen, Az.: 5 K 1012/85 vom 14.11.1985 objektiviert das in keiner Weise.

 

5. Dass seit den 80er-Jahren die Zahl der Brandtoten sinke, hat nichts mit dem Baustoff zu tun, sondern mit mehr und besseren Feuerfrüherkennungstechniken und schärferen Brandvorschriften. Erinnert sei an die Brandkatastrophe des Düsseldorfer Flughafens im April 1996 mit 17 Toten, die ausschließlich durch das verwendete Styropor als Wärmedämmung ums Leben kamen. Die VON ZUR MÜHLEN'SCHE GmbH war der Schadenregulierungsgutachter der drei Erstversicherer dieser Katastrophe. Reichen 17 Tote etwa nicht aus, dem Material kritisch zu begegnen?

 

6.Von alleine fängt ein an der Außenwand normgerecht verbautes Polystyrol-Wärmedämmverbundsystem (WDVS) unter normalen Umgebungsbedingungen nicht an zu brennen.“ Richtig; aber drei Einschränkungen (kursiv gekennzeichnet)! Zu einem Schadenfeuer gehört nicht nur das brennbare Material, sondern auch die Zündquelle. Beides ist im Zweifel normgerecht, denn deutsche Gebäude brennen alle normgerecht! In Bonn hat es einen Fassadenbrand gegeben, weil eine an der Fassade normgerecht installierte Leuchtreklame durch Fehlstartversuche der Leuchtstoffleuchten das Material aufheizte. In den Zwischenräumen des Wärmedammverbundsystems sammelten sich zündfähige Gasgemische, die schließlich verpufften. Die Verpuffung war so stark, dass die Aluminiumverkleidung aufgesprengt wurde. Zynisch gesprochen: Es gab keine Toten, also fällt das unter den Aspekt „kann vernachlässigt werden!“

 

7. Es geht zudem nicht allein um industriell gefertigte WDVS. Styropor wird in Massen als Dachdämmung und aufgeklebt als Nachrüstung der Bestandsbauten eingesetzt. Man erinnere sich an den Totalschaden der Hähnchenschlachterei Wiesenhof und die schwarzen Wolken, an den Dachbrand der Commerzbank in Frankfurt und viele andere Ereignisse mehr. Ich müsste mein Archiv durcharbeiten, um die Zahl von 14 WDVS-Bränden in den letzten 5 Jahren zu widerlegen. Es würde sicherlich gelingen. Aber das ist asymmetrische Argumentation. Es geht um Grundsätze der Gefährdung.

 

8. Normgerechte Verarbeitung ist sicher wichtig und richtig. Aber wer mit Bauen zu tun hat weiß, wie gepfuscht wird. Bei Neubauten habe ich ganze Fotostrecken von nicht normgerechtem Verbau des Materials an Fassaden: In den Styroporblöcken der Fassadendämmung werden z.B. – das ist schon fast Standard – die Regenfallrohre eingebettet. Sie laufen auch durch die sog. 20cm-Brandriegel und sind eine ideale Feuerübertragung in die darüberliegenden Geschosse. Elektrische Installationen für Außenbeleuchtungen werden darunter ebenfalls versteckt und schaffen die Basis für Zündquellen. Es gibt keinen Bau ohne irgendwelche Nachlässigkeiten.

 

In Fassadendämmung durchgehend bis zum Dach verlegte Fallrohre. Brandübertragend! © Rainer v. zur Mühlen

 

9. Angebracht ist eine rationale, abwägende Debatte über das reale Brandrisiko.“ Dieser Aussage ist zuzustimmen. Damit sollte schnellstmöglich begonnen werden.