Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat im Hinblick auf die Frage der Überprüfbarkeit eines strafrechtlichen Urteils im waffenrechtlichen Verfahren sowie der Widerlegung der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG geurteilt, dass es weder Aufgabe der Waffenbehörde noch der Verwaltungsgerichte ist, eine eigene strafrechtliche Bewertung des pönalisierten Verhaltens und des verhängten Strafmaßes vorzunehmen.
Verurteilung wegen Beleidigung
Das Polizeipräsidium des Landes Brandenburg hatte die einem Waffenbesitzer erteilten Erlaubnisse nach § 45 Abs. 2 Waffengesetz (WaffG) mit Bescheid vom 26.05.2023 in Ziff. 1 widerrufen. Dies erfolgte im Hinblick auf dessen am 27.10.2022 erfolgte strafrechtliche Verurteilung durch das Amtsgericht (AmtsG) wegen Beleidigung eines Richters in einem arbeitsrechtlichen Verfahren zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen.
Zugleich ordnete das Polizeipräsidium gem. § 46 Abs. 2 WaffG an, die noch in seinem Besitz befindlichen insgesamt 36 Waffen und wesentlichen Waffenteile sowie Munition binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheids einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft zu deaktivieren.
Weiter wurde in Ziff. 2 des Bescheids gem. § 46 Abs. 1 WaffG angeordnet, die widerrufenen waffenrechtlichen Erlaubnisse innerhalb eines Monats an die Waffenbehörde zurückzugeben. Für die sich daraus ergebende Rückgabepflicht wurde gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Ziff. 3 des Bescheids die sofortige Vollziehung angeordnet.
Regelvermutung durch Verurteilung erfüllt
Den Antrag des Waffenbesitzers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht (VG) ab. Dagegen wendete sich der Waffenbesitzer mit seiner Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG), mit der er u. a. vorgetragen hat, er habe am 23.10.2023 alle Waffen, bis auf zwei, einem Berechtigten überlassen. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe rechtfertigen nach den Feststellungen des OVG keine Änderung des angefochtenen VG-Beschlusses. Die Annahme des VG, der Beschwerdeführer erfülle durch die Verurteilung die Regelvermutung nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG und damit den Widerrufsgrund der mangelnden Zuverlässigkeit nach § 45 Abs. 2 Satz 1WaffG i. S. d. § 4 Abs. 1 Nr. 2WaffG, bestreitet der Beschwerdeführer zwar nicht.
Nichts ersichtlich für Irrtum des Strafgerichts
Allerdings wendet er sich gegen die Annahme des VG, Bedenken gegen die Maßgeblichkeit dieser Verurteilung seien nicht veranlasst. Das VG hat insoweit im Einklang mit der einschlägigen obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgeführt, die Behörde dürfe sich auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts stützen und allenfalls in Sonderfällen diese Feststellungen ihrer Entscheidung nicht oder nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen.
Dies könne etwa dann der Fall sein, wenn ohne weiteres erkennbar sei, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruhe oder wenn die Behörde ausnahmsweise in der Lage sei, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären. Das VG hat sodann angenommen, dass für einen Irrtum des Strafgerichts bei der Rechtsanwendung der einschlägigen Strafvorschriften hier nichts ersichtlich sei.
Der Beschwerdeführer setze hier vielmehr seine eigene rechtliche Bewertung der zugrunde liegenden arbeitsrechtlichen Streitigkeit anstelle derjenigen des AmtsG, setze dann dessen vermeintlich rechtsfehlerhafte Entscheidung mit einer Rechtsbeugung gleich und leite daraus eine Rechtfertigung für seine beleidigenden Äußerungen gegenüber dem Richter am Arbeitsgericht ab, die zu seiner strafrechtlichen Verurteilung geführt hätten.
Diese Einschätzung des VG ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die hiergegen gerichteten Einwendungen überzeugen nicht. So meinte der Beschwerdeführer, seine strafrechtliche Verurteilung beruhe „auf einem Irrtum“, weil sie „erkennbar rechtsfehlerhaft“ ergangen sei.
Eigene strafrechtliche Bewertung durch Behörde nicht erforderlich
Seine Äußerungen gegenüber dem Arbeitsrichter, die den Grund für die strafrechtliche Verurteilung darstellten, seien eine Reaktion auf eine ihn persönlich betreffende Passage im arbeitsgerichtlichen Urteil gewesen, in der Ausführungen zu seinem Verhalten in dem Prozess gemacht worden seien, die ihrerseits beleidigenden Charakter gegenüber ihm hätten.
Er habe sich damit in einer Situation wie ein Beleidigter befunden. Die Strafverfolgungsbehörden hätten deshalb zwingend den Rechtsgedanken des § 199 StGB heranzuziehen gehabt. Außerdem sei das festgesetzte Strafmaß von 60 Tagessätzen deutlich überhöht und daher unverhältnismäßig.
Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit gerechtfertigt
Diese Auffassung des Beschwerdeführers ist schon deshalb verfehlt, weil es weder Aufgabe der Waffenbehörde noch der Verwaltungsgerichte ist, eine eigene strafrechtliche Bewertung des Verhaltens und des verhängten Strafmaßes vorzunehmen.
Der Beschwerdeführer verkennt dabei, dass die Anwendung des Regeltatbestandes des § 5 Abs. 2 WaffG keine Prüfung der Behörde dahingehend erfordert, ob der Betroffene die Straftat tatsächlich begangen hat.
Die Behörde darf vielmehr grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder die Regelvermutung aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist.
Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG nicht widerlegt
Dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten würde, weil die Verurteilung für die Behörde ohne weiteres erkennbar auf einem Irrtum beruhe, ist jedenfalls mit dem Vorbringen nicht dargelegt. Der Beschwerdeführer setzt vielmehr lediglich die eigene strafrechtliche Würdigung seines Verhaltens an die Stelle derjenigen des Strafgerichts. Einen Irrtum des Strafgerichts zeigt er damit nicht auf.
Insbesondere war dem Strafgericht die vom Beschwerdeführer als beleidigend erachtete Passage des arbeitsgerichtlichen Urteils auch bekannt. Der Beschwerdeführer hatte sie bereits im Strafverfahren zur Rechtfertigung seines Verhaltens angeführt. Das Beschwerdevorbringen widerlegt im Übrigen auch nicht die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG.
Kein Ausnahmefall
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) kommt ein Ausnahmefall dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung des Betroffenen ausnahmsweise derart in einem milderen Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers i. d. R. durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der für die waffenrechtliche Erlaubnis vorausgesetzten Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bzgl. des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind.
Danach ist eine Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen erforderlich, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen legte die Beschwerde schon nicht dar. Soweit sie darauf hinweist, der Beleidigung sei im Vergleich zu anderen Straftaten weniger Gewicht beizumessen, weil diese ein Antragsdelikt sei und zu den Privatklagedelikten i. S. d. § 374 Abs. 1 StPO gehöre, verkennt sie, dass es hierauf nicht ankommt.
Verhängtes Strafmaß entscheidend
Die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG knüpft zudem nicht an die Art des Deliktes, sondern an das verhängte Strafmaß an. Mit seinen Einwendungen gegen die vorgenommene Strafzumessung kann der Beschwerdeführer aus den bereits dargelegten Gründen nicht gehört werden.
Dass die Straftat in milderem Licht erscheine, weil er mit ihr auf eine von ihm als beleidigend oder sachunangemessen empfundene Passage im Urteil des Arbeitsgerichts reagiert habe, ist schon für sich genommen fernliegend.
Daran ändert auch sein Vortrag nichts, er habe sich gewissermaßen in einer Zwangslage befunden, weil er sich gegen die als beleidigend empfundenen Formulierungen nicht habe wehren können. Das Vorbringen ist schon in der Sache unzutreffend. Der Beschwerdeführer hätte die Möglichkeit gehabt, gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rechtsmittel einzulegen. Dies hätte auch nahe gelegen, zumal er selbst die Ansicht vertritt, die fragliche Passage im Urteil des Arbeitsgerichts rechtfertige die Annahme, die Entscheidung sei rechtswidrig.
Keine Rechtsmittel eingelegt
Weiter hätte er gegen den Richter am Arbeitsgericht Dienstaufsichtsbeschwerde erheben können. Eine solche Maßnahme dient gerade der Überprüfung eines als sachunangemessen wahrgenommenen dienstlichen richterlichen Verhaltens.
Schließlich hätte der Beschwerdeführer Strafantrag stellen können, um eine strafrechtliche Bewertung der vermeintlichen Beleidigung im Urteil des Arbeitsgerichts herbeizuführen. Dass er eine schriftliche Anzeige an die Generalstaatsanwaltschaft übersandte, die die beleidigenden Äußerungen, die zu seiner Verurteilung führten, enthielt, steht dieser Annahme nicht entgegen.
Der Antrag zu Ziff. 2 des Bescheids ist unbegründet, da die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Beschwerdeführers ausgeht. Er hat infolge des rechtmäßigen Widerrufs seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse diese gem. § 46 Abs. 1 Satz 1WaffG zurückzugeben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziff. 3 des Bescheids ist aus den im angefochtenen VG-Beschluss genannten Gründen, denen die Beschwerde nicht entgegengetreten ist, rechtmäßig.
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 13.11.2023 – OVG 6 S 54/23
Entnommen aus der Fundstelle Baden-Württemberg 20/2024, Rn. 247.