Seit mehr als 35 Jahren beschäftigt sich der Unternehmensberater, Journalist und Autor Peter Höbel mit einem Thema, das erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit verstärkt in den Fokus der öffentlichen Diskussion rückt und mit der rasanten Entwicklung der sozialen Medien eine neue Dimension gewonnen hat: Das Thema Kommunikation und insbesondere die Krisenkommunikation hat ihn als Journalist, als Pressechef des Hessischen Sozialministers sowie als langjähriger Pressesprecher und Nachrichtenchef der Deutschen Lufthansa AG begleitet. Zuletzt hat Peter Höbel sich intensiv mit dem Germanwings-Absturz, dem Amoklauf von München und der Lage der Touristik nach den Terroranschlägen in Urlaubsländern beschäftigt. Im Folgenden lesen Sie einen Auszug aus dem Interview, das Susanne Sonntag für die aktuelle April-Ausgabe des »Wirtschaftsführers für junge Juristen« führte.
Wirtschaftsführer: Welche Funktion hat die Krisenkommunikation?
Höbel: Jede Krise beschädigt Vertrauen. Stark vereinfacht ist es die Aufgabe von Krisenkommunikation, Vertrauen zu schaffen, zu stärken oder wiederherzustellen.
Wirtschaftsführer: In welchen Situationen und ab welcher Größenordnung müssen Kommunikationsprofis zum Einsatz kommen?
Höbel: Wann immer Image und Reputation einer Person, Firma oder Organisation in Gefahr sind, ist es sinnvoll, sich neben den operativen Management-Aufgaben auch Gedanken über die Kommunikationsstrategie zu machen. Verantwortungsvoll handelt, wer die Risiken antizipiert und präventiv entsprechende Szenarios vorbereitet.
Wirtschaftsführer: Wie funktioniert Krisenkommunikation in der Praxis?
Höbel: Am einfachsten erkläre ich das anhand eines Beispiels aus meiner jüngeren Beratungspraxis. In einen wirtschaftlich grundsoliden mittelständischen Betrieb für Catering in Kitas, Schulen und Mensen hatte sich eine sogenannte investigative Reporterin eingeschleust. Ihr reißerischer Bericht kam für die Firma aus heiterem Himmel und wirkte verheerend: Von Gammelfleisch, Schimmelgurken und gefährlichen Fischstäbchen war die Rede. Obwohl die Vorwürfe unzutreffend waren, verlor die Firma innerhalb von zwei Tagen die Hälfte ihrer Aufträge, Tendenz weiter fallend. Wenn vermeintlich das Wohl ihrer Kinder in Gefahr ist, prüfen Eltern nicht erst lange den Wahrheitsgehalt einer Veröffentlichung.
Was tun? Aussitzen und hoffen, dass bald Gras über die Sache wächst? Bis dahin wäre der Betrieb pleite. Sich mit klassischen juristischen Mitteln zur Wehr setzen, etwa gegen den Sender klagen? Langwierig und mit wenig Aussicht auf (rechtzeitigen) Erfolg.
Als einziges Rezept bleibt eine kommunikative Doppelstrategie: einerseits die eigene Seriosität und den sauberen und sicheren Betrieb mit chromblitzenden Maschinen und leckeren Lebensmitteln sichtbar machen und gleichzeitig die falschen Behauptungen und manipulierten Fernsehbilder nachvollziehbar entlarven. Zielgruppe ist dabei weniger die breite Öffentlichkeit als die Stakeholder – also die unmittelbaren Ansprechpartner wie Eltern, Einrichtungen, Geschäftspartner, Behörden, Meinungsmacher in den Medien.
Neben einer Fülle operativer Einzelmaßnahmen – die aufzuführen den Rahmen hier sprengen würde – war das Herzstück zum Transport der eigenen Botschaften ein innerhalb eines Tages gedrehter Film, der mit exakt denselben dramaturgischen Mitteln arbeitet wie die Gegenseite. Dieser Spot wurde über Youtube und soziale Medien viral verbreitet. Inhalt unter anderem: die dämliche Reporterin, die nicht mal begriffen hat, was jede Hausfrau weiß – dass nämlich Frischfleisch länger als das Mindesthaltbarkeitsdatum frisch bleibt, wenn es tiefgefroren wird.
Um die bis an die Grenzen des Zulässigen ausgereizten Formulierungen und Bilder des Videos rechtlich abzusichern, haben wir Kommunikatoren Schritt für Schritt eng mit erstklassigen Medien-Anwälten zusammengearbeitet.
Erhofftes und erzieltes Ergebnis: Die TV-Reporter gerieten aufgrund der überzeugenden Video-Botschaft unter Druck. Zuvor negativ eingestellte Zeitungen, das Web und andere Sender schwenkten um und begannen die Arbeitsweise der Reporterin kritisch zu hinterfragen. Es gab dann eine rasche Einigung mit dem Sender, sowohl unser »böses« Youtube-Video zu löschen, als auch deren »investigativen« Fernsehbeitrag aus der Mediathek zu entfernen. In der Folge konnte ein Großteil der abgesprungenen Kunden zurückgewonnen werden. Heute schreibt die Firma wieder schwarze Zahlen.
Wirtschaftsführer: Im Zusammenhang mit Großschadensereignissen stellt sich oft die Frage nach der Rolle der sogenannten Opferanwälte. Welche Rolle spielen sie?
Höbel: Die Opferanwälte gehören zu den Juristen, die in der Regel begnadete Kommunikatoren sind und auf der Medienklaviatur perfekt spielen. Weil das so ist, haben viele von Ihnen einen hohen Bekanntheitsgrad, der sich wiederum positiv auf deren mediale Glaubwürdigkeit auswirkt. Opferanwälte erringen ihre großen Siege nicht im Gerichtssaal. Ihr Geschäftsmodell ist die Arbeit mit Emotionen und öffentlichem Druck.
Besonders gut ist das bei Luftfahrtunfällen zu sehen. Das deutsche Recht kennt nur verhältnismäßig geringe Schmerzensgelder. Wohlwissend, dass eine entsprechende Klage aussichtlos wäre, werden dennoch mitunter absurd hohe Forderungen gestellt, die insbesondere von Boulevardmedien willig verbreitet werden. Damit erzeugt der Anwalt über das Mitgefühl für die Opfer öffentlichen Druck auf die Unternehmen, die zurecht um ihren Ruf fürchten. Der Boden für einen satten außergerichtlichen Vergleich ist bereitet.
Wirtschaftsführer: Welche Rolle spielen die sozialen Medien im Zeichen »alternativer Fakten« (so Kellyanne Conways, Beraterin des US-Präsidenten Donald Trump)? Sie selbst haben die sozialen Medien einmal als »mediale Brandbeschleuniger« bezeichnet. Müssen Juristen in Kanzleien und Unternehmen mit diesen Plattformen leben und umgehen können?
Höbel: Zunächst – eine Lüge ist eine Lüge ist eine Lüge. Egal wie einfallsreich versucht wird, diesen Umstand zu beschönigen. Gelogen wurde schon immer. Und auch erfundene Storys wurden zu jeder Zeit publiziert. Die neue Qualität liegt in ihrer viralen Kraft, also der ungeheuren Geschwindigkeit und der unkontrollierbaren Fläche der Verbreitung. Ein gesendeter Tweet ist nie wieder einzufangen. Ein gesendeter Tweet mit einem böswilligen Gerücht ist existenzgefährdend.
Juristen müssen damit in doppelter Hinsicht umgehen: zum einen als Nutzer oder mögliche Betroffene von viral verbreiteten Inhalten. Zum anderen auch als die Hüter des Rechts mit zahlreichen Berührungspunkten – als Staatsanwälte, Richter, (Fach-)Anwälte, Gesetzgeber oder Verwaltungsjuristen.
(…)
PRAXISHINWEIS:
Peter Höbel hat als Co-Autor des jüngst im Richard Boorberg Verlag erschienenen Buchs “Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen” (hrsg. von Jörg H. Trauboth) den umfangreichen Teil zur Krisenkommunikation geschrieben.
Professionelle Prävention und Reaktion bei sicherheitsrelevanten Bedrohungen von innen und außen.
482 Seiten, 59,80,- EUR
ISBN: 978-3-415-05517-9