Sicherheit

Terrorismus als Alltagsphänomen? Konsequenzen, Chancen, Risiken

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Erneut haben islamistische Terroristen Anschläge in Europa verübt. Erneut wurde in Barcelona zu einem Kraftfahrzeug als Waffe gegriffen, im finnischen Turku erneut zu einem Messer. Während Menschen aus dem Leben gerissen, verletzt und traumatisiert wurden, hielt der Schrecken in den Medien, sozialen Netzwerken und auch in der Politik nicht lange an. Stattdessen ertönte die Feststellung, dass Terrorismus nun zum Alltag in Europa gehöre. Diese Betrachtungsweise hat Vor- und Nachteile.

Gefährdung durch Terrorismus wächst

In Barcelona wurden am 17. August 2017 14 Menschen getötet, über 130 Personen verletzt, 15 von ihnen schwer. Nach vorläufigen Festnahmen gestand ein Verdächtiger, ursprünglich die Sagrada Familia in die Luft sprengen zu wollen, wäre der Sprengsatz nicht zuvor detoniert. Am 17. August wurden bei einer Messerattacke im finnischen Turku zwei Frauen getötet und sechs weitere verletzt. Der Angreifer soll gezielt Frauen ins Visier genommen haben. Der vermutete terroristische Hintergrund scheint sich nach seinem Verhör bestätigt zu haben, zudem sei der Mann als Asylbewerber bereits in Deutschland durch die Annahme mehrerer Identitäten aufgefallen. Diese beiden Anschläge reihen sich in nunmehr sieben islamistische Anschläge in diesem Jahr ein – und seit dem Anschlag auf Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 in insgesamt 26. Terrorismus gerät weniger zu einer Ausnahme und mehr zu einer sich ständig irgendwo wiederholenden Schreckensmeldung.

Dies macht sich insbesondere in den Statements der Politiker bemerkbar: Stets dieselben Ausdrücke des Bedauerns lassen sie mittlerweile phrasenhaft erscheinen. Eine Bundestagsabgeordnete winkt fröhlich anderen Leuten zu, während der Parteivorsitzende sich um passende Worte bemüht, ein anderer Abgeordneter verurteilte den Anschlag auf Facebook und gab noch im selben Post Auskunft über seinen Urlaubsverlauf und einen Musiktipp für seine Follower. Und auch in sozialen Netzwerken verzichten immer mehr User darauf, ihr Profilbild in den Landesfarben des Anschlagsortes einzufärben. Terror wird in gewisserweise zur Normalität.

Dies führt zu einem Paradoxon: Die Gefahr durch Terrorismus wächst, gleichzeitig verlieren die einzelnen Anschläge dadurch, dass sie häufiger vorkommen, offensichtlich an Schrecken. Während sich die Menschen noch genau erinnern können, wo sie waren und was sie taten, während sie von den Anschlägen auf das World Trade Center erfuhren, so können sie dies bei den meisten Anschlägen der jüngsten Vergangenheit nicht mehr. Dies hat nicht nur etwas mit der Dimension dieses Terroranschlages zu tun, sondern weil es sich tatsächlich um eine Zäsur in der Nachkriegsgeschichte gehandelt hat. In den letzten Jahren gab es aber nicht nur die Terroranschläge, es gab zahlreiche Anschlagsversuche, Festnahmen von Verdächtigen usw. Das Phänomen Terrorismus taucht täglich in den Medien auf, dies führt zu Gewöhnungseffekten, die sowohl Vor- als auch Nachteile haben können.

Positive Effekte

Terrorismus als gegenwärtige Bedrohung zu begreifen, die jederzeit jeden treffen kann, kann dazu führen, dass Menschen bewusster ihre Umgebung wahrnehmen und sich instinktiv auf Gefährdungen einstellen. Aufmerksamkeit kann sowohl das eigene Leben retten, aber auch die Wahrnehmung für verdächtige Verhaltensweisen anderer Menschen schärfen. Ebenso steigt die Bereitschaft, die Polizei oder den Verfassungsschutz zu informieren und Ängste vor möglichen Falschmeldungen abzubauen. Aufgrund der langen Friedensphase in den westlichen Demokratien sind Menschen es für gewöhnlich nicht gewöhnt, sich um ihren eigenen Schutz vor Verbrechen und Angriffen zu kümmern. Dafür ist der Staat zuständig. Entsprechend ist es ein Lernprozess, sich selbst um seinen Schutz im Alltag, beim Einkaufen, auf den Weg zur Arbeit etc. zu kümmern und Verantwortung für die Umgebung zu übernehmen. Häufig gilt gerade die eigene Wachsamkeit und Vorsicht als beste Prävention vor Kriminalität und Gewalt.

Negative Effekte

Die Aufforderung, Terrorismus als Alltagsphänomen mehr oder weniger hinzunehmen in Kombination mit der geringen statistischen Wahrscheinlichkeit, Opfer eines ebensolchen Anschlages zu werden, kommt einer Bankrotterklärung gleich. Etwas zweifelhaft wirken solche Ansichten auch dann, wenn sie von einem der viel zitierten Terrorismusexperten konstatiert werden, die das Gewöhnen an „solche Tragödien“ um die „Offenheit als Gesellschaft“ aufrechtzuerhalten, fordern. Dazu müsste diese „Offenheit“ zunächst als wichtigster gesellschaftlicher Wert definiert werden. Wird sie das, dann bedeutet das zwangsläufig, dass der Schutz des Lebens eines jeden Einzelnen hinter der gesellschaftlichen Offenheit zurückstehen müsse. Damit würde der Staat seiner Hauptaufgabe, nämlich Schutz nach innen und außen, nicht mehr nachkommen und somit den Schutz zur persönlichen Aufgabe machen, was Bürgerwehren etc. legitimieren würde.

Impulse für Maßnahmen

Egal, ob man Terrorismus als Alltagsphänomen begreifen mag oder nicht, Ziel sollte sein, ihn wirksam und nachhaltig zu bekämpfen, damit die aktuelle Alltäglichkeit eines Tages zur einer geschichtlichen Episode werden kann. Nachfolgende Maßnahmen sollen daher als beispielhafte Impulse der Terrorbekämpfung verstanden werden:

  • Erkennen und benennen: Islamistischer Terroristen möchten weder den Rechtsextremismus fördern, noch die Gesellschaft im Endziel spalten. Sie möchten die westliche Zivilisation vernichten und sie bieten zwei Optionen: Unterwerfung oder Tod. Transporter fahren nicht aus eigenem Willen in Menschenmengen, sie werden gezielt und bewusst gesteuert und als Waffe benutzt. Jede Relativierung aus Angst vor Fremdenhass befeuert diesen zusätzlich. Jedes Narrativ, das dem Weltbild der Terroristen ähnelt, ihm zuspricht oder die Taten als Reaktion auf Diskriminierungserfahrungen entschuldigt, verhöhnt jedes einzelne Opfer. Dies muss auch Politikern klar sein, die weiterhin Bündnisse mit Vereinigungen aufrechterhalten, die das demokratische Weltbild nicht nur in Frage stellen, sondern der Auffassung vom Islam als Gesetzesreligion oberste Priorität einräumen. Vereine und Moscheen, die die Segregation fördern, können keine Partner sein.
  • Mobilität der Terroristen erschweren: In Frankreich ist seit Jahren mit offenen Grenzen zum Schengenraum ein Ausnahmezustand zur Regel geworden. Reisebewegungen, insbesondere die Einreise in die europäischen Länder durch Asylsuchende oder Zuwanderer, müssen nachhaltig und zentral erfasst werden. Wer den Rechtsstaat ablehnt und sich in selbigem ohne jegliches Recht aufhält, muss schnell und unbürokratisch ausgewiesen und abgeschoben werden können. Diese Forderung lediglich als Populismus abzutun, widerspricht staatsrechtlichen Grundsätzen.
  •  Wirksam und als Einheit vorgehen: Die Terroristen sind mobil, sie operieren sowohl lokal, als auch transnational. Entsprechend müssen Sicherheitsbehörden agieren können und auch auf Daten, beispielsweise von Sozialbehörden zurückgreifen dürfen. Der Austausch zwischen den Geheimdiensten ist nach wie vor ungenügend. Es fehlt noch immer an einer Datenbank, die zentral alle notwendigen Informationen über Gefährder sammelt und zur Verfügung stellt. Nach wie vor genießen datenschutzrechtliche Prinzipien in Europa größere Priorität als der Schutz vor Terroristen und Kompetenzen zur Ermittlung. Denn noch immer macht es die Rechtsprechung mit ihren Einschränkungen der sog. Vorratsdatenspeicherung nahezu unmöglich herauszufinden, mit wem ein Terrorist in den Monaten vor seiner Tat gesprochen und Emails ausgetauscht hat – dabei geht es noch nicht einmal um Inhalte.
  • Trauern, würdiges Gedenken eines jeden Einzelnen und Beistand für Opfer und Angehörige: Während die regierenden Politiker des vom Terror heimgesuchten Landes Trauerbekundung aus aller Welt entgegennehmen, sind es die Angehörigen und Augenzeugen, die um die Toten trauern. Während sich Medien auf mögliche Traumatisierungen der Täter als Radikalisierungsursache konzentrieren, vernachlässigen sie den Umstand, dass Terror und Gewalt ständig neue Traumatisierungen bei Opfern und Angehörigen verursachen. Nach dem Anschlag von Berlin beschwerten sich Hinterbliebene, Opfer und Ersthelfer, dass sie mit ihrem Trauma allein gelassen wurden. Wenn Opfer nur noch Zahlen sind, denen man die Anteilnahme lediglich in einer zentralen, medienwirksamen Veranstaltung für einige Minuten zuteilwerden lässt, dann signalisiert dies den Menschen, dass das eigene Leben im Staat nicht wirklich zählt.
Fazit

Terrorismus als Alltagsphänomen zu betrachten, kann sinnvoll sein, um entsprechende Sicherheitskonzepte abzustimmen und sie der Öffentlichkeit verständlich zu vermitteln. Dies bedeutet dann auch, die Souveränität und den Willen zu vermitteln, diese alltägliche Bedrohung nicht zu einem Dauerzustand werden zu lassen, sondern als etwas das beseitigt werden kann, muss und soll. Wird Terrorismus als Alltagsphänomen jedoch statuiert, Gewöhnung gefordert und gleichzeitig Angst als „schlechter Berater“ gegeißelt, kann der Eindruck entstehen, dass der Staat den Bürger nicht schützen kann oder/und will. Damit setzt er das Vertrauen der Menschen aufs Spiel.

Die Ermahnungen, sich „seine Freiheit nicht nehmen“ zu lassen, klingt mitunter wie Hohn, wenn beispielsweise gleichzeitig Weihnachtsmärkte eingezäunt und bewacht werden. Jeder Einzelne bezahlt bereits mehr Geld für seinen Schutz, denn die neuen Sicherheitskonzepte bei Konzerten, Fußballspielen, Weihnachtsmärkten etc. schlagen sich in den Eintrittspreisen nieder. Es ist der Bürger, der nach einem Terroranschlag die Normalität wieder herstellt. Der Bevölkerung also entgegenzuhalten, Angst sei irrational und aufgrund irrelevanter statistischer Vergleiche als abwegig zu  bezeichnen, sind weder förderlich noch angemessen. Wenn ein Mensch Angst hat, dann ist das nicht verwerflich. Verwerflich ist es, Angst auszunutzen und mit ihr Politik zu machen.

 

In den Text eingeflossene Quellen:

● Avenarius, T.: Europa muss mehr gegen die Gewalt der Islamisten tun, Süddeutsche Online vom 19. August 2017, online verfügbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/terror-nicht-hinnehmen-1.3632050 (aufgerufen am 22. August 2017).

● (ohne Autorenangabe): 18-Jähriger gesteht Messerattacke in Turku – Zwei Frauen starben, Focus Online vom 22. August 2017, online verfügbar unter: http://www.focus.de/politik/ausland/finnland-18-jaehriger-gesteht-messerattacke-in-turku_id_7502264.html (aufgerufen am 22. August 2017).