Bei einem Versicherungsunternehmen bestanden 38 Schadenaußenstellen, für die jeweils ein Leiter verantwortlich war. Die einzelnen Sachbearbeiter innerhalb der Schadenstellen wurden zu Gruppen zusammengefasst, denen je ein Gruppenleiter vorstand. Der Arbeitsanfall aller Sachbearbeiter der Schadenaußenstellen bestimmte sich vor allem durch die telefonische Tätigkeit, den Posteingang sowie das durchzuführende Schadensmanagement.
Das Unternehmen stellte fest, dass die Schadenaußenstellen unterschiedlich produktiv waren. Aus diesem Grunde sollte im Wege einer Gesamtbetriebsvereinbarung eine Belastungsstatistik eingeführt werden, um Ungleichgewichte in der Belastungssituation der Schadenaußenstellen, der Gruppen und der Mitarbeiter zu erkennen, zu analysieren und steuernd eingreifen zu können.
Fortlaufende elektronische Erfassung
Zu diesem Zweck wurde die Tätigkeit der Sachbearbeiter in sog. Kennzahlen aufgegliedert (zum Beispiel Anzahl bearbeiteter Vorgänge, Anzahl beantworteter Gespräche, Anzahl Rückstände etc.) und mit Schwellenwerten versehen. Auf der Grundlage dieses Systems sollte die gesamte Tätigkeit eines jeden Sachbearbeiters fortlaufend elektronisch erfasst und in festgelegten Rhythmen (1 Woche, 4 Wochen, 26 Wochen) nach einem bestimmten System ausgewertet werden. Immer dann, wenn ein Sachbearbeiter bei einer Hauptkennzahl erheblich vom Gruppendurchschnitt abweiche, sollte der Gruppenleiter hierüber eine Information erhalten, um diese zu beobachten und bei fortdauernder Abweichung ein Personalgespräch durchführen zu können. Die vorgeschlagene Gesamtbetriebsvereinbarung enthielt noch verschiedene Regelungen, wann auf welcher Führungsebene welche Informationen durch das System in welchem Umfang freigegeben werden.
Trotz der umfangsreichen Regularien hielt der Gesamtbetriebsrat die von einer Einigungsstelle erarbeitete Gesamtbetriebsvereinbarung für unwirksam. Er war vor allem der Auffassung, dass die Rechte der Arbeitnehmer nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Zu Recht, wie das Bundesarbeitsgericht1 feststellte.
Permanenter Überwachungs- und Anpassungsdruck ist unverhältnismäßig
Das Bundesarbeitsgericht betonte zwar, dass es sich um ein legitimes Anliegen des Arbeitgebers handele, eine unterschiedliche Belastungssituation der Arbeitnehmer und deren Ursachen in Erfahrung zu bringen, um eine sach- und mitarbeitergerechte Arbeitssteuerung zu ermöglichen und die Effizienz der Arbeitsorganisation zu verbessern. Gemessen an diesem Anliegen sei das geplante Erfassungssystem jedoch nicht verhältnismäßig.
Keine Kompensation durch beschränkte Zugriffsrechte
Hieran änderte sich auch nichts durch die zahlreichen Regelungen, wonach die Auswertungen nicht jedem Vorgesetzten jederzeit zur Verfügung standen. Das Bundesarbeitsgericht verwies darauf, dass die betroffenen Arbeitnehmer anhand der Haupt- und Analysekennzahlen dem geschilderten Überwachungs- und Anpassungsdruck auf Grund der wöchentlich fortgeschriebenen Auswertungen zeitlich unbefristet ausgesetzt seien. Weder die festgelegte zeitliche Befristung möglicher Zugriffe auf die Auswertungen noch die grundsätzlich gebotene Vernichtung von Gesprächsprotokollen und die vorgeschriebene Löschung aller Daten nach festgelegten Zeiträumen vermochten den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer zu kompensieren.
Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt, dass nicht jedes Controlling-Instrument im Interesse der Produktivität des Unternehmens eingesetzt werden kann. Eine Grenze des Einsatzes bilden insbesondere die allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer. Das Bundesarbeitsgericht störte sich in dem vorliegenden Fall insbesondere daran, dass sämtliche Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob ihre Belastung und ihre Leistung der Zielsetzung einer mitarbeitergerechten Arbeitssteuerung bereits entsprechen würde, einer umfassenden Überwachung durch das Erfassen und das Speichern ihrer Bewegungsdaten und deren Auswertung ausgesetzt werden sollten.
Ausreichend gewesen wäre es unter Umständen, nur die Arbeit derjenigen Arbeitnehmer einer umfassenderen Erfassung und Auswertung zu unterziehen, deren Gruppenergebnisse über einen bestimmten Zeitraum gewisse Auffälligkeiten zeigten, oder nur diejenigen Schadenaußenstellen näher zu betrachten, bei denen für einen konkreten Zeitraum erhebliche Abweichungen zur durchschnittlichen oder einer von ihr erwarteten Produktivität ausgemacht wurden. So hätten gegebenenfalls die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer begrenzt werden können.
1 Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 25. April 2017 – 1 ABR 46/15, besprochen in RdW 22/2017 Rn. 404.