Rechtliches

Das „Gaffen“ am Unfallort – wann ist Schaulust rechtswidrig?

©Heiko Barth - fotolia.com

Bei Unglücksfällen, wie etwa Hausbränden oder Karambolagen von Fahrzeugen, kommt es häufig zu schweren Verletzungen und sogar zu Todesfällen. Menschen verlieren ihre Partner, ihre Eltern, ihre Kinder. Umso erschreckender ist es, mit wie wenig Empathie manche auf solche Szenarien reagieren, wenn sie selbst nicht direkt betroffen sind. Was einzig zu zählen scheint, ist die Befriedigung der eigenen Neugierde, und so wird direkt auf den Unfall gestarrt, um ja nichts zu verpassen, das Handy wird gezückt und Fotos werden geschossen. Teilweise werden sogar Rettungskräfte behindert.

„Gaffer“ nennt der Volksmund Menschen, die so handeln, und über die moralische Verwerflichkeit derartigen Verhaltens herrscht wohl allenthalben Einigkeit. Der folgende Beitrag zeigt auf, wann dieses darüber hinaus auch noch illegal ist und zu Strafen führen kann.

Das reine „Hinsehen“

Begonnen werden soll hier mit dem einfachsten Fall, sozusagen dem grundsätzlichen „Gaffen“ ohne weitere eigene Handlung. Dieses ist nicht per se mit Strafe bedroht. Insofern gibt es keine Handhabe, wenn Fahrer beim Passieren einer Unfallstelle aus dem Fenster sehen oder ähnliches. Wenn es also hie und da heißt, „Gaffen ist strafbar“, so ist das in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Jedoch kann das schlichte Betrachten zu verbotenem Verhalten werden, wenn weitere Umstände hinzutreten:        

Ordnungswidrigkeit

Das Hin- bzw. das Zusehen wird dann verboten, wenn es eben jemand verbietet, der dazu die Kompetenz hat. Widersetzt sich der „Gaffer“ dann der Anweisung, weiterzugehen und den Unfallort zu verlassen, begeht er eine entsprechende Ordnungswidrigkeit. Ein Beispiel für eine solche Kompetenz findet sich etwa in § 24 Satz 2 Nr. 1 des Niedersächsischen Feuerwehrgesetzes, wonach die Einsatzleitung Sicherheitsmaßnahmen vornehmen kann, die erforderlich sind, damit die Feuerwehr am Einsatzort ungehindert tätig werden kann. Hierzu gehört auch die Befugnis, Platzverweise auszusprechen. Wer einem solchen nicht Folge leistet, begeht dann gem. § 37 Abs. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes eine Ordnungswidrigkeit, was gem. Abs. 2 wiederum mit einem Bußgeld von bis zu 5.000 € geahndet werden kann.

Weitere Vorschriften in diesem Sinne sind etwa § 113 OWiG bezüglich unüberschaubarer Menschenmengen oder die §§ 27a, 84a des Polizeigesetzes Baden-Württemberg für das Nichtbefolgen eines polizeilichen Platzverweises.

Unterlassene Hilfeleistung

Das reine Betrachten eines Unglücksfalls ohne eigene Handlung kann dann strafbar sein, wenn ein solches Handeln geboten wäre. Denn dann kann Unterlassene Hilfeleistung im Sinne des § 323c StGB vorliegen. Danach wird bestraft, wer in einem Unglücksfall nicht Hilfe leistet, obwohl dies einerseits notwendig und andererseits zumutbar gewesen wäre.

Die Voraussetzungen dieser äußerst komplizierten und in ihrer Auslegung stark umstrittenen Vorschrift werden in Fällen von Unfällen oder größeren Unglücken jedoch häufig nicht gegeben sein. Denn unterlassene Hilfeleistung ist bereits ausgeschlossen, wenn genügend Hilfe vor Ort ist, denn dann ist das eigene Einschreiten nicht mehr notwendig und kann sogar die Rettungskräfte behindern (dazu gleich mehr). Auch muss sich grundsätzlich niemand selbst in Gefahr begeben, man muss also nicht in ein brennendes Haus stürmen, selbst wenn dort jemand eingeschlossen ist.

Wenn jedoch ein notwendiges und zumutbares Eingreifen unterlassen wird, etwa kein Rettungswagen gerufen wird, ein Opfer nicht in die stabile Seitenlage gebracht wird, etc., kann Strafbarkeit eintreten. Dies gilt auch für zu spätes Einschreiten, da eine Hilfspflicht, sofern sie vorliegt, ab sofort besteht. Wer also erst ausführlich „gafft“, bevor er zur Hilfeleistung übergeht, kann ebenfalls bestraft werden.

Das Strafmaß reicht in allen Fällen der Unterlassenen Hilfeleistung bis zu einer Freiheitstrafe von einem Jahr.

Einwirkung auf Dritte

Wenn das Verhalten eines „Gaffers“ aktive Auswirkungen auf die Arbeit von Rettungskräften oder auf hilfsbereite Dritte hat, können hierdurch weitere Straftaten verwirklicht werden.

Behinderung von Helfern

Der eben besprochene § 323c StGB hat im Mai 2017 einen neuen Absatz bekommen. Demnach macht sich auch strafbar, wer in einem Unglücksfall oder ähnlichen Situationen einen Dritten behindert, der hilft oder helfen will.     Dies können also Rettungskräfte sein, aber auch hilfsbereite Passanten. Ein Stören bedarf keines aktiven Verhinderns oder Festhaltens, es genügt, wenn jemand „gaffend“ im Weg steht, eine Feuerwehrzufahrt versperrt oder (ebenfalls ein hitzig diskutiertes Thema) die Bildung einer Rettungsgasse verhindert.

Gewalt gegen Rettungskräfte

Seit dem 01.01.2018 sind gemäß § 115 Abs. 3 StGB Rettungskräfte in Unglücksfällen Vollstreckungsbeamten gleichgestellt. Wer sich Feuerwehrkräften durch aktives Handeln mit Gewalt oder Drohungen wiedersetzt, kann demnach gem. § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) zu einer Freiheitstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt werden. Werden Rettungskräfte sogar tätlich angegriffen (siehe hierzu auch unseren Beitrag vom 31.01.2018), erhöht sich das mögliche Strafmaß auf bis zu 5 Jahre bei einer Mindeststrafe von drei Monaten, § 114 StGB.

Fotografieren oder Filmen

Schließlich wird gem. § 201a StGB auch bestraft, wer eine „Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt“ oder wer eine solche Aufnahme verbreitet. Der „Gaffer“ also, dem das reine Betrachten der Unfallfolgen nicht genügt, sondern der darüber hinaus sein Handy zückt, um damit Fotos oder Videos zu machen und diese vielleicht sogar noch an ihm bekannte Personen verschickt oder sie ins Netz stellt, kann dafür mit für bis zu zwei Jahren Haft belangt werden.