Sicherheit

Tschetschenische Gruppen mit Kriminalitätspotential

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Seit einigen Jahren etablieren sich kaukasische Netzwerke in Geschäftsbereichen der Organisierten Kriminalität. Sie drängen damit in Gebiete von Rockergruppen und stellen mit einem eigenen Club eine Konkurrenz, gleichzeitig paktieren sie mit anderen Clubs. Daneben besitzen sie Bezüge zur islamistischen Ideologie und entsprechenden Netzwerken. Dieser Mix aus krimineller Diversität, extremistischer Ideologie und Gewaltbereitschaft stellt die Sicherheitsbehörden vor eine Herausforderung.

Die Lage im Nordkaukasus und Migration nach Deutschland

Tschetschenien liegt im Nordkaukasus und ist eine autonome Republik in Russland. In der Hauptstadt Grosny lebt etwa eine Viertelmillion der knapp 1,3 Millionen Einwohner. Nach Ende des zweiten Tschetschenien-Krieges 2009 hat sich die Lebenssituation für die Menschen zwar verbessert, dennoch sind die Folgen der jahrelangen Kämpfe längst noch nicht überwunden. Gewalt und Islamismus sind weiterhin Probleme und machen das Leben für viele Menschen dort gefährlich.

Im Jahr 2013 registrierten deutsche Behörden eine stetig wachsende Zahl von Asylbewerbern aus dem Nordkaukasus. Von den 15.500 russischen Staatsbürgern, die 2013 als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, sollen etwa 14.000 aus Tschetschenien stammen, von ihnen beantragten 12.234 Asyl. Die Anzahl der Asylgesuche von Menschen aus der Kaukasusrepublik ist aktuell rückläufig. 2017 registrierte das BAMF 4.166 tschetschenische Asylanträge, 2016 waren es mit 9.850 fast 60 Prozent mehr. Die Schutzquoten liegen indes niedrig: 2017 wurden 7,6 Prozent der gestellten Anträge ein Schutzstatus zuerkannt, 2016 waren es nur 4,3 Prozent. Abschiebungen nach Russland erfolgen selten, so dass die Tschetschenen in Deutschland verbleiben. Deren Integration gestaltet sich zuweilen schwer. Nicht zuletzt, da Tschetschenen in Clanstrukturen organisiert und nach außen abgeschottet sind. Gerade aus dieser Bevölkerungsgruppe beobachten Ermittler des Staatsschutzes sowie Bekämpfungseinheiten gegen Organisierte Kriminalität gewaltbereite Akteure mit diffusen Verbindungen.

Rockerähnliche Gruppierung Guerilla Nation Vaynakh

Der Club Guerilla Nation Vaynakh erlangte im März 2017 nach einem Anschlag auf ein Lokal in Berlin Wedding augenblicklich Bekanntheit. Die Polizei sieht es als erwiesen an, dass Mitglieder der rockerähnlichen Vereinigung daran beteiligt waren. Fünf Mitglieder stehen im Frühjahr 2018 vor Gericht, schweigen jedoch. Gegründet wurde der Club als Nachfolge-Organisation der Guerilla Nation im Oktober 2016. Die Guerilla Nation sollen sich aufgrund interner Streitigkeiten, aber auch wegen Konflikten mit deutschen Rockern der Hells Angels aufgelöst haben. Die Guerilla Nation Vaynakh heute verstehen sich jedoch mit der türkischen Fraktion der Hells Angels. In Berlin sollen sie nicht nur Kontakt und Umgang pflegen, sondern auch geschäftliche Beziehungen. Auch zwischen der Guerilla Nation Vaynakh und dem Box Club Osmanen Germania soll es Kontakte und Geschäftsabsprachen geben.

Ihr Erkennungszeichen sind schwarze Kutten mit weißer Aufschrift und einem Totenkopf auf dem Rücken. Die Mitgliederzahl wird von Sicherheitsbehörden auf etwa 100 geschätzt, verlässliche Zahlen liegen jedoch nicht vor. Zur Guerilla Nation Vaynakh gehören neben Tschetschenen auch Mitglieder von arabischen Clans, die ebenfalls als kriminell aktiv gelten. Des Weiteren soll die Gruppe enge Beziehungen zu Personen aus dem salafistischen Milieu unterhalten.

Bezüge zum Islamismus

Gerade in Deutschland werden Bezüge zum salafistischen Gedankengut bei jungen Tschetschenen festgestellt. Weil sie sich an Dschihadisten in Syrien orientieren sollen, werden Tschetschenen in den Verfassungsschutzberichten mehrerer Bundesländer explizit behandelt. Sie gelten als besonders radikal, gewaltaffin und ideologisch gefestigter als beispielsweise deutsche Konvertiten. Zudem beobachten sowohl Verfassungs- als auch Staatsschützer rege Rekrutierungsbestrebungen unter Landsleuten. Die Ideologie des Salafismus zieht generell vor allem junge, aggressive Männer an. Gerade Tschetschenen, die kriegerische bzw. auch terroristische Gewalterfahrungen im Nordkaukasus gemacht haben und bzw. oder in ihrer Erziehung mit rohen Männlichkeitsnormen und dem Prinzip der Gewaltlegitimation des Stärkeren geprägt wurden, bietet dieser religiöser Extremismus eine ideale Rechtfertigung für Gewalt.

Doch auch herkömmliche Kriminalität wird mit der Ideologie legitim, da sich diese gegen „die Anderen“ und „Ungläubige“ richtet. Was auf den ersten Blick also als ein nicht überwindbarer Gegensatz begriffen werden könnte, funktioniert in der Lebenspraxis offensichtlich, denn die Ideologie macht auch Geschäftsbündnisse mit arabischen Clans und anderen rockerähnlichen Gruppierungen wie den Osmanen Germania erst möglich: Die Religion des sunnitischen Islam wird zunächst als Basis verstanden.

Einschätzung

Die Zahl der Tschetschenen in Deutschland wird auf bis zu 50.000 geschätzt. Wie groß die Täter-Klientel ist, lässt sich allerdings nur schwer abschätzen. In der Kriminalstatistik werden Tschetschenen, wie andere Gruppen aus der Region, nicht gesondert ausgewertet. Dort wird nur die Staatsbürgerschaft von Verdächtigen erfasst. Im Falle der autonomen Nordkaukasus-Republik ist das entsprechend die russische. Zudem darf es nicht darum gehen, eine ganze Bevölkerungsgruppe zu stigmatisieren. Um das Phänomen gewaltbereiter und multi-krimineller Tschetschenen zu begreifen, bedarf es allerdings der Kenntnis um Herkunft, Kultur und Entwicklungen in Deutschland.

Verbindungen zwischen organisiert-kriminellen und religiös-extremistischen Bestrebungen sind nicht neu. Die Diversität krimineller tschetschenischer Akteure, ihre schwer zugänglichen Strukturen und die Schwierigkeit, gerade junge Menschen mit dieser Herkunft zu integrieren, machen es notwendig, einen Fokus der Sicherheitsbehörden auf das Phänomen zu legen.

 

Ggf. verwendete/in den Text eingeflossene Quellen:

● Rossberg, Peter: Die neue Macht in der Berliner Unterwelt, auf B.Z. vom 18. Mai 2017, online verfügbar unter: www.bz-berlin.de/berlin/mitte/guerilla-nation-neue-macht-berliner-unterwelt (letzter Zugriff am 17. März 2018).

● Wehner, Markus: Gewalt ist ihre Marke, auf FAZ Online vom 12. März 2018, online verfügbar unter: www.faz.net/aktuell/politik/inland/deutsche-polizei-kaempft-gegen-tschetschenische-kriminelle-15488674.html?premium#void (letzter Zugriff am 17. März 2018).