Bei einer Beleidigung des Arbeitgebers kann dem Arbeitnehmer eine ordentliche, in der Regel jedoch keine fristlose Kündigung auferlegt werden. Dies hängt jedoch auch immer von den Umständen des Einzelfalls ab.
Ein Arbeiter war seit elf Jahren bei einem Bauunternehmen mit weniger als zehn Arbeitnehmern beschäftigt. Am 05.04.2018 kam es an einer Baustelle zu einer Auseinandersetzung mit dem Geschäftsführer des Unternehmens. Der Geschäftsführer hatte Kritik daran geäußert, dass der Arbeiter und ein Kollege zum Zeitpunkt seines Erscheinens auf der Baustelle noch nicht mit der Arbeit begonnen hatten. Es gab in diesem Zusammenhang auch Meinungsverschiedenheiten darüber, wo und in welcher Weise das Firmenfahrzeug im Umfeld der Baustelle hätte geparkt werden können oder sollen.
Im Laufe der Diskussion stellte sich der Geschäftsführer auf einen Kanaldeckel, den der Kollege des Arbeiters zum Zwecke der Arbeitsvorbereitung gerade öffnen wollte. Daraufhin bezeichnete der Arbeiter den Geschäftsführer als »Arschloch«, trat unbeherrscht gegen eine Kabeltrommel, verließ zusammen mit den Kollegen die Baustelle und blieb im weiteren Verlauf des Tages unentschuldigt der Arbeit fern. Er entschuldigte sich bei dem Geschäftsführer später nicht für seine Äußerung. Das Unternehmen kündigte dem Arbeiter wegen des Vorfalls fristlos, hilfsweise fristgemäß mit einer Kündigungsfrist von viereinhalb Monaten gerechnet vom Kündigungstag an. Während das Arbeitsgericht die Klage des Arbeiters gegen diese Kündigungen komplett abwies, hielt das Landesarbeitsgericht Köln1 zwar die fristlose Kündigung für unwirksam; die hilfsweise fristgemäße Kündigung befand das Landesarbeitsgericht hingegen für rechtmäßig.
Ordentliche, keine fristlose Kündigung war angemessen
Unter Berücksichtigung der Umstände dieses Einzelfalles und der Abwägung der beiderseitigen Interessen ergebe sich hier allerdings, dass das Verhalten des Arbeiters eine fristlose Kündigung noch nicht begründen konnte. Von erheblicher Bedeutung sei, dass das Arbeitsverhältnis bereits seit elf Jahren bestanden hatte und bis dahin unstreitig beanstandungsfrei gelaufen sei. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass die verbale Entgleisung des Arbeiters sich in einer emotionalisierten Gesamtsituation ereignete. Zwar entschuldige dies die beleidigende Reaktion des Arbeiters nicht, erkläre aber nachvollziehbar, dass sich der Mitarbeiter subjektiv in einer emotionalen Stresssituation befunden habe.
Dabei sei zu bedenken, dass es sich bei einem einfachen Bauarbeiter ohne herausgehobenen Bildungshintergrund eher um einen »Mann der Tat« als des differenzierten und abwägenden Wortes gehandelt habe. Ebenso müsse bedacht werden, dass im sozialen Umfeld der Baubranche gemeinhin ein rauherer Umgangston gepflegt werde als z. B. unter Bankangestellten im Büro. Dies bedeute aber keineswegs, dass in der Baubranche Beleidigungen akzeptabel wären und folgenlos bleiben müssten. Die anzunehmende niedrigere Hemmschwelle im branchentypischen Umfeld müsse mildernd einkalkuliert werden. Der Arbeiter hätte auch gut daran getan, sich für sein Fehlverhalten zu entschuldigen. Die weitere Pflichtverletzung, die Baustelle unentschuldigt verlassen zu haben, stelle ersichtlich ein Fluchtverhalten dar, was insgesamt nicht zur Berechtigung einer außerordentlichen Kündigung führe.
Abwägung
Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen sei auf Seiten des Arbeiters zu berücksichtigen, dass ihm durch die außerordentliche Kündigung von heute auf morgen nicht nur die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen worden wäre, sondern auch seine Bemühungen, in der Zukunft einen neuen Arbeitsplatz zu finden, erheblich erschwert worden wären. Das Unternehmen könne demgegenüber auf sein berechtigtes Interesse verweisen, die Integrität ihres Repräsentanten zu schützen und auch sicherzustellen, dass die Autorität als Vorgesetzter im Arbeitsalltag nicht infrage gestellt werde. Vor dem Hintergrund sei jedenfalls die hilfsweise ordentliche Kündigung gerechtfertigt.
Praxistipp:
Das Urteil zeigt, welches Gewicht die jeweiligen Umstände des Einzelfalls haben, selbst wenn es um Beleidigungen geht. Und es zeigt – wie so oft – wie wichtig es ist, hilfsweise immer eine ordentliche Kündigung auszusprechen, sofern diese nicht ausgeschlossen ist.
1 Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 04. Juli 2019 – 7 Sa 38/19 – besprochen in RdW 2020 Rn. 352