Organisations- und Führungskonzepte

Rechtliche Aspekte von Online-Prüfungen: Datenschutz

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Die Corona-Pandemie stellt die Prüfungseinrichtungen und insbesondere die Hochschulen vor ungeahnte Herausforderungen. In anderthalb Jahren zwangsweisem Ausfall des Präsenzbetriebs kann man den Studienbetrieb nicht einfach ersatzlos stilllegen. Konsequenterweise musste der Lehr- und Vorlesungs-, aber auch der Prüfungsbetrieb teilweise (und nicht selten vollständig) digitalisiert werden. Klausuren und mündliche Prüfungen wurden überwiegend als „elektronische Fernprüfungen“ durchgeführt. Das bringt Herausforderungen sowohl in prüfungs- als auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht mit sich.

Bildungsrecht ist Landesrecht

Nirgendwo tritt die föderale Struktur in Deutschland deutlicher zutage als im Schul- und im Hochschulrecht. Jedes Land unterhält sein eigenes Hochschulgesetz sowie eine Vielzahl flankierender Gesetze und Verordnungen. Aufgrund der Kurzfristigkeit der Herausforderungen in der Pandemie gab es zudem keine oder wenig Abstimmung zwischen den Ländern, sodass die Länder außerordentlich unterschiedlich auf die prüfungsrechtlichen Herausforderungen reagiert haben.

Eine prüfungsrechtliche Regelungsnotwendigkeit kann sich ergeben aus der „Technisierung“ des Prüfungsgeschehens. Einige Hochschulgesetze beinhalteten schon vor der Pandemie Regelungen, die die Durchführung elektronischer Prüfungen an besondere verordnungs- oder satzungsrechtliche Anforderungen knüpfen. In diesen Fällen versteht sich aus dem Gesetz heraus, dass auf eine normative Eingehung des elektronischen Prüfungsgeschehens nicht verzichtet werden darf. Im Übrigen mag aus den expliziten gesetzlichen Regelungen zu Konstellationen der Datenübertragung in einigen Hochschulgesetzen darauf geschlossen werden, dass ohne solche gesetzlichen Regelungen die Datenübertragung nicht erlaubt ist.

Als erstes Land hat Nordrhein-Westfalen auf die Corona-Pandemie hochschulrechtlich reagiert. Schon mit Wirkung zum 14. April 2020 ist das HG NRW um einen neuen § 82a ergänzt worden: „Maßnahmen zur Bewältigung der SARSVoV- 2-Pandemie“.[1] Bereits einen Tag später trat auf Basis der neuen gesetzlichen Regelung die Corona-Epidemie-HochschulVO in Kraft. Sie erlaubt den vorübergehenden Erlass von Auffangregelungen durch das Rektorat, namentlich auch zum Prüfungswesen.

Mit Verordnungen aufgrund nachträglich eingeführter gesetzlicher Regelungen agieren bspw. auch Bayern und Hessen. Baden-Württemberg regelt Online-Prüfungen abschließend auf Gesetzesebene. Andere Länder, wie Berlin und Thüringen, verweisen in ihren Hochschulgesetzen auf die Hochschulen als Satzungsgeber. Wieder andere Länder, wie Mecklenburg- Vorpommern und Niedersachsen, verzichten auf jegliche hochschulgesetzlichen Regelungen.

Datenschutzrechtliche Aspekte

Zu den umstrittensten Aspekten der neuen Prüfungsformate gehört der Datenschutz. Art. 6 DSGVO erlaubt die Übertragung personenbezogener Daten – wozu zweifelsohne Prüfungsleistungen gehören – nur unter den dort abschließend benannten Rechtfertigungstatbeständen. Ernsthaft diskutiert werden die Tatbestände „Einwilligung“ (Abs. 1 Satz 1 lit. a) und „Ausübung öffentlicher Gewalt“ (Abs. 1 Satz 1 lit. e). Das Merkmal der „Einwilligung“ wird wohl wegen der strengen Anforderungen an die Freiwilligkeit derselben nicht in Betracht kommen. Zwar wird generell betont, dass dem Studierenden aus der Nichtteilnahme an der Prüfung keine rechtlichen Nachteile erwachsen (sollen). Jedoch ist der mögliche rechtliche Nachteil nicht von der Hand zu weisen, dass mit der Nichtteilnahme an den Prüfungen die Progression im Studienverlauf beeinträchtigt wird.

Wer mit dem Studium vorankommen möchte, muss sich dem vorgegebenen Prüfungsregime unterwerfen. „Freiwillig“ kann man eine solche Prüfungsteilnahme nicht nennen. Es bleibt nur die Möglichkeit der Rechtfertigung über die „Ausübung öffentlicher Gewalt“. Dafür bedarf es nach DSGVO einer rechtlichen Grundlage: Dies kann ein Gesetz, eine Verordnung oder auch eine Satzung einer Hochschule sein – freilich muss es dann eine solche auch geben, denn ohne gesetzliche Grundlage – gleichermaßen „freihändig“ – geht es nicht.

Besonderes Augenmerk liegt auf der Prüfungsaufsicht, die als datenschutzrechtlich heikel gilt. Viele Hochschulen verzichten vor dem Hintergrund der datenschutzrechtlichen Bedenken auf jegliche Aufsicht bei Online-Prüfungen und erlauben schlicht den Gebrach jeglicher Hilfsmittel, ausgenommen die Täuschung. Früher nannte man ein solches Format „Kofferklausur“, heute spricht man von „Open Book“. Das darüber hinausgehende Überwachen der Studierenden über die Webcam wird „Proctoring“ genannt; teilweise werden dabei auch Daten-Aufzeichnungen durchgeführt, um Täuschungsversuche besser identifizieren zu können. Als große Gewinner der Pandemie dürften die spezialisierten Software-Anbieter gelten.

Ob dies datenschutzrechtlich zulässig sein kann, auch im Falle expliziter Grundlagen in Gesetzen oder Verordnungen, ist umstritten. Erste Gerichtsentscheidungen zugunsten der Hochschulen liegen vor,[2] freilich lediglich aus Eilverfahren und unter der Ägide der Folgenabwägung, dass dem Studierenden jedenfalls die Überwachung auch im Falle ihrer unterstellten Rechtswidrigkeit zugemutet werden kann im Verhältnis zur Möglichkeit, dass die Hochschule ansonsten auf die Durchführung der Prüfung insgesamt verzichten würde.

Verfassungsrechtliche Aspekte

Schließlich sollte Art. 13 Abs. 1 GG – Unverletzlichkeit der Wohnung – beachtet werden. In der Rechtsprechung des BVerfG ist anerkannt, dass ein „Eindringen in die Wohnung“ nicht ein körperliches sein muss, sondern auch digital in die Wohnung eingedrungen werden kann. Die Beobachtung des Studierenden mit seiner Wohnung im Bildhintergrund stellt zweifelsfrei eine Beeinträchtigung des Wohnungsgrundrechts dar. Art. 13 Abs. 1 GG gehört zu den durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes beschränkbaren Grundrechten, sodass nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG im beschränkenden Gesetz das Grundrecht unter Angabe seines Artikels genannt werden muss.

Dieser Maßgabe hat lediglich Bayern entsprochen (Art. 106a BayHSchG). Freilich stellt es keinen Grundrechtsverstoß dar, wenn der Betroffene sein Grundrecht freiwillig preisgibt. Ob ein Studierender, der, wenn er einer Proctoring-Maßnahme zustimmt, weil er ansonsten an der Prüfung nicht teilnehmen darf, „freiwillig“ in diesem Sinne handelt, mag trefflich bezweifelt werden.

Prüfungsdurchführung

Mittlerweile zeichnet sich ab, wo, jenseits der Frage der normativen Grundlagen, die wesentlichen Schwierigkeiten mit den neuartigen Prüfungsgestaltungen liegen: Es sind die Aspekte „Einhaltung von Abgabefristen“ und – namentlich und insbesondere – die enorme Vielzahl von Täuschungsversuchen.

Abgabefristen einhalten

Regelmäßig werden die Prüfungsarbeiten von den Studierenden hand- oder maschinenschriftlich erstellt und nach Abschluss der Bearbeitung digitalisiert (i. E. eingescannt und ins PDF-Format übertragen) und anschließend an die Hochschule übermittelt, via E-Mail oder mittels Hochladens auf den Server der Hochschule. Es versteht sich, dass diese Vorgänge zusätzlichen Zeitaufwand erfordern, der der regulären Bearbeitungszeit anzuhängen ist. Üblich sind Zeitzuschläge zwischen 10 und 30 Minuten – hinlänglich, wie man meinen sollte.

Tatsächlich missverstehen viele Studierende die Zeitzuschläge für die Digitalisierung als „zusätzliche Bearbeitungszeit“ und geraten dann in die zeitliche Bredouille, wenn es an die Digitalisierung und Übermittlung geht. Bei konsequenter Betrachtung ist die Überschreitung der vorgesehenen Bearbeitungszeit ein Täuschungsversuch, der zum Nichtbestehen führen kann. Die Hochschulen handhaben diese Thematik unterschiedlich streng.

Täuschungsversuche

Täuschungen und Täuschungsversuche sind ein dominantes Phänomen in den neuen Prüfungsformaten. Dies betrifft nicht nur, möglicherweise aber insbesondere die Prüfungen, in denen auf jegliches Proctoring verzichtet wurde. Die gängigen Phänomene sind die unreflektierte und unkommentierte Übernahme von Internet-Fundstellen (häufig aus Wikipedia) sowie das unerlaubte Bilden von Arbeitsgruppen. Während der „Corona-Zeit“ ist in vielen Fällen rechtlich vorgesehen, dass Fehlversuche nicht als solche zählen. Auch Täuschungen sind Fehlversuche in diesem Sinne und sie bleiben damit unbestraft, es sei denn, die Hochschule hat durch abweichende Regelungen Vorsorge getroffen.

Beim „Internet-Plagiieren“ ist zu beachten, dass zwar häufig der Gebrauch beliebiger Hilfsmittel ausdrücklich erlaubt ist, dass aber die erlaubte Nutzung von Referenztexten nicht von der Zitatpflicht befreit. Wenn also durchaus erlaubterweise ein Text von Wikipedia übernommen wird, darf doch der Prüfling damit nicht den Eindruck zu erwecken versuchen, dass es sich bei dem Text um seine eigene (und eigenständige) wissenschaftliche Leistung handele. Dieser Aspekt wird häufig übersehen, und die Zitatpflicht ist nicht davon abhängig, ob die Studierenden hierauf ausdrücklich hingewiesen wurden.

Überraschend, frappierend – ja, auch ärgerlich ist die enorme Vielzahl von unerlaubten Gruppenarbeiten. Die Studierenden schließen sich in Gruppen zusammen, üblicherweise über Facebook, Whats-App und Telegram. Längst nicht nur die „Wackelkandidaten“, also die schwächeren Prüfungsteilnehmenden, machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Es handelt sich um eine ernüchternde Massenerscheinung. Das Entdeckungsrisiko ist hier beachtlich, weil sich häufig wiederkehrende Formulierungen finden. Auffällig ist auch, wenn fehlerhafte Antworten sich in einer Vielzahl von Arbeiten wiederholen.

Manche Prüfer bauen vor, indem sie die Prüfungsarbeit in verschiedenen Varianten ausgeben – identische Rechenaufgaben bspw. aber mit unterschiedlichen Ziffern und Zahlen. Wenn Studierende Antworten geben, die nicht zur Prüfungsaufgabe passen, ist der Täuschungsversuch offenbar. Die Hochschulen gehen hier nicht selten rigide und konsequent vor. In extremen Fällen kann die Konsequenz eines Täuschungsversuchs das endgültige Nichtbestehen der Prüfung und die anschließende Exmatrikulation sein.

 

Entnommen aus „Wirtschaftsführer für junge Juristen“.

[1] Art. 10 des Gesetzes zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie vom 14. April 2020 (GV NRW. S. 218b).

[2] OVG Schleswig, NJW 2021, S. 1407 und OVG Münster, NJW 2021, S. 1414.