Rechtliches

Keine Beschäftigung von Ungeimpften in Pflegeeinrichtungen

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Der Gesetzgeber hat für die Beschäftigung von Personen in geschützten Einrichtungen nach dem Infektionsschutzgesetz den 16.03.2022 als Stichtag für ein Beschäftigungsverbot für ab diesem Datum neu eingestellte ungeimpfte oder nicht genesene Personen festgelegt. Die Praxis ist unsicher, wie mit Personen umzugehen ist, die schon vorher in solchen Einrichtungen tätig waren. Sie können nach der nachfolgend besprochenen Gerichtsentscheidung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt werden.

Ein alleinerziehender Vater von zwei Töchtern ist seit dem 01.11.2020 in einem Seniorenheim als Wohnbereichsleiter tätig. Bei dem Seniorenheim handelt es sich um eine vollstationäre Pflegeeinrichtung zur Betreuung und Unterbringung älterer und pflegebedürftiger Menschen. Der Wohnbereichsleiter ist nicht gegen das Coronavirus geimpft. Er hat seiner Arbeitgeberin weder einen Impf- noch einen Genesenenausweis vorgelegt. Auch besteht bei ihm keine medizinische Kontraindikation gegen eine Impfung.

Am 14.03.2022 stellte der Betreiber des Pflegeheims den Wohnbereichsleiter bis auf weiteres widerruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei, längstens bis zum 31.12.2022. In dem Schreiben wies die Arbeitgeberin darauf hin, dass nach § 20a Abs. 1 Infektionsschutzgesetz Personen, die in Pflegeeinrichtungen oder ambulanten Pflegediensten tätig sind, ab dem 15.03.2022 grundsätzlich geimpft oder genesen sein müssen. Der Wohnbereichsleiter verlangte seine tatsächliche Beschäftigung. Er war der Auffassung, seine Arbeitgeberin habe lediglich dem Gesundheitsamt seinen Status mitteilen müssen.

Die Freistellung sei nicht von dem Direktionsrecht der Arbeitgeberin gedeckt. Sie dürfe nicht in sein Privatleben eingreifen und ihn unverschuldet in seiner Existenz gefährden. Eine Impfung böte im Übrigen keinen relevanten Fremdschutz. Er sei täglich und damit häufiger als die geimpften Beschäftigten getestet worden.

Durch das Tragen eines Mund- Nasenschutzes sei nicht zu erwarten, dass von ihm eine Infektionsgefahr ausgehe. Da seine Arbeitgeberin an der Freistellung festhielt, beantragte der Wohnbereichsleiter den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Er war damit erfolglos.

BAG: Es bedarf einer Interessenabwägung

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts sei seine Arbeitgeberin nicht verpflichtet, ihn im Seniorenheim tatsächlich zu beschäftigen.[1] Die von der Arbeitgeberin ausgesprochene Freistellung überwiege das Beschäftigungsinteresse des Klägers. Nach der Besprechung des Bundesarbeitsgerichts sei der allgemeine Beschäftigungsanspruch eines Arbeitnehmers im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nur mit Begrenzungen anzuerkennen.

Voraussetzung für eine Freistellung des Arbeitnehmers sei, dass das Interesse des Arbeitgebers an dessen Nichtbeschäftigung überwiegen müsse. Es bedürfe einer Interessenabwägung, in die alle Umstände des Einzelfalles einzubeziehen seien. Der Beschäftigung des Klägers stünde das überwiegende Interesse der Beklagten entgegen, Bewohner des von ihr betriebenen Seniorenheims vor einer Beschädigung von Leib und Leben zu schützen. Diese Abwägung ergebe sich aus der Regelung in § 20 a Abs. 1 Infektionsschutzgesetz.

Nach dieser Vorschrift müssten u.a. Personen, die einer voll- oder teilstationären Einrichtung zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig seien, ab dem 15.03.2022 über einen Impf- oder den Genesenennachweis nach § 22 a Abs. 1 oder 2 Infektionsschutzgesetz verfügen. Damit habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass in den genannten Einrichtungen grundsätzlich keine Personen beschäftigt werden sollten, die nicht geimpft oder nicht genesen seien.

Zwar sei ein ausdrückliches Beschäftigungsverbot nur für diejenigen Personen vorgesehen, die ab dem 16.03.2022 in den genannten Einrichtungen tätig würden und über keinen Impf- oder Genesenenschutz verfügen oder diesen nicht vorlegten. Bei vor dem 16.03.2022 beschäftigten Personen sei lediglich die Verpflichtung des Arbeitgebers normiert, dem Gesundheitsamt bei Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises die entsprechenden personenbezogenen Daten zu übermitteln.

Daraus lasse sich aber im Umkehrschluss gerade nicht entnehmen, dass bereits beschäftigte ungeimpfte Personen zwingend tatsächlich weiter zu beschäftigen seien. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber vermeiden wolle, dass mit einem zwingenden Beschäftigungsverbot für ungeimpfte, bereits in den Einrichtungen beschäftigte Personen die Funktionsfähigkeit der Einrichtung unter Umständen nicht mehr gegeben sei. Dies ändere nichts an der gesetzlichen Wertung, dass vulnerable Personen, zu denen insbesondere die Bewohner von Seniorenheimen gehören, vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus geschützt werden sollten.

Dies solle u.a. dadurch gewährleistet werden, dass grundsätzlich keine ungeimpften Personen in den Einrichtungen zum Einsatz kämen. Dies ergebe sich auch aus dem Gesetzesentwurf zum Infektionsschutzgesetz, in dem es hieße, dass die dort tätigen Personen geimpft oder genesen sein oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen Covid-19 besitzen müssen. Deshalb sei die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden, den Kläger in dem von ihr betriebenen Seniorenheim tatsächlich nicht zu beschäftigen.

Praxistipp

Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Rechtsprechung durchsetzt. Vom Blickwinkel der zu schützenden Personengruppen her ist die Entscheidung nachvollziehbar. Offen ist aber derzeit u.a., ob der Vergütungsanspruch bei einer berechtigten Freistellung wegfällt – so sollte es sein – und welche weiteren Voraussetzungen an eine Freistellung zu knüpfen sind, z.B. im Hinblick auf deren Dauer.

 

Entnommen aus RdW-Kurzreport, Heft 18/2022., Rn. 298.

[1] AG Gießen, Urteil vom 12.04.2022 – 5 Ga 1/22