Normalitäten und Besonderheiten
Gegen behinderte und psychisch kranke Menschen ist das Eingriffsrecht mit der gleichen Konsequenz anzuwenden wie gegen andere Adressaten. Darin spiegelt sich auch die Normalität im gesellschaftlichen Umgang wider. Nur in den Teilbereichen der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung, in denen Verfahrensdifferenzierung aufgrund des Gesundheitszustandes des Gegenübers unabdingbar notwendig ist, weist das Recht angemessene Sonderregelungen auf, die es auch für Sicherheitsmitarbeiter zu beachten gilt.
So zum Beispiel:
- der eventuell notwendige Transport in das Polizeigewahrsam (ggf. mit Unterstützung der Feuerwehr im Rahmen der Amtshilfe),
- die Untersuchung zur Gewahrsamsfähigkeit und
- die ggf. notwendige medizinische Versorgung für den Aufenthalt im Polizeigewahrsam.
Im anschließenden Verwaltungsverfahren stellen sich beispielsweise Fragen nach:
- der Beteiligungsfähigkeit des Betroffenen im Verwaltungsverfahren,
- seiner Handlungsfähigkeit
- sowie ggf. dessen notwendiger Vertretung durch einen Bevollmächtigten.
Vorläufige Unterbringung
Sicherheitsmitarbeiter sollten wissen, dass auch im Hinblick auf eine Ingewahrsamnahme durch die Polizei häufiger Probleme auftreten. Zum einen kommt die Einlieferung einer psychisch kranken Person in das Polizeigewahrsam grundsätzlich nicht in Betracht, da der Kranke hilfsbedürftig und nicht gewahrsamsfähig ist.
Zuständige Behörde für eine – ggf. sofortige – Unterbringung einer Person ist die örtliche Ordnungsbehörde (OB).
Eine Unterbringung von Amts wegen scheidet aus, wenn der Betroffene – trotz möglicher Willensmängel aufgrund seiner Erkrankung – mit der Unterbringung einverstanden ist (sog. freiwilliger Verbleib).
Soweit die OB im Rahmen der sofortigen Unterbringung (wahrscheinlich) auf Widerstand stößt (stoßen wird), den die Amtswalter mit eigenem unmittelbaren Zwang nicht überwinden können, kann polizeiliche Schutzvollzugshilfe erfolgen.
In Ausnahmefällen, z.B. bei einem bewaffneten Kranken, ist auch die Übernahme der Zwangsvollstreckung im Wege allgemeiner Vollzugshilfe möglich.
Im Zuge eines Unterbringungsverfahrens können erforderlichenfalls auch auf der Grundlage der Psychisch-Kranken-Gesetze der Länder (PsychKG) (Zwangs-) Behandlungs- und besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden. Auch in diesem Kontext kommen ggf. Vollzugshilfemaßnahmen für Vollzugsdienstkräfte in geschlossenen psychiatrischen Abteilungen (z.B. bei der Fixierung eines gewalttätigen Patienten) durch Polizeibeamte in Betracht.
Alternative Unterbringung und Betreuung
Ausschließlich vor dem Hintergrund des Aspektes einer gegenwärtigen erheblichen Eigengefährdung kann der für den Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung“ bestellte Betreuer gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB die zivilrechtliche Unterbringung beantragen oder bei Gefahr im Verzuge vorab selbst vornehmen und die anschließende richterliche Entscheidung einholen. Er kann hierzu indessen nicht behördlich angewiesen werden.
Mitunter begegnet man in der Polizeipraxis auch bei Behördenvertretern der unzutreffenden Rechtsauffassung, das Betreuungsverfahren gehe der landesrechtlichen Unterbringung stets vor.[1]
Letztlich kommt es darauf an, mit welcher Art der Unterbringung den Interessen des Kranken besser gedient ist.
In jedem Fall aber ist es Sache der OB, dies im Zusammenwirken mit dem Betreuer, ggf. dem SPDI und der Betreuungsbehörde, zu klären.
Kann der Betreuer die Zuführung nicht alleine leisten, wird er durch die zuständige Behörde unterstützt.
Soweit die eigenen Möglichkeiten für den unmittelbaren Zwang nicht ausreichen, insbesondere polizeiliche Schutzgewährung notwendig wird, gelten die Grundsätze der Vollzugshilfe.
Quelle:
Böcking, Reinhold: Eingriffe in die Rechte behinderter und psychisch kranker Menschen, in: Deutsches Polizeiblatt (DPolBl), Nr. 6/2014, S. 19 ff.
Der Autor Reinhold Böcking ist erster Polizeihauptkommissar in Siegen und Autor des DPolBl. beim Richard Boorberg Verlag.