Öffentliche Einrichtungen als Schauplatz von Gewalt
Am 3. Dezember 2014 erstach ein 28-jähriger Hartz-IV-Empfänger einen bestellten psychologischen Gutachter im Jobcenter Rothenburg ob der Tauber. Etwa drei Monate zuvor erschießt ein Steuerberater einen Finanzbeamten in dessen Büro in Rendsburg. Weitere Meldungen aus den Jahren 2012, bei dem eine Jobcentermitarbeiterin in Neuss getötet oder 2013, wo eine Kollegin in Leipzig mit einem Hammer attackiert wird, klingen alarmierend. Konflikte in der öffentlichen Verwaltung wie Finanzämtern oder Jobcentern enden in der Regel jedoch nicht in Handgreiflichkeiten. Viel eher kommt es zu mehr oder weniger direkten Beleidigungen und ebensolchen Bedrohungen der Mitarbeiter, beziehungsweise der Institution als solche. Diese verbalen Angriffe und die bewusste Respektlosigkeit werden als Gewalttätigkeit meist nicht erfasst, es sei denn, sie sind als konkrete Bedrohung gegen Leib und Leben eines Mitarbeiters artikuliert und somit strafrechtlich relevant. Dennoch verletzt jeder empfundene Angriff das individuelle Sicherheitsempfinden der Beschäftigten nachhaltig. Besonders betroffen sind Verwaltungsmitarbeiter, die im direkten Kontakt mit Wertsachen umgehen, Kontrollaufgaben wahrnehmen, für Leistungszahlungen nach den Sozialgesetzbüchern II, III oder XII zuständig sind, die mit abhängigen oder psychisch auffälligen Personen arbeiten oder Ansprechpartner in Phasen langer Wartezeiten sind.
Auswirkungen auf die Arbeitssituation
Auch wenn physische Gewalttätigkeiten gegen Verwaltungsmitarbeiter Einzelfälle bleiben, resultieren aus den Gewalterfahrungen durch psychische und verbale Attacken Probleme am Arbeitsplatz. Dabei müssen solche Erfahrungen nicht unbedingt selbst durchlebt worden sein. Je nachdem, wie drastisch derartige Zwischenfälle ausgefallen sind, kann das Miterleben, Beiwohnen oder auch nur die Angehörigkeit zu derselben Einrichtung traumatisch sein. Empfindungen von Angst, unter Umständen auch Hilflosigkeit und Frustration schlagen sich auf die psychische und physische Gesundheit nieder und führen zu verminderter Arbeitsleistung. In schlimmeren Fällen dauern die Ängste, am Arbeitsplatz und u.U. privat nicht mehr sicher zu sein, längere Zeit an. Zudem können sich Gefährdungserfahrungen negativ auf das Betriebsklima auswirken. Arbeitsplatz und Tätigkeit werden zu einer permanenten Stresserfahrung; sowohl für den geregelten Ablauf, als auch zum Schutz der betroffenen Kollegen müssen Maßnahmen ergriffen werden, diesen Zustand zu lösen.
Möglichkeiten zur Intervention
So vielseitig die Formen von Gewalthandlungen sind, so vielseitig können auch Maßnahmen sein, Sicherheitsmechanismen zu schaffen und das kollektive wie auch individuelle Sicherheitsempfinden zu stärken. Gerade in Jobcentern gehört Sicherheitspersonal bereits zum Standard. Auch Alarmsysteme über die PCs sind mittlerweile die Regel in Behörden. Dazu wird eine Taste oder eine Tastenkombination mit einem Befehl belegt, das ein Signal an die vernetzen Computer der Kollegen schickt und dadurch ein Alarmfeld auf den Computern zeigt. So ist eine diskrete Alarmierung der Kollegen gewährleistet, die sich ein Bild von der Situation machen und im Notfall die Polizei informieren können. Weitere Möglichkeiten bietet der Arbeitsplatz an sich. Haben die Mitarbeiter Möglichkeiten zur Flucht? Welche gefährlichen Gegenstände befinden sich in Reichweite eines potentiellen Angreifers? Gibt es Verbindungstüren zwischen den Büros? Auch Hausverbote stellen ein probates Mittel dar, wenn sich eine Person bereits äußerst aggressiv und bedrohlich verhalten hat. Wird ein Hausverbot erteilt, kann bei dem Eintreffen desjenigen sofort die Polizei alarmiert werden. Der Straftatbestand für Hausfriedensbruch gem. § 123 StGB ist dann gegeben. Ferner können die Mitarbeiter in sogenannten deeskalativem Verhalten und in deeskalativer Rhetorik geschult werden. In einigen Bereichen sprechen sich Mitarbeiter bereits für Sicherheitsschleußen und Detektoren aus. Gerade bei Einrichtungen, die ein besonderes Aufkommen an Personenverkehr haben, erscheint diese Möglichkeit nur wenig praktikabel und befördert zudem die Debatte um Generalverdacht, beispielsweise gegenüber Empfänger von Sozialleistungen.
Thema der Zukunft
Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet den Arbeitgeber, Arbeitnehmer vor Übergriffen zu schützen. Somit obliegt es den Vorgesetzten, die Mitarbeiter im Fall von Übergriffigkeit – auch verbaler und psychischer – zu schützen und dem Aggressor zu verdeutlichen, dass keine dieser Gewaltformen geduldet wird. Pressemeldungen über gewalttätige Übergriffe in behördlichen Einrichtungen suggerieren eine Zunahme, die bisher noch nicht umfangreich evaluiert wurde. Bei allen eingeleiteten Maßnahmen kann es nicht um einen absoluten Schutz gehen, sondern um die Verbesserung des Schutzes von Mitarbeitern in öffentlichen Einrichtungen und deren Sicherheitsempfinden bei ihrer Tätigkeit.
Praxishinweise:
- Das ArbSchG definiert Sicherheit am Arbeitsplatz als Aufgabe von Vorgesetzten.
- Vielseitige Interventionsmöglichkeiten zielen auf den verbesserten Arbeitsschutz, aber auch auf das persönliche Sicherheitsempfinden der Mitarbeiter.
- Neben Alarmsystemen und Fluchtmöglichkeiten, sind Trainings für deeskalatives Verhalten und deeskalative Kommunikation, als auch eine enge Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei wichtig.
Quelle:
Unfallkasse Baden-Württemberg (Hrsg.): Handlungsleitfaden zur Prävention vor Übergriffen in öffentlichen Einrichtungen, 3. Auflage 2014.