Sicherheit

Das politische Klima in Deutschland im Superwahljahr 2017

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Ängste in Deutschland

Angst beschreibt als emotionalen Erregungszustand die Wahrnehmung von mehr oder weniger konkreten Vorstellungen physischer und psychischer Bedrohungen. Sie äußert sich in Spannungsgefühlen, Betroffenheit und sogar auch in Schmerzempfinden. Entsprechend ist Angst als Gefühl negativ konnotiert. Andererseits ist Angst ein urmenschliches Gefühl, das sogar lebensrettend sein kann. Als grundlegende Emotion hilft sie, Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren, ermahnt zur Vorsicht und sorgt für eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Angst ist somit natürlich und regelmäßig eine temporäre Erscheinung. Als menschliche Emotion äußert sie sich individuell, sie kann nichtsdestotrotz auch im Kollektiv auftreten.

Es gibt Themen oder auch Phänomene, die großen Gruppen bis hin zu ganzen Bevölkerungsgruppen ängstigen. Solche Ängste als episodisches Phänomen werden von Meinungsforschungsinstituten oder auch von Versicherungen erfragt und entsprechend gemessen. In der jährlich durchgeführten, 25. Befragung der R+V Versicherung für das Jahr 2016 wurde eine Stichprobe von 2.421 Personen im Alter ab 14 Jahren erhoben, davon 1.600 in West- und 821 in Ostdeutschland (Grundgesamtheit: 70,5 Millionen Personen der Wohnbevölkerung in Privathaushalten). In dieser zeigt sich 2016 als ein „Jahr der Angst“ für die Deutschen, sämtliche abgefragte Sorgen erfuhren einen abrupten Anstieg. Vor allem die Angst vor Terroranschlägen stieg (um + 21 Prozentpunkte auf 73 %) und steht damit erstmalig seit 25 Jahren auf Platz 1 der ermittelten Ängste. Extremismus (mit 68 %) und der befürchtete Kontrollverlust der Politiker (65 %) zeigen ebenfalls einen deutlichen Anstieg. Besonders die Flüchtlingskrise und die hohe Zuwanderung haben die Ängste der Menschen bis Ende des Jahres 2016 geschürt. Die Befürchtung, dass es durch weitere Zuwanderung zu Spannungen zwischen Deutschen und hier lebenden Ausländern kommen könnte, ist höher als jemals zuvor. Diese Angst klettert mit 67 % (+18 Prozentpunkte) von Platz 4 auf Platz 3 des Rankings.

Die Stichprobe wird in der vorliegenden Erhebung jedoch nicht nur auf aktuelle Werte hin betrachtet, sondern auch auf die Entwicklung und ihre realpolitischen Zusammenhänge in den letzten 25 Jahren eingeordnet und interpretiert. Und diese Betrachtung zeigt, dass gesellschaftliche Ängste in Deutschland tatsächlich einen plausiblen Hintergrund hatten. So dominierten Anfang der neunziger Jahre die Angst vor Krankheiten und dem Schicksal als Pflegefall. Damals beherrschte die Renten- und Gesundheitsreform die öffentlichen Diskussionen. Mitte der neunziger Jahre fürchteten sich viele Deutsche vor Arbeitslosigkeit und einer Rezession, genau dies waren die Themen der Zeit, insbesondere die Ernüchterung nach der Wende. Anlässlich der Finanz- und Wirtschaftskrise rückten ab 2007 wirtschaftliche Sorgen in den Mittelpunkt, gleichzeitig stieg die Sensibilität für Naturkatastrophen durch den Orkan Kyrill. Nach 2001 trieb das Attentat auf das World Trade Center die Angst vor Terroranschlägen dauerhaft in die Höhe, 2016 erreichte diese Angst nun ihren Höchstwert in der Befragung. Dies und auch die Verschuldung von EU-Ländern fördern Befürchtungen, dass Politiker, sowohl in Deutschland, aber auch in Europa insgesamt überfordert sind. Die europäische Union vermittelt längst nicht mehr das Gefühl von Sicherheit und Stabilität, das sie ursprünglich den Menschen vermitteln wollte. Nie wurde die EU kritischer gesehen als heute. Die Ansichten, nach denen „das Projekt EU gescheitert“ sei, nehmen zu und werden lauter. 2016 gipfelte dies im „Brexit“.

Einseitige Dämonisierung der Angst?

Die Angst in Deutschland nährt sich vor allem vor dem Empfinden, dass die Konflikte nicht mehr fern sind, sondern bereits im Land beziehungsweise „unmittelbar davor“. Allerdings werden Ängste unterschiedlich diskutiert und auch gewertet. Während die Angst vor Konflikten durch Zuwanderung und Asyl regelmäßig schwierig zu diskutieren ist, ohne in eine rechtspopulistische Schwarz-Weiß-Sicht abzugleiten bzw. angesiedelt zu werden, zeigen sich andere Ängste durchaus salonfähiger: So ist die Wahl Donald Trumps ein definitiver Angstfaktor, der in der öffentlichen Debatte auf breite Zustimmung trifft. Trump wird als unberechenbarer Populist wahrgenommen, der in der Lage sei, Krieg aus einem Wutausbruch heraus führen. In der Position des Präsidenten der USA und damit als der als am mächtigsten geltende Mann wird er als Bedrohung für den Weltfrieden wahrgenommen. Die Nachrichten über die ersten Regierungsentscheidungen seit der Amtseinführung werden von diversen Skandalmeldungen begleitet, wie zuletzt beispielsweise der sogenannte „Muslim Ban“, dem verhängten Einreisestopp gegen Menschen aus dem Irak, Syrien, Iran, Libyen, Somalia, dem Sudan und dem Jemen, der von weltweiten Protesten begleitet wird, auch in Deutschland. Trumps Handlungsspielraum aufgrund der Macht durch seine Position als Präsident erzeugt offensichtlich Angst und Widerstand.

Deutsche Spitzenpolitiker äußern sich ebenfalls besorgt und ermahnend in Richtung Amerika. Eine vergleichbare Angst müsste beispielsweise auch der türkische Präsident Erdogan erzeugen, der unter anderem mit Massenentlassungen und massiven Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte türkischer Staatsbürger viele seiner Drohungen bereits umgesetzt hat, doch tatsächlich bleiben derart eindeutige Statements größtenteils aus, eine gesellschaftliche Verurteilung in Deutschland oder Europa führt offensichtlich nicht zu einer wahrnehmbaren Protestbewegung. Beide Präsidenten stehen für die Gefährlichkeit, wenn rhetorischer Populismus in die Tat umgesetzt wird. Gerade Drohungen und Ankündigungen einschneidender Maßnahmen schüren Angst und zeugen gleichzeitig von politischem Kalkül.

Klima der Angst fördert Radikalisierung

In diesem Zusammenhang wird politischer Populismus mit Sorge betrachtet. Gerade der Anstieg rechtspopulistischer bis hin zu rechtsextremen Tendenzen wird von den etablierten Parteien einheitlich als Bedrohung empfunden und kommuniziert. Nicht nur Politiker, auch viele Menschen beschäftigt diese Angst. Die Angst vor dem politischen Versagen der etablierten Parteien, sowie die Folgen der Flüchtlingskrise und der damit verbundenen Zuwanderung treibt die Menschen in die Arme derer, die konsequente Gegensteuerung zum Programm haben.

Doch diese Radikalisierung ist nicht einseitig auf den „rechten Wutbürger“ zu reduzieren, der platte und ausländerfeindliche Sprüche für die Lösung aller Probleme hält. Die Radikalität in der Meinungsbildung nimmt in allen politischen Lagern zu. Selbst eher unpolitische Menschen nehmen mehr und mehr vehemente Positionen ein, die keine Relativierung dulden. Unterschiedliche Ansichten und politische Meinungsverschiedenheiten führen zu handfesten Auseinandersetzungen unter Kollegen, Freunden und sogar in Familien. Die Wahrnehmung von Politik und vor allem die Wahrnehmung von Defiziten der handelnden Politiker betreffen die Menschen privat so gegenwärtig wie kaum jemals zuvor. Der Kalte Krieg als absolutes Gefährdungsszenario wurde gerade in Westdeutschland mehr eine abstrakte, denn als konkrete Gefahr wahrgenommen. Der Terror der RAF und der „Bewegung 2. Juni“ in den 1970er Jahren stellte zwar die junge Republik auf den Kopf und veränderte die Sicherheitspolitik und vor allem die Sicherheitsbehörden nachhaltig, jedoch waren die wenigsten Menschen von einer konkreten Gefährdung betroffen, da sich der Terror in erster Linie gegen spezifisch ausgewählte Opfergruppen bezog. Zudem war in dieser Zeit stets klar, von wem oder was die Gefährdung ausging. Die heutige Bedrohungslage ist viel komplexer, zwar auch abstrakt, aber trotzdem viel greifbarer und wahrscheinlicher, als noch vor einigen Jahren.

Fazit

Die Umfrage der R+V Versicherung macht dies in ihrer erhobenen Stichprobe sichtbar: Sämtliche Ängste stiegen in der Wahrnehmung der Befragten. Die Menschen haben nicht nur eine bestimmte Angst, sondern Ängste. Die Stimmung in Deutschland ist angespannt, Angst als Kollektivempfindung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, wird spürbar. Dass diese sich auswirken wird und den Wahlkampf schon jetzt beherrscht, ist ersichtlich. Wie genau sich diese Angst auf die anstehenden Bundes- und Landtagswahlen auswirken wird, bleibt abzuwarten. Nicht „das Internet“, sondern Angst, Fragen und der Wunsch nach einfachen Erklärungen und Lösungen werden die Wahlen bestimmen. Dabei kann es mitnichten nur darum gehen, wie viel Prozent die AfD holt. Es wird darum gehen, wem die Bürger überhaupt noch trauen wollen und können und wer es schafft, den Bürgern die fehlende Sicherheit wieder plausibel in Aussicht stellen zu können.

 

Eingeflossene Quellen:

Materialien zur Studie „Die Ängste der Deutschen 2016“, online verfügbar, s. unten (letzter Zugriff am 30.01.2017).