Ein Mann buchte einen Flug von Frankfurt am Main nach Windhoek. Der Flug sollte planmäßig um 20.10 Uhr starten und am Tag darauf um 5.30 Uhr landen. Die tatsächliche Ankunftszeit war allerdings 13.30 Uhr.
Grund für die Verzögerung war laut Auskunft der Airline, dass das eingesetzte Flugzeug am Tag des geplanten Abflugs beschädigt worden sei. Es habe in Frankfurt auf der Parkposition gestanden und sei mit zwei Gepäckwagen kollidiert.
Diese waren nicht hinreichend gegen unkontrolliertes Wegrollen gesichert gewesen und wurden durch den Turbinenstrahl eines anderen Flugzeugs in Bewegung versetzt, sodass sie gegen das Flugzeug prallten. Wegen der Beschädigungen und aus Sicherheitsgründen habe ein anderes Flugzeug eingesetzt werden müssen, das erst Stunden später verfügbar war.
Der Passagier forderte von der Airline die Zahlung von 600 € Ausgleichsleistung wegen des verspäteten Flugs. Beim Bundesgerichtshof1 hatte die Klage Erfolg.
Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung
Seit 2005 existiert die EU-Fluggastrechteverordnung. Nach dieser hat der Reisende bei Verspätungen von mehr als drei Stunden, kurzfristig gestrichenen oder überbuchten Flügen Anspruch auf eine Entschädigung, den sogenannten Ausgleichsanspruch. Dessen Höhe beurteilt sich nach Entfernungskilometern. Das Luftfahrtunternehmen ist jedoch dann von dieser Ausgleichspflicht befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Verspätung des Flugs auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen war, die sich selbst bei Ergreifen aller Vorsichtsmaßnahmen hätten nicht vermeiden lassen. Im vorliegenden Fall war daher von entscheidender Bedeutung, ob ein solch außergewöhnlicher Umstand vorliegt, wenn ein Gepäckwagen mit einem Flugzeug in Parkposition kollidiert und es deshalb zu einer mehrstündigen Verspätung kommt.
Kollision war „Teil des Alltags“ eines Luftfahrtunternehmens
Außergewöhnliche Umstände, die nach der Fluggastrechteverordnung einen Ausgleich des Anspruchs des Passagiers wegen erheblicher Verspätung entgegenstehen könnten, sind nach Auffassung des Bundesgerichtshofs Umstände, die außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist. Es handelt sich also um Ereignisse, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern von außen kommende besondere Umstände, die die planmäßige Durchführung des Flugverkehrs beeinträchtigen oder unmöglich machen.
Ein solcher Umstand lag hier nicht vor. Die Kollision des Flugzeugs mit einem oder mehreren Gepäckwagen war als Vorkommnis anzusehen, das Teil des normalen Betriebsablaufs eines Luftfahrtunternehmens ist.
Ausschlaggebend dafür sei die Tatsache, dass Gepäckfahrzeuge bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt werden. Damit seien die Airlines regelmäßig mit Situationen konfrontiert, die sich aus dem Einsatz solcher Gepäckwagen auf dem Flughafengelände ergeben. Für die Airlines und die Flughafenbetreiber ist das Zusammenspiel von Gepäckwagen auf dem Flughafengelände mit parkenden Flugzeugen gängiger Alltag.
Eine andere Beurteilung sei nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch nicht deshalb geboten, weil die Gepäckwagen durch den Turbinenstrahl eines anderen Flugzeugs in Bewegung gesetzt worden waren. Die Begegnung mit anderen Flugzeugen auf dem Gelände eines Flughafens ist vielmehr eine Situation, die typisch ist für den Einsatz eines Flugzeugs. Gepäckfahrzeuge befinden sich häufig bereits beladen auf dem Rollfeld. Weshalb sie sich bei mangelnder Wegrollsicherung in Bewegung setzen und auf ein Flugzeug prallen, spiele keine Rolle.
Somit stand dem Reisenden der volle Ausgleichsanspruch zu.
Anmerkung:
Die vorliegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs lehnt sich in Ergebnis und Begründung an einen vergleichbaren Sachverhalt an, den der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden hat (vgl. RdW-Kurzbericht 19/2015): Dort hatten die Richter darüber zu befinden, ob ein Fluggast einen Ausgleichsanspruch dann hat, wenn das Flugzeug vor dem Zustieg der Passagiere mit dem Treppenfahr-zeug kollidiert, hierbei beschädigt wird und dadurch eine mehrstündige Verspätung eintritt. Auch in diesem Fall hat der Gerichtshof der Europäischen Union einen entsprechenden Ausgleichsanspruch der Passagiere gegen die Airline bejaht.
Vgl. auch RdW-Kurzberichte 360/2015: Flugannullierung wegen unerwarteter technischer Defekte sowie 287/2016: Flugverspätung bei Anschlussflug: Welche Airline muss zahlen.
1 Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.12.2016 – X ZR 75/15, besprochen in RdW 2017 Rn. 100
PRAXISHINWEISE:
Luftsicherheit – Einführung in die Aufgaben und Maßnahmen zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs
von Dr. Stefan Richter, 2013
Richard Boorberg Verlag, Stuttgart
3. Auflage, 274 Seiten, € 25,80
ISBN: 978-3-415-04733-4
http://www.boorberg.de/sixcms/detail.php?id=324664&hl=Luftsicherheit