Prävention und Sicherheit oder Lockstoff für Kidnapper?
Deutschland gehört zu den fünf Ländern mit dem höchsten Anteil an Geschäftsleuten im Ausland. Jährlich gehen zehn Millionen deutsche Arbeitnehmer beruflich ins Ausland, davon 40 Prozent in Krisengebiete. Seit Februar 2008 müssen sich Opfer einer Entführung an den Kosten ihrer Befreiung beteiligen. Grund genug für viele Firmen, sich nach einer Versicherung für diese Mitarbeiter umzusehen.
Sogenannte Kidnap & Ransom-Policen springen ein, wenn Mitarbeiter eines Unternehmens entführt oder Firmen erpresst werden. Kidnapping & Ransom ist ein sensibles Geschäft, das auf dem gegenseitigen Vertrauen des Versicherers und des Kunden beruht. Entführungspolicen werden dabei selten nur für die Spitzenmanager abgeschlossen. „85 Prozent sind Pauschaldeckungen, die alle Mitarbeiter eines Unternehmens umfassen“, sagt Peter Bensmann, Geschäftsführer bei der Firma Hansekuranz Kontor. Denn Entführungen treffen längst nicht nur das Top-Management, sondern auch Mitarbeiter wie beispielsweise Techniker.
Die Gefährdungslage ist aber nicht für jeden Mitarbeiter gleich, erklärt Marco Pohlers von der Sicherheitsfirma ATC-Sipro. Ein Mitarbeiter eines Bauunternehmens kann sich in der Ukraine – außer in den direkten Kampfgebieten – auch jetzt noch relativ gefahrlos bewegen, so Pohlers. „Bei einem EU-Sicherberater sieht das aber ganz anders aus.“ In anderen Gebieten sei es dagegen generell ein Risiko, als Europäer erkennbar zu sein. Das betrifft Afghanistan, Irak und afrikanische Staaten wie Libyen, Mali oder Nigeria. Aber auch die Hochrisikoländer in Südamerika und im arabischen Raum. In Mexiko, das als eines der gefährlichsten Länder gilt, wird im Schnitt jeden Tag ein Mensch entführt.
Heikles Thema
Das Thema Entführungsversicherung ist immer noch heikel. Die Verträge waren in Deutschland lange verboten; bis heute dürfen Anbieter dafür keine Werbung machen.
Die BaFin als federführende Aufsicht befürchtet, dass das Vorhandensein einer solchen Police Gangster erst auf die Idee einer Entführung bringen könnte. Unternehmen dürfen deshalb nicht bekannt geben, dass sie eine entsprechende Deckung abgeschlossen haben. Für jedes Unternehmen gibt es Codenamen. Innerhalb des Unternehmens dürfen lediglich drei Mitarbeiter wissen, dass eine Kidnap & Ransom-Versicherung abgeschlossen wurde. Die reisenden Kollegen dürfen diese Information nicht haben. Auch dies ist eine Vorgabe der BaFin.
In den vergangenen Jahren verzeichnete die Branche ein starkes Wachstum von 15 bis 20 Prozent. Die nachgefragten Versicherungssummen tendieren zwischen fünf und 15 Millionen Euro. „Für jedes Unternehmen wird die Prämie individuell angepasst und richtet sich nach Region und Anzahl der Mitarbeiter. Wenn ein mittelständischer Kunde zwei bis drei Personen in Hochrisikoländer schickt, variiert sie zwischen 10.000 bis 15.000 Euro“, sagt Frederik C. Köncke, Deutschlandchef der AON. Einen starken Wachstumsschub verzeichnet die Branche seit der „Islamische Staat“ über das Internet Enthauptungsvideos verbreitet.
„Seitdem ist das Interesse an diesen Versicherungen geradezu explosionsartig gestiegen“, erklärt seine Kollegin Anne Deiter, die bei AON Expertin für Entführung und Erpressung ist gegenüber der FAZ. Insgesamt dürften seit 1998 mehr als tausend K&R-Verträge allein in Deutschland geschlossen worden sein. Wie viele Neuabschlüsse es gibt, lässt sich schwer beziffern. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft erfasst nach eigenen Angaben diese Zahlen nicht, und die Unternehmen halten sich bedeckt.
Die maximale Deckungssumme beträgt 50 Millionen Euro bei einer durchschnittlichen Prämie von 50.000 Euro – das können sich nur die wenigsten Mittelständler leisten.
Prävention vor Ort
Alle Anbieter betonen, dass die Lösegeldzahlung bei Entführungspolicen gar nicht im Vordergrund stehe. Wichtiger seien vielmehr die Prävention und die Krisenberatung im Ernstfall. So sollen Unternehmen mögliche Sicherheitslecks mithilfe der erfahrenen Mitarbeiter von der Assekuranz schon vor dem Auslandsaufenthalt schließen. Angestellte werden ebenso wie Manager darin geschult, sich unauffällig zu verhalten, um sich nicht mit Rolex am Arm oder Designeranzug regelrecht als Opfer anzubieten. Wird doch einmal ein Mitarbeiter oder Manager entführt, stellen die Versicherer einen Krisenmanager bereit.
Das Verhalten vor Ort kann viel zur Sicherheit beitragen, sagt Peter Bensmann, Geschäftsführer bei der Firma Hansekuranz Kontor. „Es gibt viele Maßnahmen, die nichts kosten, aber die Sicherheit im Vorfeld deutlich erhöhen“, sagt er. Er rät Geschäftsleuten, die sich in Risikogebieten bewegen, auf ein unauffälliges Äußeres zu achten. Denn in vielen Großstädten Lateinamerikas häufen sich Kurzzeit-Kidnappings. „Zum Opfer wird, wer wohlhabend aussieht“, sagt Bensmann.
Oft fahren die Täter mit dem Entführten nur zum nächsten Bankautomaten. Er empfiehlt deshalb, die PIN-Nummer der Kreditkarte auswendig zu lernen. Außerdem sollte man Autotüren immer verriegeln und an roten Ampeln Abstand zum Vordermann lassen – sonst können Täter leicht in den Wagen gelangen. Geschäftsreisende sollten unauffälliges Gepäck ohne Firmennamen wählen und möglichst nur neutrale Visitenkarten dabei haben. Das gilt vor allem für Führungskräfte. „Wenn auf der Visitenkarte steht, dass sie Vorstandsmitglied sind, wird aus einer Express-Entführung schnell eine richtige Entführung“, sagt Bensmann.
„Richtige“ Entführungen finden selten spontan statt, sondern werden geplant. Davor kann man sich schützen, indem man möglichst unberechenbar bleibt: also nicht immer zur gleichen Zeit das Haus verlassen und nicht immer dieselbe Strecke fahren.
Die größten Anbieter
Die wichtigsten Anbieter in Deutschland sind die Allianz, HDI Gerling, Hansekuranz, Chubb, Hiscox und die Nassau Versicherung. Auch Lampe & Schwartze, die Muttergesellschaft von MRO, und Aon Crisis Management vom Versicherungsmakler Aon Jauch und Hübener bieten Kidnap & Ransom-Verträge an.
Quelle: ASW Norddeutschland – Info Sicherheit, Das Fachmagazin für Sicherheit in der Wirtschaft 2/2018, Seite 24