Ein bei einer SegwayTour im Anschluss an eine kaufmännische Traineeveranstaltung des Arbeitgebers erlittener Sturz eines Beschäftigten, bei dem dieser sich Frakturen am rechten Wadenbein und Sprunggelenk zugezogen hat, stellt keinen Arbeitsunfall dar, denn dieses Ereignis steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (Urteil vom 10.01.2019, S 1 U 3297/17, rechtskräftig).
Der Kläger erlitt im Jahr 2016 gegen 17.23 Uhr einen Unfall, als er bei einer SegwayTour im Anschluss an eine offizielle kaufmännische Trainee-Veranstaltung seiner Arbeitgeberin, die um 15.00 Uhr endete, stürzte und sich zwei Frakturen zuzog. Das kaufmännische Trainee-Treffen begann nach Angaben der Arbeitgeberin am Unfalltag um 10.00 Uhr und endete am gleichen Tag um 15.00 Uhr. An der Veranstaltung haben nach Auskunft der Arbeitgeberin insgesamt 8 Personen bei einer Gesamtbelegschaft von 111 Personen, alles Betriebsangehörige, teilgenommen. Von der Unternehmensleitung war ein Mitglied bis 19.00 Uhr anwesend.
Verrichtung einer versicherten Tätigkeit
Das Gericht hat die Klage auf Feststellung des Unfalls als Arbeitsunfall abgelehnt und dies unter anderem wie folgt begründet:
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Diese Verrichtung muss zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (BSG, Urteil vom 26.06.2014, B 2 U 4/13 R, zitiert nach Juris).
Diese Voraussetzungen hat das Gericht verneint. Der Kläger habe zum Zeitpunkt des Sturzes und der Brüche des Wadenbeins und Sprunggelenks bereits keinen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt. Er sei zwar Beschäftigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, habe jedoch bei der Teilnahme an der SegwayTour keine versicherte Tätigkeit verrichtet.
Betriebsbezogener Zweck
Eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter werde dann verrichtet, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechtsverhältnisses als Beschäftigter, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, einer Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen zu dem Zweck nachgeht, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil gereichen (BSG, a. a. O.). Ein derartiger betriebsbezogener Zweck sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht auf die Erbringung der Hauptleistung beschränkt, die Gegenstand des Beschäftigungsverhältnisses ist. Vielmehr könne er auch für eine Anzahl sonstiger Tätigkeiten angenommen werden, die dem Unternehmensinteresse dienen. Hierzu können z. B. Fortbildungsmaßnahmen mit dem Ziel gehören, eine Verbesserung der beruflichen Leistungsfähigkeit im erlernten und ausgeübten Beruf zu erreichen. Eine dem Versicherungsschutz unterliegende Tätigkeit könne auch in der Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung liegen, mit der das Unternehmensinteresse unterstützt wird, die betriebliche Verbundenheit zu fördern (BSG, a. a. O.). So könne die Traineeveranstaltung, die am Unfalltag um 10.00 Uhr begonnen und am gleichen Tag um 15.00 Uhr geendet habe, als eine Fortbildungsveranstaltung im Unternehmensinteresse angesehen werden, weshalb insoweit für den Kläger und die anderen Trainees bei dieser Veranstaltung Versicherungsschutz bestanden habe.
Förderung des Betriebsklimas allein genügt nicht
Dies gelte jedoch nicht für die SegwayTour, die im offiziellen Programm als Tagesordnungspunkt „geführte Stadtrundfahrt auf dem Segway“ von 16.00 Uhr – 18.00 Uhr angekündigt worden sei. So bestehe für eine Aktivität, die im Rahmen einer Tagung einem abgrenzbaren Freizeitprogramm zuzuordnen sei, kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung als Beschäftigter. Bei Tagungen stehen Programmpunkte, die erkennbar und abgrenzbar vom übrigen Programm der Unterhaltung, Entspannung und Geselligkeit sowie der Auflockerung der Veranstaltung dienen, nicht unter Versicherungsschutz. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts, auf das sich die Beklagte in ihrer Entscheidung stütze (Urteil vom 24.05.2016, L 3 U 175/13, Fundstelle Juris) selbst dann, wenn sie vom Arbeitgeber organisiert und finanziert worden seien und der Arbeitgeber die Teilnahme seiner Mitarbeiter erwarte. Stehen Freizeit, Unterhaltung oder Erholung im Vordergrund, fehle es an einem wesentlichen betrieblichen Zusammenhang. Es stehe einem Arbeitgeber zwar frei, seinen Mitarbeitern entsprechende Veranstaltungen anzubieten. Er habe es dadurch jedoch nicht in der Hand, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf sonst unversicherte Tatbestände auszuweiten, und zwar auch dann nicht, wenn hierdurch die persönliche Verbundenheit einer Gruppe von Beschäftigten mit dem Unternehmen gestärkt werden würde (Bayerisches Landessozialgericht, a. a. O.). So mache allein die Tatsache, dass jede gemeinsame Freizeitbeschäftigung mit Kollegen und/oder Vorgesetzten mittelbar auch dem Betriebsklima zugutekomme, aus der privaten Beschäftigung keine betriebsdienliche (Bayerisches Landessozialgericht, a. a. O.).
Nach eigener Prüfung schließe sich die erkennende Kammer dieser Rechtsauffassung an. Auch das Hessische Landessozialgericht habe in seinem Urteil vom 20.07.2015 (L 9 U 69/14, Fundstelle Juris) entschieden, dass für eine Aktivität, die im Rahmen einer Führungskräftetagung einem abgrenzbaren, freiwilligen Freizeitprogrammteil zuzuordnen sei, kein Versicherungsschutz bestehe. Darüber hinaus habe das Hessische LSG entschieden, dass Voraussetzung für die Annahme einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung sei, dass eine bestimmte Mindestbeteiligung gegeben und der Teilnehmerkreis nicht auf bestimmte Betriebsangehörige des Unternehmens beschränkt sei. Vielmehr sei erforderlich, um als der Gemeinschaft dienend beurteilt zu werden, dass die Veranstaltung allen Beschäftigten offenstehe. Richte sich das Teilnahmeangebot des Unternehmens ausschließlich an eine bestimmte Gruppe von Betriebsangehörigen, so bestehe kein Unfallversicherungsschutz während der Veranstaltung (Hessisches Landessozialgericht, a. a. O.).
Teilnahme muss allen Betriebsangehörigen offenstehen
In diesem Zusammenhang habe das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 13.12.2011 (L 9 U 4092/10, Fundstelle Juris) entschieden, dass eine objektive Teilnahmemöglichkeit der gesamten Belegschaft an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung dann nicht gegeben sei, wenn die Veranstaltung mit Gefahren verbunden sei, die erwarten lassen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Belegschaft von einer Teilnahme Abstand nehmen werde. Gleiches gelte nach Auffassung des Gerichts auch dann, wenn ein Teil der Belegschaft aus anderen Gründen an der angebotenen Teilnahme rein faktisch gehindert sei.
Die erkennende Kammer folgt dieser Rechtsprechung und kommt, wie die Beklagte, aufgrund der Angaben der Arbeitgeberin des Klägers und des Klägers selbst zum Ergebnis, dass die SegwayTour nicht als Teil des versicherten Tagungsprogramms und nicht als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe. Sie hat abschließend darauf hingewiesen, dass das offizielle Traineetagungsprogramm um 15.00 Uhr geendet habe und die SegwayTour auch nicht allen Betriebsangehörigen, sondern lediglich den kaufmännischen Trainees, offengestanden habe.
Quelle: Pressemitteilung des Sozialgerichts Stuttgart 'Auszug der aktuellen Rechtsprechung des Sozialgerichts Stuttgart (Stand: August 2019)' vom 02.08.2019, zuletzt abgerufen am 08.08.2019.