Die Zerstörung der CDU – unter diesem Titel veröffentlichte der Youtuber Rezo kurz vor der Europawahl Ende Mai 2019 ein Video. Fast eine Stunde lang führt er aus, für welche politischen Verfehlungen die CDU seiner Meinung nach verantwortlich ist. Entsprechende Quellen für seine Thesen fügt der Youtuber umfangreich bei. Die Botschaft des Videos: Vor allem die Unionsparteien seien bei der Europawahl nicht wählbar.
Forderung der CDU
Für das eher mäßige Ergebnis der CDU bei der Europawahl machte die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer u. a. das Video von Rezo verantwortlich. Man müsse darüber nachdenken, ob die Regeln, die „klassische“ Journalisten üblicherweise bei der Berichterstattung beachten müssen, nicht auch auf die digitale Welt übertragen werden sollten.
Politische Reaktionen
Die Reaktionen aus der Politik auf diesen Vorschlag kamen schnell und heftig. Tenor: Die CDU-Vorsitzende wolle die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken und das sei nicht akzeptabel. Eine vorhersehbare Reaktion und dennoch grundsätzlich falsch. Das BVerfG hat in seiner Soraya-Entscheidung festgestellt: Weder Art. 5 GG noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 und 2 GG haben automatisch Vorrang vor dem anderen Recht. Vielmehr bedarf es immer einer Abwägung, welches Recht schwerer wiegt. Somit kann also auch die Meinungs- und Pressefreiheit des Art. 5 GG eingeschränkt werden.
Juristische Reaktionen
Ebenso wenig ließen die juristischen Kommentare zu dieser Causa lang auf sich warten. Es wurde viel diskutiert: Wenn journalistische Grundsätze für Youtuber gelten sollen, dann müssten Youtuber auch journalistisch tätig sein – woran man erhebliche Zweifel haben könne. Und wenn sie denn Journalisten sind, dann stünde ihnen auch die sog. Tendenzfreiheit zu. Diese Freiheit erlaubt vor allem Zeitungsverlagen, in eine bestimmte politische Richtung zu schreiben, ohne dass auf eine politische Ausgewogenheit zu achten sei. Auch wurde überlegt, ob eventuell der Rundfunkstaatsvertrag für Youtuber gelte. Und im Übrigen könne sich Rezo auf das sog. Laienprivileg berufen.
Zurück zur demokratischen Diskussionskultur
In der Zwischenzeit hat sich die etwas erhitzte Diskussion wieder abgekühlt und Ursula von der Leyen wurde zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt. So schlecht lief die Europawahl dann doch nicht für die CDU. Zeit also, auf einen alten juristischen Grundsatz zu blicken, der in der Diskussion völlig außer Acht geblieben ist. Die Rede ist von „Audiatur et altera pars“: Auch die andere Seite möge gehört werden. Es ist gute Tradition und gehört zur journalistischen Sorgfaltspflicht, dass Journalisten diejenigen, die sie kritisieren, ebenfalls zu Wort kommen lassen. So ist gewährleistet, dass auch die Sicht des Kritisierten Gehör findet. Dies wäre Rezo bei seinem Video zur CDU auch problemlos möglich gewesen. Eine Mail an die Pressestelle der CDU hätte gereicht. Deshalb gilt für Rezo hier auch nicht das Laienprivileg. Ob Rezo vor Veröffentlichung des Videos Kontakt zur CDU aufgenommen hat, ließ er trotz Nachfrage durch den Verfasser unbeantwortet. Eine Frage bleibt: Müssen Youtuber überhaupt den Grundsatz „Audiatur et altera pars“ kennen? Dazu nur so viel: Wer Auto fährt, muss auch einen Führerschein machen. Soll heißen: Wer – auf welcher Plattform auch immer – Beiträge oder Videos veröffentlicht, sich also im weitesten Sinne journalistisch betätigt, sollte sich vorher informieren, welche ganz grundsätzlichen Regeln hierfür gelten. Und demjenigen, der kritisiert wird, das Recht zur Äußerung einzuräumen, ist eine leichte Übung, die übrigens zu einer demokratischen Diskussionskultur gehört.
Streisand-Effekt beachten
An dieser Stelle ist also im Zusammenhang mit dem Rezo-Video festzuhalten: Sollte Rezo der CDU nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt haben, so hätte sie tatsächlich Grund, sich über das Rezo-Video zu beklagen. Allerdings wurde der sog. Streisand-Effekt nicht beachtet. Dieser ist benannt nach der US-amerikanischen Sängerin Barbara Streisand. Sie wollte die unrechtmäßige Publikation eines Bildes ihrer Villa juristisch verbieten lassen. Der Effekt war: Das Bild wurde folglich erst recht überall veröffentlicht und zog eine negative PR-Welle nach sich.
Besser: App-Regel
Statt eines juristischen Vorgehens gegen Veröffentlichungen hat sich in der beruflichen Praxis die sog. App-Regel bewährt. Sie steht für a = anrufen, p = parlieren und p = publizieren. Gemeint ist damit: Wenn man sich von einer journalistischen Veröffentlichung benachteiligt fühlt, sollte man den entsprechenden Journalisten kontaktieren und darauf hinweisen, auch die Gegenseite zu hören. Im besten Fall wird dann nochmals ein neuer, positiver Beitrag veröffentlicht.
Quelle: Der Wirtschaftsführer für junge Juristen, Ausgabe 2019/2020