Sicherheitskonzepte

Coronaviren in Klimaanlagen?

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Für die Ausbreitung von Epidemien und Pandemien sind die Übertragungswege der jeweiligen Infektionserreger entscheidend. Bei dem aktuellen COVID-19 geht das Robert Koch-Institut davon aus, dass die am meisten verbreitete Übertragungsart die Tröpfcheninfektion ist. Diese kann durch Niesen und Husten entstehen und wird über den Luftweg über sehr kurze Distanzen von ungefähr einem bis zwei Metern übertragen. Darüber hinaus gibt es noch die Schmierinfektion durch Oberflächenkontakt kontaminierter Bereiche. Dabei kann eine Übertragung durch Hand zu Hand, oder auch von Fläche zu Hand erfolgen. Die Infektion erfolgt dann durch den Kontakt der kontaminierten Hände mit dem Mund, der Nase oder auch der Augen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es darüber hinaus noch den fäkal-oralen Übertragungsweg, der beispielsweise beim Spülen einer Toilette auftreten kann.

Im Zuge der vielfältigen Berichterstattung zum Thema COVID-19 bleibt es nicht aus, dass nun auch die Klimaanlagen, beispielsweise in Zügen, auf Schiffen oder in Gebäuden, unter Verdacht geraten, als Infektionsüberträger zu fungieren. Um eine konkrete Beantwortung dieser Frage vorwegzunehmen: Es liegen bisher keinerlei Studien oder Erkenntnisse vor, dass Klima- und Lüftungsanlagen die Virenausbreitung beschleunigen oder nicht.

Eine oft gestellte Frage:

Werden die Coronaviren durch die Lüftungsanlagen herausgefiltert? Gehen wir davon aus, dass die in Frage kommenden Klima- und Lüftungsanlagen normgerecht ausgeführt wurden, so entsprechen diese in ihrer Auslegung den Anforderungen der EN ISO 16890 „Luftfilter für die allgemeine Raumlufttechnik“. Diese Norm hat die bis vor ca. zwei Jahren gültige EN 779 ersetzt und gilt nicht als globale Norm. Für den europäischen Raum ist sie jedoch bindend. In dieser Norm betrachtet man Filter, die in einer gewissen Effektivität Feinstaub mit einer Partikelgröße von bis zu einem Mikrometer ausfiltern können.

Kurzes Beispiel:

Ein Filter gemäß EN ISO 16890 mit der Bezeichnung ISO ePM1 (80%) filtert mindestens 80 Prozent aller Partikel der Größe von einem Mikrometer aus. Das entspricht laut den Empfehlungen der Expertenarbeitsgruppe des VDI (Verein Deutscher Ingenieure) und SWKI (Schweizerischer Verein von Gebäudetechnik-Ingenieuren) in etwa dem F9-Filter gemäß alter Norm EN 779 und wird als Feinfilter bezeichnet. Nimmt man die Partikelgröße des COVID-19 mit zirka 120 bis 160 Nanometer, so ist der Abscheidegrad der Feinfilter für die kleineren Coronaviren nicht ausreichend. Dennoch ist es möglich, dass sich viele dieser kleinen Partikel durch Diffusionsmechanismen zu größeren Partikeln zusammenbinden, die sich dann im Abscheidebereich der Feinfilter befinden. Dadurch könnte eine geringe Reduzierung von Viren in kontaminierter Luft erfolgen.

Eine Ausfilterung der Coronaviren in ihrer tatsächlichen Größe ist durch die oben aufgeführten Filter für allgemeine Belüftungsanlagen gemäß EN ISO 16890 somit nicht zu erreichen. Dafür setzt man Filter mit hoher Effektivität ein, die gemäß EN 1822 als so genannte EPA- (efficiency-particular airfilter), HEPA- (high efficiency-particular airfilter) und ULPA-Filter (Ultra Low Penetrating Air Filter) klassifiziert sind. Das sind Schwebstofffilter, die beispielsweise in Reinräumen oder in Operationssälen in Krankenhäusern zum Einsatz kommen.

Für den allgemeinen Umgang mit Klimaanlagen in der Pandemiezeit hat der REHVA (Federation of European Heating, Ventilation and Air Conditioning Associations) folgende Empfehlungen herausgegeben:

  1. Erhöhung der Außenluftzufuhr
    Die Betriebszeiten von mechanischen Belüftungssystemen sind der Situation anzupassen. Dabei sollte die Anlage einige Stunden früher in Betrieb gehen und auch später als üblich abgeschaltet werden. Entgegen den Anforderungen an die Energieeffizienz sollte der Außenluftanteil so hoch wie möglich sein, um eine gute Durchlüftung der betroffenen Bereiche zu ermöglichen. Ein besonderes Augenmerk gilt den Abluftanlagen in Toiletten, die in Dauerbetrieb und möglichst mit Unterdruck gefahren werden, um den fäkal-oralen Übertragungsweg zu unterbrechen.
    Darüber hinaus sollte man Räume ohne Be- und Entlüftungsanlage über Fenster und Türen lüften. Eine geeignete Maßnahme ist die Querströmung im Gebäude oder einer Etage, die durch das Öffnen von Fenster oder Türen in anderen Räumen realisiert werden kann.
  2. Ausreichende Luftfeuchte
    Nach derzeitigem Wissensstand ist die Übertragung der Coronaviren durch Veränderung der Lufttemperatur und -feuchte im Normalbereich nur schwer in den Griff zu bekommen. Das Virus ist nur bei einer sehr hohen relativen Luftfeuchtigkeit von über 80 Prozent und einer Temperatur von über 30 Grad Celsius anfällig. Das sind Bereiche, die mit Hilfe von Klimaanlagen standardmäßig nicht zu erreichen sind. Dennoch ist eine relative Raumluftfeuchte von über 30 Prozent zu realisieren, um ein Austrocknen von Schleimhäuten zu vermeiden.
  3. Keine Verwendung von Umluft
    Ebenso empfiehlt der REHVA, derzeit eine zentrale Umluftumwälzung in Klimaanlagen für Aufenthaltsbereiche zu vermeiden. Dabei sind die Umluftklappen geschlossen zu halten, eventuelle Probleme mit der Kühl- oder Heizleistung sollen zu Lasten des Komforts in Kauf genommen werden. Die Vermeidung der Kontaminationen steht an erster Stelle.

    Den Leitfaden der REHVA kann man im englischen Original unter folgender Internetadresse herunterladen: www.rehva.eu/activities/covid-19-guidance. Auf Grund von in vielen Teilen nicht belastbaren Informationen zum Coronavirus sind die obengenannten Aspekte nur als Empfehlung zu betrachten und haben keinen bindenden Charakter. Der Dachverband schließt jegliche Haftung durch Schäden aus, die aus der Verwendung des Leitfadens entstehen.

Ursachenforschung im Fall Tönnies

Wie sich die Situation derzeit laut Medienberichten darstellt, hat der Fleischverarbeitungskonzern Tönnies offenbar tragischerweise alle drei Empfehlungen nicht beachtet.

 


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