Umfangreiche Sicherungsmaßnahmen sind zum Schutz der Gebäude und Besucher erforderlich. Der Antisemitismus wird durch Neonazis, Rechtsradikale und arabische Flüchtlinge befeuert. Die Folge: Das Vertrauen der jüdischen Bürger in die Polizei schwindet.
Der rechtsextreme Terroranschlag auf die Synagoge in Halle zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kip-pur im vorletzten Jahr hat das mörderische Ausmaß antisemitischer Gewalt und die Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland auf dramatische Weise verdeutlicht. Seit mehreren Jahrzehnten sind Synagogen und jüdische Einrichtungen im Fadenkreuz von radikalen und terroristischen Gruppierungen. Der Polizeischutz von jüdischen Einrichtungen geht auf den Münchner Anschlag von 1972 zurück, bei dem israelische Olympiateilnehmer und deutsche Polizisten durch palästinensische Terroristen („Schwarzer September“) getötet wurden. Anders als z.B. in Frankreich wurden die Anschläge gegen Synagogen in Deutschland in den letzten Jahren von antisemitischen Einzeltätern (sogen. Lone Wolf) verübt.
Schutz jüdischer Einrichtungen
Der Schutz jüdischer Einrichtungen obliegt den Bundesländern und wird von den zuständigen Polizeikräften wahrgenommen. „In Abstimmung mit den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt erstellen die örtlichen Polizeibehörden nach objektiven Kriterien Lageberichte und Gefährdungsanalysen“, erklärt Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Hessen, in einem Gespräch mit dem NDR/Tagesschau. Das führe dazu, dass lokal Sicherheitskräfte, wie in Hamburg und Berlin, extra eingestellt wurden. Den Innenschutz müssen die jüdischen Gemeinden und Einrichtungen jedoch selbst organisieren.
Nach dem Anschlag in München von 1972 wurden in der Folgezeit zunächst Mordanschläge gegen jüdische Prominente in den 1980er Jahren und erst ab Anfang der 1990er Jahre ereigneten sich weitere Anschläge gegen Gebäude und Angriffe gegen jüdische Menschen: Seit 1992 wurden mindestens 67 Anschläge gegen Synagogen, jüdische Einrichtungen und jüdische Personen verzeichnet. Seit einigen Jahren nimmt die Brutalität der Angriffe jedoch zu.
Beispiele für Angriffe auf jüdische Einrichtungen und Personen
Anschlag auf Synagoge |
20.Juli 1992 |
Erfurt |
Der bekannte Neonazi Thomas Dienel wirft zwei Schweinekopfhälften in den Vorgarten der Erfurter Synagoge. |
Brandanschlag auf Synagoge |
25. März 1994 |
Lübeck |
Vier Täter mit rechtsextremem Hintergrund warfen Molotowcocktails in das Gebäude. |
2. Brandanschlag auf Synagoge |
7. Mai 1995 |
Lübeck |
Zweiter Brandanschlag auf diese Synagoge. Ein angrenzendes Gebäude brannte aus. |
Brandanschlag auf neue Synagoge |
20. Apr. 2000 |
Erfurt |
Der Brand wurde von Anwohnern gelöscht. 2 rechtsradikale Täter verurteilt. |
Brandanschlag auf die neue Synagoge |
3. Oktober 2000 |
Düsseldorf |
Zwei Jugendliche arabischer Herkunft warfen drei Molotowcocktails gegen das Gebäude. |
Brandanschlag auf die alte Synagoge |
7. Oktober 2000 |
Essen |
Nach einer Demonstration von libanesischen Palästinensern bewarfen ca. 250 Randalierer die Alte Synagoge mit Steinen. |
Brandanschlag auf die Synagoge Fraenkelufer |
28. April 2002 |
Berlin |
Unbekannte Täter warfen Molotowcocktails auf das Gebäude. |
Versuchter Anschlag auf das Jüdische Zentrum |
9. November 2003 |
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Bombenanschlag durch rechtsradikale Kameradschaft geplant. |
Brandanschlag auf die Synagoge |
17. Mai 2010 |
Worms |
Unbekannte Täter legten an acht verschiedenen Stellen des Gebäudes Feuer. |
Brandanschlag auf neue Synagoge |
30.Oktober 2010 |
Mainz |
Unbekannte Täter warfen einen Brandsatz auf die Synagoge, der allerdings keinen Schaden anrichtete. |
Zerstörung der Tür Gemeindezentrum |
9. November 2013
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Pinneberg
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Glasscheibe Eingangstür zertrümmert |
Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge |
29. Juli 2014
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Wuppertal
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Drei Palästinenser warfen Brandsätze gegen den Eingang der Bergischen Synagoge |
Versuchter Messerangriff auf die Neue Synagoge |
4. Okt. 2019
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Berlin
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Syrer kletterte über Sicherheitszaun und bedrohte Sicherheitspersonal mit Messer |
Anschlag auf Synagoge |
9. Oktober 2019 |
Halle/Saale
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Täter versucht Eingangstür aufschießen, setzt Sprengmittel ein und erschießt zwei Passanten |
Anschlag auf Besucher Synagoge |
4. Oktober 2020
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Hamburg
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Angriff mit Klappspaten gegen einen Gottesdienstbesucher beim Betreten des Hauses 20 m von der Polizeiwache entfernt |
Steinwürfe auf Synagoge |
14. und 20. Nov. 2020
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Essen
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Täter warf mehrfach kiloschwere Stein e gegen die Synagoge, Fenster wurden beschädigt |
Angriff auf Synagoge, Verbrennen israelischer Flaggen, Rufen antisemitischer Parolen |
Mai 2021
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Bonn, Münster, Gelsenkirchen
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Im Rahmen von Demonstrationen gegen Israel: In Bonn und Münster wurden vor den Synagogen Flaggen Israels verbrannt, in Bonn zusätzlich der Eingangsbereich der Synagoge mit Steinen beschädigt. |
Brandanschlag auf Synagoge |
5. Juni 2021
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Ulm
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Täter entzündete brennbare Flüssigkeit am Gebäude |
Grundsätzlich wird bei Sicherungsmaßnahmen zwischen Polizei- und Objektschutz unterschieden. Absperrpoller an der Straße, Sicherheitszaun und Sicherheitsschleusen, gepanzerte Türen, Ausweis- und Taschenkontrollen – das alles ist mittlerweile nicht aus dem Alltag der jüdischen Einrichtungen wegzudenken. Die meisten Synagogen, Gemeindezentren, Schulen und Kindergärten unterliegen heute diesem Objektschutz. Jede jüdische Gemeinde verfügt über einen Sicherheitsbeauftragten, große Synagogen sogar über eine Sicherheitsabteilung.
Weitere Sicherheitsmaßnahmen
Zunehmend erfolgt auch eine Videoüberwachung im Perimeter Schutz mit Livebildern in eine Sicherheitszentrale. Alle Gottesdienste und Veranstaltungen werden bei der Polizei angemeldet. Besucher müssen sich fünf Tage vor einer Veranstaltung anmelden – zum Zwecke einer Personenüberprüfung.
Grundsätzlich seien alle jüdischen Einrichtungen geschützt. Allerdings: „Je größer und prominenter eine Gemeinde ist, desto besser ist auch der Schutz“, sagt Neumann. Das heißt: In Abhängigkeit von der Gefährdungslage und der Prominenz einer Einrichtung könne es durchaus sein, dass vor einer Synagoge dauerhafte Polizeiposten errichtet werden, während vor einer anderen keine Beamten patrouillieren – oder diese nur in bestimmten Abständen im Rahmen einer mobilen Überwachung bestreifen.
Unabhängig davon treffen die Gemeinden zusätzlich eigene Sicherheitsvorkehrungen – häufig im intensiven Austausch mit Sicherheitsbehörden und deren Vorgaben. Dieser Objektschutz reicht von Überwachungskameras über Poller bis hin zur eigenen Security. Viele Gemeinden setzen hier auf ehemalige Angehörige der israelischen Armee oder Polizisten im Ruhestand. Doch auch hier zeichne sich ein ähnliches Bild ab wie beim Polizeischutz, erläutert Neumann: Je größer und prominenter eine Einrichtung, desto besser auch die Sicherheitsmaßnahmen. Der Grund dafür sei die finanzielle Aufstellung – kleinere Gemeinden könnten es sich schlicht nicht leisten, eigene Sicherheitskräfte zu beschäftigen oder Sicherheitsschleusen zu installieren.
Unter Umständen können die Gemeinden von den Bundesländern Zuschüsse für den Schutz ihrer Einrichtungen bekommen. So erhielt etwa die Jüdische Gemeinde zu Berlin nach Darstellung des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus „zusätzlich und freiwillig seit dem Jahr 2000 nach Absprache mit dem Landeskriminalamt (LKA) Berlin und der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Leistungen für eigenes Sicherheitspersonal“. Von 2008 bis 2012 seien die Beiträge jährlich von fast 1,8 Millionen Euro auf knapp über 2,5 Millionen gestiegen. Und Nordrhein-Westfalen zahlte 2015 3,78 Millionen Euro für Sicherheitsmaßnahmen der jüdischen Einrichtungen.
Auswirkungen der rassistisch-ideologischen Angriffe
Andere Religionen sind von rassistisch-ideologischen Angriffen auch betroffen, so Moscheen in Niedersachsen. Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, sagte Anfang Oktober 2020: „Wir müssen uns als Gesellschaft schützend vor Menschen aller Religionen und Kulturen, egal welcher Herkunft, stellen. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit diesen erhöhten Schutzmaßnahmen ein deutliches Signal senden: Wir dulden keine Gewalt gegen Juden und Muslime. Und generell gilt: Wenn Menschen wieder aufgrund ihrer Religion oder Herkunft Angst haben müssen, bricht in diesem Land etwas zusammen. Das können und dürfen wir nicht zulassen.“
Jedoch: Die allerwenigsten Betroffenen von antisemitischen Attacken bringen es übers Herz, zur Polizei zu gehen. Nur in 20 Prozent der Fälle erstatten sie Anzeige berichtet die Zeitung „Jüdische Allgemeine“ Mitte Oktober. „So gering ist das Vertrauen, das hat in der vergangenen Woche erst wieder eine Studie der EU-Agentur für Grundrechte offenbart. So groß ist die Vertrauenskrise, in der dieser Rechtsstaat steckt, indem Woche für Woche neue rechtsextreme Vorfälle aus den Reihen der Polizei ans Licht kommen.“
Der Brandanschlag auf die Synagoge in Ulm mache fassungslos, betonte der geschäftsführende Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner. “ Mit jedem Anschlag auf jüdische Gebäude und jüdisches Leben wachse die Angst der Überlebenden des Holocaust, dass „die Schlacht gegen den aktuellen Antisemitismus in Wirklichkeit längst verloren ist und sie ihren Kindern und Enkelkindern eine Welt hinterlassen, in der auch ein neues Auschwitz möglich sein kann“.
Die jüdischen Dachorganisationen stehen im engen Austausch mit dem Staatsschutz sowie Vertretern aus den Ministerien. In Berlin setzt sich nach Anschlägen eine sogenannte „reaktive Gruppe“ zusammen. Wie sich nach dem Anschlag in Halle herausstellte, hatte das innere Sicherheitspersonal keine Maßnahmenschulung erhalten, diese wurde erst später nachgeholt. Der aktuelle Anschlag in Hamburg zeigt, dass der Täter in der Vortatphase durch sein äußeres Erscheinungsbild, seinem Gangbild sowie den Adaptoren hätte rechtzeitig auffallen müssen, um eine Intervention durchzuführen. Schulungsbedarf des Objektschutzpersonals für das Umfeld von Synagogen (sogen. Spotter) sowie des inneren Sicherheitspersonals für professionelles Reagieren ist eindeutig vorhanden.
Quelle: Protector 12/2020
Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gibt die Einschätzung des Autors wieder.
Hinweis: Lesen Sie in der vorangegangenen Ausgabe des Sicherheitsmelders: „Krieg im Gazastreifen: Antisemitismus in Deutschland“ (von Dienstbühl, Dorothee).