Bei einer Gefährdungsbeurteilung in einem Unternehmen hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. Die Sanktionierung eines Fehlverhaltens ist aber nicht Sache des Betriebsrats, sondern der zuständigen Ordnungsbehörden.
Ausgangsfall
Ein Unternehmen, das Briefe und Paketsendungen zustellt und verteilt, beabsichtigte, in Schleswig-Holstein eine neue mechanisierte Zustellbasis einschließlich einer Paketverteileranlage in Betrieb zu nehmen. Es handelte sich um eine Halle mit ca. 25 Verladetoren für Paketzustellfahrzeuge. Die aus einem anderen Paketzentrum angelieferten Briefe und Pakete sollten an den neuen Standort angeliefert, entladen und über eine Paketverteileranlage zu den jeweiligen Beladetoren transportiert werden.
Im Juli 2020 forderte der Betriebsrat das Unternehmen auf, mit ihm Verhandlungen über die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme der neuen mechanisierten Zustellbasis aufzunehmen. Es kam in dem Zusammenhang zu Verhandlungen vor einer Einigungsstelle und zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über den Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer weiteren Einigungsstelle zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung für die neue mechanisierte Zustellbasis. Ohne Einbindung des Betriebsrats erstellte das Unternehmen aufgrund einer von der zuständigen Berufsgenossenschaft herausgegebenen »Muster-Gefährdungsbeurteilung« eine solche Beurteilung. Der Betriebsrat beantragte wegen seiner fehlenden Einbindung in die Vornahme der Gefährdungsbeurteilung den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der die Aufnahme von Tätigkeiten in der mechanisierten Zustellbasis ohne Einigung mit ihm oder per Einigungsstelle untersagt werden sollte. Nach seiner Auffassung stand ihm ein entsprechender Unterlassungsanspruch zu. Eine Maßnahme des Gesundheitsschutzes ohne seine Beteiligung dürfe nicht durchgeführt werden. Das Unternehmen hingegen verwies auf die in Abstimmung mit der Berufsgenossenschaft entwickelte Muster-Gefährdungsbeurteilung und darauf, dass der Betriebsrat diese Beurteilung seit Jahren akzeptiert habe.
Das Arbeitsgericht wies die Anträge des Betriebsrats zurück. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein1 sah dies genauso.
Kein Untersagungsanspruch
Nach Auffassung der Richter bestand kein Anspruch des Betriebsrats darauf, die Aufnahme der Tätigkeit in der mechanisierten Zustellbasis und die Verwendung der dort installierten Paketverteilungsanlage zu untersagen. Zwar sei die Mitbestimmung des Betriebsrats auch im Rahmen des § 87 Abs. 1 Ziffer 7 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung für das Handeln des Arbeitgebers. Flankierend zu seinem Mitbestimmungsrecht könne der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen verlangen. Sei das mitbestimmungswidrige Verhalten bereits vollzogen, bestünde ein Anspruch des Betriebsrats, diesen mitbestimmungswidrigen Zustand wieder zu beseitigen. So könne in diesem Fall der Betriebsrat die »Beseitigung« der erfolgten und bereits durchgeführten Gefährdungsbeurteilung verlangen. Ein solcher Anspruch sei aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Sanktionierung obliegt der Ordnungsbehörde
Hier bestünde jedenfalls das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung vor Inbetriebnahme der mechanisierten Zustellbasis. Die Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Gefährdungsbeurteilung vor der Inbetriebnahme zu erstellen, folge aus § 4 Abs. 1 der Betriebssicherheitsverordnung und aus § 3 Abs. 3 der Arbeitsstättenverordnung. Das werde dadurch belegt, dass bei fehlender oder fehlerhafter Einbindung des Betriebsrats Ordnungswidrigkeiten nach den beiden zuletzt genannten Verordnungen vorliegen könnten.
Die Sanktionierung des Fehlverhaltens der Arbeitgeberin – mit dem Betriebsrat vor Durchführung der Gefährdungsbeurteilung eine Vereinbarung herbeizuführen – sei aber nicht Sache des Betriebsrats, sondern der zuständigen Ordnungsbehörden. Jedenfalls sei die von der Arbeitgeberin vorgenommene Gefährdungsbeurteilung mangels Einbindung des Betriebsrats unwirksam. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe fort und sei nicht etwa durch Zeitablauf erloschen, weil mittlerweile die Zustellbasis in Betrieb genommen sei. Da der Betriebsrat aber nur bei der Festlegung der Regelungen, nach denen die Gefährdungsbeurteilung erfolgen solle, mitzubestimmen habe, stehe ihm kein Anspruch zu, die Nutzung und Tätigkeit der Zustellbasis zu untersagen. Weil das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats fortbestehe, könnten und müssten jetzt noch Regelungen über die Grundlagen der Gefährdungsbeurteilung vereinbart werden.
Im Übrigen seien die Arbeitnehmer nicht schutzlos. Denn sie seien nicht verpflichtet, unter Bedingungen zu arbeiten, die nicht den Vorschriften des Arbeitsschutzes entsprächen und hätten in diesem Fall ein Leistungsverweigerungsrecht.
Praxistipp:
Die Entscheidung zeigt, dass eine Gefährdungsbeurteilung nicht ohne ordnungsgemäße betriebsverfassungsrechtliche Einbindung des Betriebsrats durchgeführt werden sollte. Auch wenn in vergleichbaren Fällen die Inbetriebnahme von Anlagen vom Betriebsrat nicht untersagt werden kann, könnte eine Ordnungswidrigkeit vorliegen und auch die betriebsverfassungswidrige Vorgehensweise des Arbeitgebers auf andere Weise geahndet werden. Es lohnt sich also, auch insoweit bestehende Mitbestimmungsrechte zu wahren.
1 Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 12. Januar 2021– 1 Ta BVGa 4/20
Besprochen in RdW 2021, Heft 13, Randnummer 254