Dauert nach einem nicht selbst verschuldeten Verkehrsunfall die Reparatur des Autos – etwa wegen fehlender Ersatzteile – außergewöhnlich lange, muss die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers trotzdem die Entschädigung hierfür bezahlen. Dies gilt auch, wenn ein Dritter dem Betroffenen einen kostenlosen Ersatzwagen zur Verfügung stellt.
Ausgangsfall
Eine Frau hatte einen Autounfall. Der unfallbeteiligte Fahrzeugführer war bei Rot über eine Ampel gefahren. Die Frau brachte ihren Wagen in eine Werkstatt. Da ein Airbag-Teil für die Beifahrerseite zunächst nicht lieferbar war und sich anschließend noch ein weiterer Schaden an dem Fahrzeug zeigte, für den ebenfalls ein Teil bestellt und dann eingebaut werden musste, dauerte die Reparatur mehr als sechs Monate. Für diesen Zeitraum beantragte die Frau von der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers eine Entschädigung dafür, dass sie das Auto nicht nutzen konnte. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 12 561,00 €. Während sich das Auto der Frau in der Werkstatt befand, nutzte sie größtenteils das Auto ihres Sohnes, mit dem sie vereinbart hatte, dass er 35 % von der Entschädigungssumme erhalten sollte. Sie war Eigentümerin und Halterin des Fahrzeugs.
Die Versicherung lehnte die Zahlung der Nutzungsausfallentschädigung ab. Es sei kein Nutzungsausfall eingetreten, da die Frau das Auto ihres Sohnes habe nutzen können. Daneben habe sie die Behebung des Schadens in erheblichem Umfang schuldhaft verzögert, denn sie hätte das Auto auch ohne Beifahrer-Airbag nutzen können.
OLG: Geschädigter Autofahrer muss nicht nach Ersatzteilen suchen
Das sah das Oberlandesgericht Düsseldorf anders.1 Die Richter sprachen der Frau die Erstattung fast komplett zu. Komme es zu Verzögerungen bei der Reparatur mit Lieferschwierigkeiten von Ersatzteilen, müsse sich der Geschädigte nicht selbst nach den fehlenden Teilen bei einer anderen Werkstatt oder beim Hersteller auf die Suche begeben. Er dürfe sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die von ihm beauftragte Werkstatt sich unter Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten um eine zeitnahe Beschaffung der Ersatzteile bemühen werde. Auch müsse er sich nicht mit einer Teilreparatur zufrieden geben.
(Freiwillige) Leistungen Dritter entlasten Schädiger nicht
Dass die Frau das Auto ihres Sohnes habe nutzen können, stehe der Nutzungsausfallentschädigung nicht entgegen. Steht dem Betroffenen ein Ersatzauto zur Verfügung, führten die Richter weiter aus, und ist es ihm zumutbar, damit zu fahren, fehlt es zwar mit Blick auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 20132 an der notwendigen »Fühlbarkeit der Nutzungsentbehrung«. Jedoch müsse die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers dennoch zahlen, wenn ein Dritter, darunter fielen auch Familienmitglieder, kostenfrei ein Ersatzfahrzeug bereitstelle.
Die Richter wendeten den Rechtsgedanken des § 843 Abs. 4 BGB an. Danach würden Ansprüche auf Geldrente oder Kapitalabfindung nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass ein anderer dem Verletzten Unterhalt zahlen müsse. Somit kamen die Juristen zu dem Schluss, dass der Schädiger nicht durch eine (freiwillige) Leistung Dritter entlastet wird, die ihm nach dem Sinn der schadensrechtlichen Vorschriften nicht zugutekommen soll. Das gelte auch für den Nutzungsausfallschaden.
Anmerkung der Redaktion
Ein Nutzungsausfallschaden steht Betroffenen immer dann zu, wenn sie ihr Auto infolge eines Unfalls, an dem sie keine Schuld tragen, nicht mehr nutzen können. Daneben muss der Betroffene das Auto auch nutzen wollen und nutzen können. Das muss er nachweisen. Er kann es beispielsweise nicht nutzen, wenn er infolge eines Unfalls im Krankenhaus liegt. Der Anspruch ist an die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers mit Angabe des Namens und der Adresse sowie des Geburtsdatums, Angaben zum Fahrzeug, Unfallzeitpunkt, Höhe der Entschädigung nach der EurotaxSchwacke-Tabelle sowie Nutzungswillen und -möglichkeit sowie der Bankverbindung zu richten. Die Tabelle sieht Tagessätze von 22,00 bis 175,00 € vor, je nach Fahrzeug. Keinen Anspruch hat, wer ein kostenloses Ersatzfahrzeug nutzt. Mitunter kann es jedoch Sinn machen, das Ersatzauto abzulehnen, wenn die Schuldfrage (noch) nicht eindeutig geklärt ist. Denn dann muss sich der Betroffene im Nachhinein evtl. an den Kosten für den Ersatzwagen beteiligen, wenn ihn eine Mitschuld trifft.
1 Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 09. 03. 2021 – 1 U 77/20
2 Bundesgerichtshof, Urteil vom 05. 02. 2013 – VI ZR 363/11
Besprochen in RdW 2021, Heft 19, Rn. 377