Gefahrenabwehr

Erste Erkenntnisse zur Flutkatastrophe 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen

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Über 180 Menschen haben bei der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Sommer 2021 ihr Leben verloren. Die Schäden werden auf fast 30 Mrd. Euro geschätzt, ganze Gemeinden wurden durch die Wassermassen z.T. fast vollständig zerstört. Gerade im Nachgang zur Flutkatastrophe gab es viel Kritik am unzureichenden Katastrophenschutz.

Die Kritik befasst sich vor allem mit der unzureichenden Warnung der Bevölkerung, aber auch an der nur langsamen Hilfe. Diese Vorwürfe, aber auch generell die Flutkatastrophe an sich, ist mittlerweile Gegenstand zahlreicher Untersuchungen geworden, von laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren gegen verantwortliche Landräte über Untersuchungsausschüsse wie im Landtag von Rheinland-Pfalz bis hin zu einer Expertenkommission.

Mängel im Katastrophenschutz

Von Seiten des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV) und der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) wurde eine 60-köpfige Expertenkommission “Starkregen” aus allen Bereichen und Organisationen im Katastrophenschutz und der Wissenschaft gebildet. Die Expertenkommission hat unter der Überschrift “Katastrophenschutz braucht dringend ein Update” erste Erkenntnisse veröffentlicht. Die Ergebnisse stammen aus einer Umfrage, an der rund 2500 beteiligte Einsatzkräfte teilgenommen haben. Die Umfrage bestand aus rund 60 Fragen, die von den Teilnehmern beantwortet wurden.

Verbesserungsbedarf besteht nach den aus der Umfrage resultierenden Erkenntnissen beim vorhandenen Führungssystem, aber auch bei der Ausstattung. Eine Anpassung an die aktuelle Lage wird dort ebenso benötigt wie generell bei den organisatorischen Strukturen des Katastrophenschutzes. Was die Umfrage unter den teilnehmenden Einsatzkräften aber auch gezeigt hat: Rund 90 Prozent der Einsatzkräfte kamen aus dem Ehrenamt. Erfahrungen mit Katastrophenlagen dieser Art waren somit weitgehend nicht vorhanden. Allerdings wird laut der Expertenkommissionen generell bei der Planung berücksichtigt, dass wenig Kenntnisse zu Großschadenslagen in der Ausbildung von Einsatzkräften, aber auch der Einsatzplanung vorhanden sind. In diesem Zusammenhang wurde zudem das fehlende Interesse der Politik in Bezug auf den Katastrophenschutz bemängelt. Diese ist meist nur dann vorhanden, wenn eine Katastrophe bereits passiert ist und bleibt zudem in der Regel nicht von Dauer.

Ausstattung nicht sachgerecht und Big Points

Die Problematik schlechte Kommunikation und fehlender Mobilität – unter anderem aufgrund eines Ausfalls des Digitalfunknetzes, fehlender Wasser-Durchfahrtsfähigkeit und mangelnder Robustheit der Einsatzfahrzeuge, aber auch schlechte Verfügbarkeit von Hubschraubern – ist eine weitere Erkenntnis, welche die Expertenkommission aus der Umfrage gewonnen hat. Doch bei der Umfrage kamen nicht nur viele Schwachstellen im Katastrophenschutz ans Licht, es konnten auch positive Rückschlüsse gezogen werden: Dazu gehört vor allem die unkomplizierte Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Organisationen im Katastrophenschutz, aber auch mit privaten Helfern. Trotzdem gibt es bei bei der Einbindung von privaten Helfern und Firmen noch Verbesserungsbedarf. Neben den genannten Ergebnissen wurden von der Expertenkommission 15 sogenannte Big Points formuliert:

 

  1. 90 Prozent der Einsatzkräfte kamen aus dem Ehrenamt. Das unterstreicht die Bedeutung ehrenamtlicher Strukturen für eine schnelle, flächendeckende und tiefreichende Gefahrenabwehr in Deutschland und stellt die Wichtigkeit der Ehrenamtsförderung deutlich heraus.
  2. Das Führungssystem und die Führungsausstattung im operativen Bereich sind zu aktualisieren und internationalen Standards anzupassen.
  3. Ein Führungssystem im administrativen Bereich ist bis auf die Gemeindeebene zu etablieren (vgl. Nordrhein-Westfalen).
  4. Führung verlangt auf allen Ebenen ausreichend viel gut ausgebildetes und trainiertes Personal (auch im Hinblick auf Schichtfähigkeit).
  5. Die Einbindung und Steuerung sowohl von Spontanhelfern als auch privater Ressourcen ist zu realisieren, im Vorfeld zu planen und zu üben.
  6. Die technische Kommunikation ist zu verbessern und es sind Redundanzen zu schaffen, die Technik ist dem Kommunikationsbedarf in Quantität (z.B. Datenvolumen) und Qualität (z.B. Messengerdienste) anzupassen.
  7. Die Medienarbeit ist – insbesondere für Feuerwehren und Hilfsorganisationen – zu optimieren.
  8. Die Fahrzeug- und Gerätetechnik ist zu erwartenden Schadenslagen (Überflutungen, aber auch Waldbrand etc.) anzupassen, insbesondere in puncto:

    • Robustheit
    • Geländegängigkeit, -fähigkeit sowie Wat- bzw. Wasserdurchfahrtsfähigkeit
    • Boote und Wasserrettungskomponenten
    • Schmutzwasserpumpen
    • Persönliche Schutzausrüstung
  9. Die Versorgungs- und Durchhaltefähigkeit ist zu stärken und die Konzepte zur Etablierung entsprechender Strukturen im Einsatzraum sind anzupassen.
  10. Der Einsatz von Luftfahrzeugen (inkl. Drohnen) ist einheitlich zu regeln und auszubilden. Es sind leistungsfähige Zivilschutzhubschrauber in ausreichender Anzahl zu beschaffen und vorzuhalten. Die Kostenfrage ist aufgrund häufig organisations- und bundeslandübergreifender Einsätze einheitlich zu klären.
  11. Die Ausbildung in der Abwehr dynamischer Lagen ist insbesondere für Führungskräfte zu verbessern. Einsatzkräfte sind intensiver auf spezifische Lagen (Wassergefahren, Waldbrand etc.) zu trainieren.
  12. Der Umgang mit Spenden muss konzeptionell geregelt und frühzeitig kommuniziert werden.
  13. Die Brandschutz-/Rettungsdienstbedarfsplanung ist auf eine allgemeine Gefahrenabwehrbedarfsplanung zu erweitern.
  14. Tragfähige Strukturen für ein echtes „Lessons Learnt“ sind zu bilden und anzuwenden.
  15. Erkannte Forschungs- und Innovationsbedarfe sind in zukünftigen Förderprogrammen zu berücksichtigen.

Die Aufarbeitung der Flutkatastrophe und die Auswertung der Umfrage sind längst noch nicht abgeschlossen. Die nächsten Erkenntnisse werden im Jahr 2022 erwartet, diese sollen auf der nächsten Interschutz-Messe vorgestellt werden. Neben den Erkenntnissen soll es dann auch konkrete Ansätze geben, wie man mit dynamischen Schadenslagen in der Zukunft besser umgehen kann.

Anmerkungen des Autors

Die Folgen der Flutkatastrophe spielen heute – trotz der rund 180 toten Menschen – abseits von den betroffenen Regionen kaum noch eine Rolle für Bevölkerung, Medien oder in der Politik. Sicherlich mag das nicht verwundern, gerade im Hinblick auf die laufende Coronavirus-Pandemie und einer Bundestagswahl. Doch die fehlende Öffentlichkeit und damit der fehlende Druck für Reformen ist bedenklich. Die Gefahr besteht, dass wichtige Erkenntnisse aus der Katastrophe auf Papier und in Ausschüssen aufgearbeitet werden, aber keine praktischen Konsequenzen wie Veränderungen in der Organisation oder bei der Ausstattung habe.

Von der verbesserten Einbindung von privaten Helfern hat man im Zusammenhang mit Katastrophen schon des Öfteren hören und lesen können. Leider ist an dieser Stelle in den letzten Jahren nicht mehr viel passiert. Gerade wenn es um eine Reform des Katastrophenschutzes geht, so sollte man sich Gedanken zu den möglichen Formen der Einbindung machen. Eine solche Einbindung wäre zum Beispiel, wenn sich interessierte Bürgerinnen und Bürger bequem über das Internet bei Feuerwehr, Rettungsdiensten, THW oder bei einer Kommune als “Freiwilliger Katastrophenhelfer” melden könnten. Diese Möglichkeit sollte es nicht erst dann geben, wenn die Katastrophe bereits passiert ist. Es gibt viele Menschen, die gerne helfen würden, aber eben keine feste Mitgliedschaft in einer der genannten Organisationen möchten. Neben der frühzeitigen Erfassung von Helfern sollte man auch die möglichen Aufgaben und Einsatzbereiche definieren, ebenso die Alarmierung. Die Verwendungsmöglichkeiten solcher Maßnahmen sind zudem nicht nur auf Katastrophen beschränkt, sondern könnten auch anderweitig sinnvoll genutzt werden. In diesem Sinne sollte man darüber nachdenken, welche Angebote man freiwilligen Helfern in Zeiten machen kann, in denen sie nicht zum Katastrophenschutz gebraucht werden. Auch das sollte ein fester Bestandteil der angestrebten Veränderungen sein.

Quelle: Pressemeldung Expertenkommission des Deutschen Feuerwehrverbands (DFV) (zuletzt abgerufen am 15.11.2021)