Bilder aus Überwachungskameras in Betrieben können nicht immer als Beweis für Kündigungsgründe herangezogen werden – zumindest, wenn der Arbeitgeber nicht darlegt, dass weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung eines Verdachts ergebnislos ausgeschöpft worden seien, wie ein Fall aus Nürnberg zeigt.
Ausgangsfall
Ein Arbeitnehmer arbeitete als gewerblicher Mitarbeiter und Kommissionierer im Frischebereich eines Großhandelslagers. Das Lager war in drei Bereiche aufgeteilt. Im sogenannten „Trockensortiment“ befanden sich auch Getränke und Spirituosen. Da es dort in der Vergangenheit Verluste gegeben hatte, wurden von der Arbeitgeberin Mitarbeiter beauftragt, die Gänge im Bereich des Trockensortiments zu kontrollieren, ob sich dort jemand unberechtigt aufhielt. Ferner war eine versteckte Kamera angebracht, die auf den Gang mit den Spirituosen ausgerichtet war. Sie wurde in Zeiten genutzt, in denen im Trockensortiment nicht gearbeitet wurde.
Filmte Videokamera stehlenden Mitarbeiter?
An einem Sonntag im Dezember 2019 fuhr der gewerbliche Mitarbeiter zusammen mit einem Kollegen mit einem Flurförderfahrzeug in das abgedunkelte Trockensortiment. Dort wurden unter anderem bestimmte Gebinde eines bekannten Likörs gelagert. Der Mitarbeiter und sein Kollege stellten das Flurförderzeug ab und begaben sich In Richtung eines Treppenhauses zur Kantine. Dort befand sich auch ein Getränkeautomat. Die Videokamera filmte, dass sich der Mitarbeiter hinter dem Kollegen im abgedunkelten Gang gebückt hatte. Später wurde festgestellt, dass in Bodennähe ein Behälter mit Likör-Fläschchen aufgerissen war und zwei Flaschen fehlten.
Wenige Tage später wurde der Mitarbeiter in einem Gespräch mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe die Likörflaschen gestohlen. Der Mitarbeiter stritt den Vorwurf ab. Am 04.01.2020 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Am 13.01.2020 kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter noch einmal ordentlich zum 20.02.2020. Der Mitarbeiter war damit nicht einverstanden und erhob Klage. Unter anderem behauptete er, ihm sei ein Geldstück aus der Tasche bzw. aus der Hand auf den Boden gefallen und er habe sich bücken müssen, um es aufzusammeln. Seine Arbeitgeberin hatte auch dem Betriebsrat mitgeteilt, dass der Mitarbeiter ihrer Meinung nach die Spirituosen gestohlen habe.
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, denn es stehe nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Mitarbeiter die Fläschchen entwendet habe. Auf eine Verdachtskündigung, die die Arbeitgeberin nun für berechtigt halte, könne sie sich nicht berufen. Denn zu einer Verdachtskündigung sei der Betriebsrat nicht angehört worden. Die Berufung der Arbeitgeberin beim Landesarbeitsgericht blieb erfolglos.[1]
Kameraaufnahme darf nicht verwendet werden
Auch nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist das Arbeitsverhältnis durch keine der drei ausgesprochenen Kündigungen beendet worden. Für die Kündigung vom 04.01.2020 habe kein wichtiger Grund vorgelegen. Zwar stellten Eigentums- und Vermögensdelikte des Arbeitnehmers zulasten des Arbeitgebers regelmäßig einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Im vorliegenden Fall habe die Arbeitgeberin den Diebstahl von kleinen Likörflaschen durch den Mitarbeiter nicht bewiesen. Der Mitarbeiter habe den Vorwurf bestritten und Tatzeugen seien zur Beweisführung nicht angeboten worden. Zwar könnten die Aufnahmen der Überwachungskamera auch ohne Einbindung des Betriebsrats bei der Installation verwendet werden. Denn wenn der Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers bestünde, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft seien und die verdeckte Kameraüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstelle, sei deren Verwendung nicht unverhältnismäßig.
Erklärungsmangel durch AG
Hier habe die Arbeitgeberin aber nicht zur Überzeugung des Gerichts erklären können, dass die Kameraüberwachung das praktisch einzig verbliebene Mittel zur Aufklärung der Täterschaft gewesen sei. Sie habe lediglich behauptet, es habe einen gewissen Schwund bei den Spirituosen gegeben. Andere Mittel, wie der Abgleich von Anwesenheitszeiten von Mitarbeitern aus anderen Bereichen zu den Zeitpunkten, zu denen der Spirituosenschwund aufgetreten sei, hätte die Arbeitgeberin nicht in Betracht gezogen. Aus diesem Grunde hätte auch die Videosequenz in dem Rechtsstreit nicht verwertet werden dürfen. Auch ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen des Verdachts eines Diebstahls habe nicht dargelegt und bewiesen werden können. Für einen solchen Kündigungsgrund könne nur berücksichtigt werden, was auch gegenüber dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz erklärt worden sei. Im entschiedenen Fall habe die Arbeitgeberin den Betriebsrat nur zu einer Tatkündigung angehört. Sie könne sich deshalb im Kündigungsschutzverfahren nicht auf den bloßen Verdacht eines Diebstahls stützen, wenn ihr – wie hier – die entsprechenden Verdachtsmomente bereits bei Ausspruch der Kündigung bekannt gewesen seien. Das Nachschieben des Verdachts des Diebstahls als Kündigungsgrund sei nur möglich, wenn dem Arbeitgeber nachträglich neue Verdachtsmomente bekannt geworden seien und die maßgebenden Verdachtsmomente objektiv schon vor Zugang der Kündigung vorlagen. Dann müsse der Arbeitgeber den Betriebsrat nachträglich ergänzend anhören.
Kündigungen waren unwirksam
Somit sei die Kündigung vom 04.01.2020 mangels Tatnachweises bzw. mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats rechtsunwirksam. Die hilfsweise ordentliche Kündigung sei ebenfalls mangels Tatnachweises rechtsunwirksam. Die Wiederholungskündigung vom 13.01.2020 scheitere Im Hinblick auf den Diebstahl am Tatnachweis und im Hinblick auf den Verdacht des Diebstahls mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats. Wolle ein Arbeitgeber erneut kündigen, müsse er den Betriebsrat im Übrigen immer erneut anhören, wenn er nach der ersten Anhörung schon eine Kündigung ausgesprochen habe. Denn die damit im Zusammenhang stehende Betriebsratsanhörung sei mit dem Zugang der Kündigungserklärung verbraucht.
Praxistipp
Die Entscheidung zeigt sehr deutlich, dass vorsorglich neben einer Tatkündigung auch immer eine Verdachtskündigung aus denselben Gründen ausgesprochen werden sollte, für den Fall, dass sich ein Tatvorwurf nicht bestätigt. Und es ist entscheidend, beide Kündigungsarten zum Gegenstand der Anhörung beim Betriebsrat zu machen.
Entnommen aus RdW Kurzreport, Heft 6, Rn. 94