Gefahrenabwehr

Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen: Interview mit Jörg H. Trauboth, Herausgeber der Neuauflage

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Corona-Pandemie, Klimawandel und Krieg in der Ukraine – das sind nur einige Beispiele, warum Krisenmanagement aktuell ein enorm wichtiges Thema ist, mit dem man sich unbedingt beschäftigen sollte: Das Werk „Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen“ ist im Juni 2022 als zweite Auflage erschienen. Der Herausgeber Jörg H. Trauboth beantwortet in einem Interview alle Fragen rund um die Neuauflage.

Herr Trauboth, Ihr Standardwerk „Krisenmanagement“ ist in vielen Behörden, Landratsämtern, Organisationen und bei Unternehmens-Managern als Ratgeber und Nachschlagewerk stets in Griffnähe. Jetzt bringen Sie eine Neuauflage heraus. Warum?

Trauboth: Krisen werden heute deutlich anders bewältigt als noch vor Jahren. Man führt anders und auch die Herausforderungen nehmen ständig zu.

Was bedeutet das konkret?

Trauboth: Die schon in meinen Sachbüchern von 2002 und 2016 dargestellten Krisenstabs-Strukturen sind zwar im Wesentlichen geblieben: Große Unternehmen arbeiten mit einer Entscheidungsebene, einem definierten Krisenstab, der lagebedingt angepasst wird und Arbeitsgruppen, die zuarbeiten. Kleinere Organisationen bilden Stäbe, bei denen der Leiter des Krisenstabes oftmals der Chef selbst ist. Das ist zwar nicht ideal, aber personell oft nicht anders machbar. Neu ist aber, dass beispielsweise Behörden im Krisenstab auf Fachbereiche zurückgreifen müssen, die bei Katastrophensituationen aus dem Stand agieren. Krankenhäuser müssen vermehrt bei Gewalt gegen Personal handlungsfähig sein. Schulen benötigen Krisenmanagementkompetenz, bei vermutetem oder erkanntem Kindesmissbrauch richtig zu agieren. Alles wird schneller und komplexer. Das sind nur einige Beispiele. Vorbereitete Krisenhandbücher werden kleiner, kompakter und sind – auch durch Home-Office bedingt – elektronisch verfügbar. Der Sicherheitsanspruch für den Datenschutz muss entsprechend hoch sein.

Wachsen mit den zunehmenden Aufgaben auch die Herausforderungen an die Führung?

Trauboth: Richtig! Auch bei der Führung hat sich etwas getan. Der menschenorientierte Führungsstil bekommt eine neue Gewichtung. Selbstreflexion und Ehrlichkeit sind angesagt. Die Führungsperson von heute kann es sich leisten, auch im Team zu sagen, dass sie selbst ebenfalls Angst um die Zukunft hat, aber es werden von ihr gleichwohl die richtigen Lösungen erwartet. Unverändert gut ist es, wenn die Führungsperson in der Krise generalistisch arbeitet und besonders resilient ist.

Warum spielt die Resilienz von Menschen und Unternehmen heute eine größere Rolle als früher?

Trauboth: Das hat mit der Dynamik der Krisen und in der Folge auch mit der Krisenbewältigung zu tun. Wir taumeln doch von einer Krise in die andere: Wirtschafts- und Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise, Coronakrise und aktuell die Ukrainekrise, die für unsere Gesellschaft und Unternehmen zu vollkommen neuen Risiken und Herausforderungen führen wird.

Sind diese Krisen wirklich so neu und so überraschend gekommen?

Trauboth: Viele der genannten Krisen waren für die, die sehen wollten, durchaus vorhersehbar. Doch insgesamt haben sie besonders Unternehmen wie gewaltige Tsunamis erwischt. Etliche Wirtschafts- und Kulturbereiche überlebten beispielsweise Corona nur durch staatliche Subventionen. Andere fielen durch das Netz und gaben auf. Neu ist auch, dass bei Krisen, die von außen kommen, häufig das Ende nicht absehbar ist. Das wiederum führt zu Ängsten auf allen Ebenen, von den Mitarbeitern bis hin zum Management. Deswegen spielt auch der Faktor „Angst“ in unserem neuen Buch eine deutlich wichtigere Rolle als zuvor. Denn ein Unternehmen in Angst kann nicht effektiv und schon gar nicht effizient arbeiten.

Je mehr Wissen und Erfahrung wir haben, umso geringer ist in der Krise unser Angstpotenzial. Nachdem überraschend schnell der Impfstoff vorlag, sah man das Licht am Ende des Corona-Tunnels. Bei Putins Krieg haben wir leider keine Erfahrung, wir tappen im Ungewissen. Alles ist möglich, vom Friedensvertrag bis zum Atomschlag. Doch weil wir Lösungen brauchen, suchen wir Sicherheit durch Informationen, wissend, dass die nicht überprüfbar sind, und so „pushen“ wir von Nachricht zu Nachricht, ohne die objektive Wahrheit zu erfahren. Am Ende sind wir in einer kollektiven Angst gefangen, die wiederum zu ganz persönlichen, individuellen Ängsten zu Hause führt.

Wie geht man mit Angst in Unternehmen richtig um?

Trauboth: In unserem Buch zeigen wir Wege auf, wie man aus dieser Angst herauskommen kann. Fight and Flight ist Krisenbewältigung für Tiere, aber nicht für Menschen, die die Fähigkeit des bewussten Handelns haben. Am besten erfolgt die Angstbewältigung, indem man eine klassische Lagebeurteilung macht, die erstens mit einer faktenorientierten Situationsanalyse startet, zweitens in eine Bewertung aller Faktoren mündet, drittens die Frage nach der Zielsetzung des Handelns in der augenblicklichen Situation stellt und viertens zu Entscheidungen. Den Vorgang wiederholt man, sobald die Lage es gebietet. Das funktioniert im Unternehmen wie auch im persönlichen Bereich. Wichtig ist in unserer lösungssüchtigen Welt aber auch die Erkenntnis und die Akzeptanz, dass es manches Mal eben keine Lösung gibt.

Sie haben ein Expertenteam zusammengestellt, das sich das Thema „Krisenprävention und Krisenbewältigung“ vornimmt.  Was darf der Leser erwarten?

Trauboth: Vor allem keine langweilige Theorie, sondern eine gute Mischung aus Fachwissen und Fallbeispielen. Was wir zu sagen haben, ist sowohl für den Neuling im Krisenmanagement wie auch für die „alten Hasen“ von Interesse.

In dem von mir geschriebenen Teil biete ich ein präventives Gerüst zum Management in der Krise an und sodann das konkrete Managementverhalten in einer Pandemielage, im Terrorismus, bei Gewalt an Kindern sowie bei Geiselnahme und Entführung im In- und Ausland und gebe Tipps zum Einsatz externer Berater:

  • Peter Höbel, einer der renommiertesten Kommunikationsexperten im Land, konzipiert einen sehr praxistauglichen Krisenkommunikationsplan mitsamt den kommunikativen Antworten für verschiedene Branchenkrisen und macht einen Exkurs zur Hochwasser-Katastrophe 2021.
  • Dr. Arnd-Christian Kulow, Rechtsanwalt und Datenschutzbeauftragter für diverse KMU, liefert das Grundkonzept zur Informations- und Cybersicherheit sowie das Handwerkszeug für den Schutz vor Angriffen aus dem Internet. Themenbezogen legt er außerdem die jeweiligen rechtlichen Grundlagen des Handelns dar.
  • Nils Marquardsen, mein früherer Mitarbeiter im Krisenmanagementunternehmen, sowie eh. Bereichsleiter, Prokurist und Mitglied der Geschäftsleitung in einem MDAX-Unternehmen, legt den Fokus auf die Unternehmensresilienz als wesentlichen Baustein einer erfolgreichen Krisenvorsorge sowie auf effektives Krisenmanagement.
  • Frank Meurer, stellvertretender Akademieleiter an der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) und ein Kenner des Rettungsdienstes „von der Pieke an“, erläutert das Krisenmanagement im Bevölkerungsschutz und strukturiert die unternehmerischen und behördlichen Maßnahmen bei einem terroristischen Angriff.
  • Frank C. Waldschmidt, Führungskraft im Katastrophenschutz und der Notfallversorgung, Fachberater und Trainer für Krisenintervention und Extremsituationen, erörtert das Krisenmanagement in schulischen Ausnahmesituationen sowie in Arztpraxen, Notfallzentren und Krankenhäusern und wirft einen Blick auf die Pandemie als Langzeitkrise im Gesundheitswesen.

All das sind wichtige Themen für Unternehmen, Behörden und jegliche Organisationen. Gern hätte ich weitere Experten und Themen aufgenommen, doch mit immerhin 150 Seiten mehr als in der Auflage von 2016 haben wir die Grenzen des Buchumfangs ausgereizt.

Wie kann ein Standardwerk die dynamischen Krisenentwicklungen abbilden?

Trauboth: Mein Team hatte gerade die Coronakrise fertig bearbeitet, als die Hochwasserkatstrophe kam und wir gemeinsam mit dem Verlag entschieden haben, den Inhalt nochmal zu ergänzen. Während ich diesen Beitrag hier schreibe, steht die Ukraine mitten im Krieg. Weil jedes Buch irgendwann Redaktionsschluss haben muss, konnten wir das aktuelle Kriegsgeschehen und die sich daraus verändernde Weltlage nicht mehr abbilden. Trotzdem ist unser Werk auch im Kontext des Ukraine-Kriegs nützlich und hilfreich, nämlich bei der Bewältigung der schon jetzt sichtbaren vielfältigen Begleiterscheinungen und Folgen: Vom Umgang mit Fake-News und Desinformation über Cyberangriffe bis zur Versorgung von vielen Flüchtlingen und der Herausforderung guter psychosozialer Betreuung – alle diese Themen werden in „Krisenmanagement für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen“ umfassend auf 630 Seiten behandelt.

Eine letzte Frage zur aktuellen Situation. Wenn Sie als Krisenmanager in die Zukunft schauen, was sehen und was raten Sie?

Trauboth: Wir leben durch Putins Angriffskrieg bedingt tatsächlich in einer Zeitenwende. Die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Auswirkungen werden durch die tektonische Verschiebung der Blöcke gewaltig sein. Europa muss sich sicherheitspolitisch neu aufstellen, um von den USA unabhängiger zu werden, was auf einige Zeit nicht der Fall sein wird, denn wir brauchen den amerikanischen militärischen, besonders den nuklearen Schutz. Doch die Zeit bis zur nächsten Präsidentenwahl in den USA ist kurz. Also muss Europa sich sputen. Nationale Investitionen in die Rüstung machen nur Sinn, wenn sie europäisch angelegt werden. Alles andere ist nicht effizient. Deutschland, mit dem bisher gepflegten Sofa-Pazifismus, lernt gerade nach Marcus Tullius Cicero: Si vis pacem para bellum – Wenn Du Frieden willst, rüste zum Krieg.

Niemand kann voraussehen, wie sich die Russische Föderation mit oder ohne Putin weiterentwickeln wird. Doch klar ist, dass es zu einem neuen Kräftespiel zwischen Russland, China, den USA, Indien und Europa kommen wird; der Prozess hat bereits begonnen. Europa wird lernen müssen, viel mehr innen zu produzieren und nach innen zu exportieren. Deutschland muss nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich als zentrale Macht in Europa die allseits erwartete Führungsstärke zeigen. Entsprechend brauchen wir in der Politik und in den Unternehmen Manager, die dem Anspruch genügen, denn die Globalisierung wird neue Wege gehen. Die veränderte Verfügbarkeit von Rohstoffen ist nur ein Beispiel für die zwingende Neuaufstellung der Märkte.

Ich hoffe, dass unsere Botschaften und „Kochrezepte“ wiederum das Management in Unternehmen und Organisationen erreichen sowie Menschen, denen erfolgreiche Krisenvorsorge und effektives Krisenmanagement am Herzen liegt.

Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen – Professionelle Prävention und Reaktion bei sicherheitsrelevanten Bedrohungen von innen und außen, Herausgeber: Jörg H. Trauboth, bearbeitet von: Jörg H. Trauboth, Peter Höbel, Dr. Arnd-Christian Kulow, Nils Marquardsen, Frank Meurer, Frank C. Waldschmidt, Richard Boorberg Verlag, 2022, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, 654 S.