Rechtliches

Polizeiliche Videoüberwachung in einer Großstadt

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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der offenen Videoüberwachung des Ebertplatzes in Köln sowie der angrenzenden Straßen und Wege. Aufgrund einer Anordnung des Polizeipräsidenten von Köln sind an fünf Punkten auf dem Ebertplatz insgesamt acht Videokameras (vier statische sog. „Multifokus“-Kameras und vier Kameras mit Schwenk-, Neige- und Zoomfunktion [sog. „PTZ-Kameras“]) angebracht worden.

Begründet wurde die Maßnahme mit einer Vielzahl von Straftaten, die in diesem Bereich seit Jahren begangen worden seien, sodass der Platz als ein Kriminalitätsschwerpunkt in Köln anzusehen sei. PolG NRW – § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Zu den Voraussetzungen, unter denen die Polizei öffentliche Räume aus Gründen der Verbrechensbekämpfung videoüberwachen darf.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 16.05.2022 – 5 B 1289/21 – Verlags-Archiv Nr. 2023-03-07)

Aus den Gründen:

Ein Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus dem in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnden Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, in aller Regel selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen.

In den Schutzbereich dieses Rechts wird auch im Fall der offenen Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch die Polizei eingegriffen. Das durch die Videoüberwachung gewonnene Bildmaterial kann und soll dazu genutzt werden, belastende hoheitliche Maßnahmen gegen Personen vorzubereiten, die in dem von der Überwachung erfassten Bereich bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen zeigen. Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das Verhalten der Betroffenen lenken. Dies gilt für die bloße Videobeobachtung („Kamera-Monitor-Prinzip“), weil diese gegenüber dem menschlichen Auge eine weit großflächigere und intensivere Beobachtung – auch über große Entfernungen und bei schwierigen Lichtverhältnissen – ermöglicht.

Durch die zusätzliche Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials werden die beobachteten Vorgänge zudem technisch fixiert und können in der Folge abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden. So besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl von Informationen über bestimmte identifizierbare Betroffene gewonnen wird, die sich jedenfalls theoretisch zu Profilen des Verhaltens der betroffenen Personen in dem überwachten Raum verdichten lassen könnten. Der Eingriff in das Grundrecht entfällt nicht dadurch, dass lediglich Verhaltensweisen im öffentlichen Raum beobachtet werden.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen Rechnung, der sich in die Öffentlichkeit begibt. Am Maßstab des einstweiligen Rechtsschutzes gemessen ist es hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller durch den Betrieb der Videoüberwachung auf dem Ebertplatz in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nachteilig betroffen ist. Es ist zu erwarten, dass er den überwachten Bereich in absehbarer Zeit betreten wird.

Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Hauptantrag rechtmäßig

Der Antragsteller wohnt in der Stadt Köln. Angesichts der Lage des Ebertplatzes am Rand der Innenstadt, seiner Funktion im öffentlichen Nahverkehr und mit Blick auf seine Teilnahme an Versammlungen auch an diesem Ort ist es hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller von der Videoüberwachung auf dem Platz erfasst sein wird. Der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erweist sich aber hinsichtlich des Hauptantrags als rechtmäßig. Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PolG NRW kann die Polizei zur Verhütung von Straftaten einzelne öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung beobachten und die übertragenen Bilder aufzeichnen, wenn an diesem Ort wiederholt Straftaten begangen wurden, die Beschaffenheit des Ortes die Begehung von Straftaten begünstigt und ein unverzügliches Eingreifen der Polizei möglich ist.

Die Videoüberwachung kann erfolgen, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie ist insbesondere von der Gesetzgebungskompetenz des Landes gedeckt, hinreichend bestimmt und verhältnismäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PolG NRW liegen voraussichtlich vor.

Bei der am Ebertplatz videoüberwachten Fläche handelt es sich um einen einzelnen öffentlich zugänglichen Ort, an dem wiederholt Straftaten begangen wurden, dessen Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt und bei dem die Annahme gerechtfertigt ist, dass dort weitere Straftaten begangen werden. Die Möglichkeit eines unverzüglichen Eingreifens der Polizei ist ebenfalls gegeben. Ein schnelles Eintreffen von Polizeikräften am Ort führt dazu, dass – wenn schon nicht die Tat vollends verhindert werden kann – je nach Straftat eine weitergehende Rechtsgutverletzung verhindert oder jedenfalls besonders zeitnah Maßnahmen zur Ergreifung des Täters ergriffen werden können.

Auch diese Auswirkungen sind geeignet, die weitere Begehung von Straftaten zu verhindern und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken. Soweit der Antragsteller schließlich der Auffassung ist, die Videobeobachtung dürfe nicht durch Regierungsbeschäftigte erfolgen, folgt hieraus jedenfalls keine Rechtswidrigkeit der Maßnahme. Weder trägt diese Verwendung von Angestellten im Angesicht von Art. 33 Abs. 4 GG zur Aushöhlung des Berufsbeamtentums bei noch führt sie zu einer (weitergehenden) Gefahr für die Gewähr rechtsstaatlichen Verwaltungsvollzugs, dem durch den Einsatz von Beamten entgegenzuwirken wäre.

Die Tätigkeit der Angestellten beschränkt sich vorliegend auf die Beobachtung der von den Videokameras aufgenommenen Bilder, wobei sie bei den PTZ-Kameras auf die Ausrichtung und den Zoom Einfluss nehmen können. Wenn sie verdächtige Handlungen erkennen, werden seitens der Leitstelle Polizeibeamte entsandt, die dann vor Ort alle weitergehenden Maßnahmen verantworten. Die Aufgabe der Regierungsbeschäftigten ist damit auf die Wahrnehmung von in der Öffentlichkeit stattfindendem Geschehen begrenzt.

Insoweit genügt für die Übertragung dieser Aufgabe auf Angestellte die damit einhergehende Entlastung des Polizeivollzugsdienstes, sodass diese Kräfte in der Folge zur Wahrnehmung polizeilich-hoheitlicher Tätigkeit eingesetzt werden können. Dies gilt vorliegend auch deshalb, weil der Antragsgegner „gemischte Besetzungen“ der Videobeobachtungsplätze sicherstellt, sodass bei Bedarf polizeiliche Befugnisse bestehen. Ob die Videobeobachtung des Ebertplatzes dem Erfordernis der Offenkundigkeit bzw. ausreichenden Kenntlichmachung im Sinne des § 15a Abs. 1 Satz 2 PolG NRW objektiv genügt, unterliegt mit Blick auf die Wahrnehmbarkeit in den Randzonen des überwachten Bereichs sowie durch Kraftfahrzeugführer durchgreifenden Zweifeln.

Offenkundigkeit bei Videoüberwachung

Der Antragsteller kann sich aber darauf nicht mit Erfolg berufen. Die Videoüberwachung ist nicht offenkundig. Offenkundigkeit ist anzunehmen, wenn Personen, die den entsprechenden Ort betreten, die eingesetzten Videokameras mit einem beiläufigen Blick erfassen und als solche einschließlich der Zweckbestimmung erkennen können. Dabei ist wegen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein strenger Maßstab anzulegen. Erst die offene Datenerhebung bewirkt nämlich, dass der Betroffene von der Datenerhebung Kenntnis erhält und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrnehmen kann. Die auf dem Ebertplatz an fünf Standorten angebrachten Videokameras sind zwar nicht verdeckt angebracht, dennoch ist – zumal unter Zugrundelegung eines strengen Maßstabs – eine beiläufige Erkennbarkeit nicht überall gegeben.

Dies ergibt sich schon daraus, dass die Kamera-Standorte so gewählt sind, dass die Sichtachsen auch in die angrenzenden Straßen hineinragen, von wo aus eine Wahrnehmbarkeit im Straßenbild nicht vorausgesetzt werden kann. Zudem befinden sich die Kamerastandorte im Bereich der Grünanlagen und sind hierdurch schlechter zu erkennen. Die bei einer fehlenden Offenkundigkeit der Videoüberwachung gebotene anderweitige Kenntlichmachung der Beobachtung dürfte in Teilbereichen unzureichend sein.

Die Kenntlichmachung durch geeignete Maßnahmen tritt nach der Systematik des § 15a Abs. 1 Satz 2 PolG NRW an die Stelle der Offenkundigkeit der Videoüberwachung. Mithin sind an die Kenntlichmachung vergleichbare Anforderungen zu stellen; auch sie muss mit einem beiläufigen Blick erfasst werden können. Diese Anforderungen sind in der Regel schon dann erfüllt, wenn durch gut sichtbar angebrachte Hinweisschilder, auf denen etwa ein Videokamerapiktogramm abgebildet ist, darauf aufmerksam gemacht wird, dass man sich in einen überwachten Bereich begibt. Die von dem Antragsgegner aktuell genutzten Hinweisschilder sind der Art nach zu einer solchen Information geeignet.

Sie weisen mittels zweier Piktogramme sowie textlich auf die durchgehende Videoüberwachung einschließlich der Bildaufzeichnung sowie deren Aussetzung bei Versammlungen hin. Der Antragsteller kann sich bei summarischer Prüfung nicht erfolgreich darauf berufen, die nach seinem Vortrag mindestens 600 mm x 400 mm großen Schilder seien zur Kenntlichmachung der Videoüberwachung generell ungeeignet, weil sie den Anforderungen der DIN 1450:2013-04 zur Gestaltung von Texten im öffentlichen Raum nicht genügten. Auch bei Anbringung über Kopfhöhe ist nach Einschätzung des Senats davon auszugehen, dass das Kamera-Piktogramm einem Passanten dieselben Informationen zu vermitteln geeignet ist, die mit einer offenkundigen Videoüberwachung einhergehen.

Anordnung der Videoüberwachung: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt

Nach dem Vorgesagten kommt es nach § 15a Abs. 1 Satz 2 PolG NRW auch nicht darauf an, ob unter der auf dem Hinweisschild angegebenen Internetadresse zu jeder Zeit weiterführende Hinweise auf die Videoüberwachung zu finden sind. Um ihrer Funktion insbesondere auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht gerecht werden zu können, müssen die Hinweisschilder jedoch so aufgestellt sein, dass jeder, der sich dem videoüberwachten Bereich nähert, diesen bereits vor dem Betreten als solchen erkennen kann. Die Anordnung der Videoüberwachung des Ebertplatzes einschließlich der Nebenstraßen erweist sich auch nicht als ermessensfehlerhaft; insbesondere wahrt sie insoweit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Maßnahme dient einem legitimen Zweck und ist geeignet, erforderlich sowie angemessen.

Auch im Übrigen sind Ermessensfehler nicht zu erkennen. Zudem trägt die Speicherung der Videobilder für einen Zeitraum von 14 Tagen zur Eignung der Maßnahme bei. Die Reproduzierbarkeit der Videoaufnahmen im Sinne einer Vorsorge für die spätere Strafverfolgung ist geeignet, Personen von der Begehung von Straftaten abzuhalten, weil sie selbst bei zeitlich verzögerter Kenntniserlangung durch die Polizei mit ihrer Identifizierung rechnen müssen. Schließlich steht auch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes durch Passanten während der Corona-Pandemie der Geeignetheit der Maßnahme nicht entgegen; auch wenn hierdurch die (Wieder-)Erkennbarkeit von Personen im Einzelfall herabgesetzt werden kann, ist eine Verfolgung durch die Videobeobachter bzw. ihre spätere Identifizierung auch aufgrund anderer Merkmale möglich.

Abgesehen davon spricht vieles dafür, dass eine vergleichbare Wirkung durch Polizeikräfte vor Ort unverhältnismäßig viele personelle Ressourcen erfordern würde. Auf der Grundlage der von dem Antragsgegner vorgelegten Daten (betreffend den Kölner Neumarkt) sind die festgestellten Straftaten ungleich über den Tag verteilt. Da aber an allen Tagen und in jeder Tagesstunde bereits Straftaten in den videoüberwachten Bereichen registriert worden sind, wäre eine zeitliche Einschränkung nicht in gleicher Weise zur Erreichung der Ziele geeignet.

Jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes geht der Senat davon aus, dass diese Daten auf den Videoüberwachungsbereich Ebertplatz übertragen werden können, weil auch an diesem Platz von einer durchgehenden Frequentierung auszugehen ist. Die von dem Antragsteller geforderte verpixelte Darstellung von Gesichtern wäre zur Erreichung der Zwecke nicht gleich geeignet. Ein solches Vorgehen würde dazu führen, dass die Identifikation von (potenziellen) Straftätern sowohl bei der Verhinderung sich anbahnender Straftaten als auch bei deren Verfolgung nur noch anhand von anderen Merkmalen wie etwa der Kleidung und somit nicht gleich effektiv möglich wäre.

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv, 3/2023, Lz. 794.