Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) urteilte im Falle von Anwohnern eines öffentlichen Platzes, die gegen regelmäßig auftretende Störungen ihrer Nachtruhe durch auf dem Platz feiernde Personen klagten, dass diese einen Anspruch darauf haben, dass die Stadt geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Unterbindung der nächtlichen Lärmbelästigungen unternimmt.
Auf einem verkehrsberuhigten öffentlichen Platz in einer Altstadt halten sich in der wärmeren Jahreszeit oft bis weit nach Mitternacht bis zu mehrere hundert Personen auf. Durch lautes Unterhalten, Rufen, Singen, Schreien, Spielen von Musikinstrumenten, gelegentlich auch mit Trommeln, den ungenehmigten mobilen Straßenverkauf von Bier, die Tätigkeit von Flaschensammlern, das Rollen von leeren Flaschen auf dem abschüssigen Platz und anderem mehr ist die Lärmbelastung für die Anwohner unstreitig außergewöhnlich hoch.
Die Stadt versuchte seit 2009 durch verschiedene Maßnahmen, auf die Platzbenutzer und die Betreiber umliegender Gaststätten einzuwirken, um den Lärm zu mindern, hatte damit aber nur wenig Erfolg. Für den Platz und seine Umgebung setzt der maßgebliche Bebauungsplan ein besonderes Wohngebiet fest.
Präventive Maßnahmen wirkungslos
Die Eigentümerin einer im 4. und 5. OG gelegenen Wohnung am nördlichen Ende des Platzes und ein weiterer Bewohner des 1. OG eines Hauses, das im Süden an den Platz grenzt, hatten mit ihrer Klage beim Verwaltungsgericht (VG) vorgetragen, dass nach einer von der Stadt veranlassten orientierenden Schallpegelmessung im August 2010 an regenfreien Sommerwochenenden von 21 Uhr bis 2 Uhr ein Beurteilungspegel von über 70 dB(A) erreicht wurde.
Im Jahr 2013 habe der Polizeivollzugsdienst über 200 Einsätze auf dem Platz gehabt, davon 83-mal wegen Ruhestörung, zehnmal wegen betrunkener Personen, siebenmal wegen Streitigkeiten und zweimal wegen Körperverletzung. Die von der Stadt ergriffenen präventiven und pädagogischen Maßnahmen seien wirkungslos geblieben.
Den Einsatz von „Platzguides“, die durch persönliche Ansprache der Platznutzer den Lärm zwischen 22 Uhr und 24 Uhr auf einem erträglichen Maß halten sollten, habe die Stadt wieder eingestellt.
VG verurteilte die Stadt zum Handeln
Es gehe den klageführenden Anwohnern ohnehin v. a. um die Nachtruhe nach 24 Uhr. Zuletzt habe der Polizeivollzugsdienst den Platz nur noch bei Anzeigen wegen schwerwiegender Straftaten angefahren, die Anwohner hätten es aufgegeben, Lärmbelästigungen dem Polizeivollzugsdienst zu melden.
Auch nach Eröffnung eines weiteren Platzes habe sich die Situation nicht wesentlich verbessert. Die Stadt unterbinde weder den störenden mobilen Bierverkauf noch den Gassenausschank in den Gaststätten der Umgebung.
Andere Städte würden dagegen mehr gegen nächtlichen Lärm unternehmen. Dort gebe es etwa einen kommunalen Ordnungsdienst, eine Verlängerung der Sperrzeiten, Runde Tische unter Einbeziehung der Gastronomie, Vereinbarungen zwischen den Betroffenen u. v. a. mehr.
Es genüge auch nicht, dass die Stadt ruhestörenden Lärm zu Nachtzeit in ihrer Polizeiverordnung verbiete, sie müsse dies vielmehr auch durchsetzen. Darauf hätten die Anwohner einen Anspruch, weil bei Beurteilungspegeln von bis zu 70 dB(A) die Zumutbarkeitsschwelle bei Weitem überschritten sei.
Durchsetzung der Polizeiverordnung
Ihre Lärmbelastung entspreche derjenigen in einer anderen Altstadt, zu der der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) jüngst entschieden habe, dass die dortige Sperrzeitverordnung ungenügend sei.
Eine Sperrung des Platzes zur Nachtzeit begehrten sie nicht. Es treffe nicht zu, dass die Stadt auf den Polizeivollzugsdienst des Landes angewiesen sei. Vielmehr habe die Stadt zudem einen Gemeindevollzugsdienst, dem sie polizeiliche Vollzugsaufgaben auch im Bereich ihrer Polizeiverordnung übertragen habe.
Schutz der Nachtruhe durch Polizei
Schließlich hatten die Anwohner beantragt, die Stadt zu verurteilen, geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der den Schutz der Nachtruhe bezweckenden Verbote ihrer Polizeiverordnung vom 29.09.2009 (PolVO) zu ergreifen, soweit und solange an ihren Wohnungen zwischen 24 Uhr und 06 Uhr Beurteilungspegel von 62 dB(A) regelmäßig überschritten werden.
Mit Urt. v. 10.10.2018 hatte das VG die Stadt verurteilt, geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der den Schutz der Nachtruhe bezweckenden Verbote ihrer PolVO zu ergreifen, soweit und solange an den Wohnungen der beiden klageführenden Anwohner zwischen 24 Uhr und 6 Uhr Beurteilungspegel von 62 dB(A) regelmäßig überschritten werden.
Klagen als allgemeine Leistungsklagen statthaft
Zur Begründung hat das VG im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klagen als allgemeine Leistungsklagen statthaft und die beiden Anwohner klagebefugt sind. Deren Anspruch auf polizeiliches Einschreiten gegen die Verursacher von unzumutbarem Lärm erscheine angesichts der unstreitigen Lärmbelastung der Anwohner zur Nachtzeit mit bis zu deutlich über 70 dB(A) nicht von vornherein als ausgeschlossen.
§§ 1, 3 Polizeigesetz (PolG) eröffneten das Ermessen zum polizeilichen Einschreiten auch zum Schutz der von Störungen der öffentlichen Sicherheit in eigenen Rechten betroffenen Personen. Den klageführenden Anwohnern könne auch ein Anspruch unmittelbar aus dem Grundrecht auf Schutz der Gesundheit gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zustehen.
Klagen hinreichend bestimmt
Eines vorherigen Antrags an den zuständigen Träger der Verwaltung bedürfe es für die Zulässigkeit der Leistungsklage nicht. Zudem wäre ein solcher hier jedenfalls entbehrlich, da die Stadt mit dem Sachverhalt bereits seit vielen Jahren befasst gewesen sei und sich auch inhaltlich zur Klage eingelassen habe.
Die Klagen seien auch hinreichend bestimmt. Wegen der immer wieder wechselnden Störer könne der Stadt nicht ein Einschreiten gegen bestimmte Störer aufgegeben werden. In der gestellten Fassung seien die Klageanträge auch vollstreckbar.
Ob der Beurteilungspegel von 62 dB(A) nach 24 Uhr nach Maßgabe der Freizeitlärmrichtlinie an den Wohnungen regelmäßig überschritten werde, lasse sich mit Hilfe von weiteren Messungen, aber auch schon anhand der Ergebnisse der vom Sachverständigen getätigten Lärmmessungen und Einzellärmbeurteilungen in einem ggf. erforderlich werdenden Vollstreckungsverfahren feststellen.
Anspruch auf geeignete polizeiliche Maßnahmen
Wegen der bislang erheblichen Überschreitung des genannten Beurteilungspegels während der getätigten Messungen dürfte für die Feststellung regelmäßiger Überschreitungen dieses Pegels genügen, dass die klageführenden Anwohner in einem Vollstreckungsverfahren allein das regelmäßige Vorkommen bestimmter lärmerzeugender Verhaltensweisen nach 24 Uhr nachwiesen. Eine Verurteilung gemäß dem Klageantrag überlasse es im Übrigen der Stadt, das zu erreichende Ziel durch andere nichtpolizeiliche Maßnahmen zu erreichen.
Die Klagen seien auch begründet. Die Anwohner hätten im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch darauf, dass die Stadt geeignete polizeiliche Maßnahmen zur Durchsetzung der den Schutz der Nachtruhe bezweckenden Verbote ihrer PolVO ergreife, soweit und solange an ihren Wohnungen zwischen 24 Uhr und 6 Uhr Beurteilungspegel von 62 dB(A) regelmäßig überschritten würden. Rechtsgrundlage hierfür seien §§ 1, 3 PolG.
Störung der öffentlichen Sicherheit
Zwar obliege der Schutz privater Rechte der Polizei nur gem. § 2 Abs. 2 PolG. Diese polizeirechtliche Subsidiaritätsklausel greife jedoch dann nicht ein, wenn neben den privaten Rechten zugleich die öffentliche Sicherheit gestört oder gefährdet sei. Hierfür genüge ein Verstoß gegen einen Ordnungswidrigkeitentatbestand. Solche Verstöße würden hier gehäuft vorliegen.
Denn ordnungswidrig handele, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 1 Abs. 1 PolVO Rundfunk- und Fernsehgeräte, Lautsprecher, Tonwiedergabegeräte oder Musikinstrumente in solcher Lautstärke betreibe oder spiele, dass andere erheblich belästigt oder gestört würden, und wer entgegen § 3 PolVO durch Lärm die Nachtruhe störe (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 und 3 PolVO). Schon indem die Lärmverursacher gegen diese Bestimmungen verstießen, störten sie die öffentliche Sicherheit i. S. v. §§ 1, 3 PolG.
(…)
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urt. v. 03.08.2023 – 1 S 1718/22
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Baden-Württemberg 7/2024, Rn. 77.