Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte, dass die Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die im Zuge von Straßenbauarbeiten der öffentlichen Hand neue Schutzplanken montieren, nicht in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes handeln, wenn das beauftragte Fachunternehmen bei den zu erbringenden Montagearbeiten, die der Daseinsvorsorge dienen und bei denen der hoheitliche Charakter daher nicht im Vordergrund steht, über einen relevanten eigenen Ausführungsspielraum verfügt.
Bei schuldhafter Beschädigung fremder Versorgungsleitungen (hier: durch Rammarbeiten) hafte das private Unternehmen nach § 823 Abs. 1 BGB (Bestätigung und Fortführung von Senat, IBR 2019, 493). Diesem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte, ein Bauunternehmen, wurde vom Straßenbaulastträger mit der Montage neuer Fahrzeugrückhaltesysteme (im Folgenden auch: Schutz- oder Leitplanken) beauftragt. Die Straßenbauarbeiten wurden von der S. AG ausgeführt. Mitarbeiter der Beklagten beschädigten im Zuge der Schutzplankenmontage bei Rammarbeiten ein erdverlegtes Stromkabel. Eigene Erkundigungen zur Lage etwaiger Versorgungsleitungen hatte die Beklagte zuvor nicht vorgenommen.
Sie verließ sich vielmehr auf von der S. AG gesetzte Markierungspfosten aus Holz und auf dem Straßenbelag angebrachte farbige Markierungen sowie eine von dieser erstellten Planskizze, die die Lage der von der S. AG jeweils festgestellten Versorgungsleitungen kennzeichneten. Diese hatte bei ihren Erkundigungen und Suchgrabungen an der Schadensstelle kein Stromkabel festgestellt.
Mehrstündiger Stromausfall
Aufgrund des Kabelschadens kam es zu einem mehrstündigen Stromausfall, wodurch in dem Asphaltmischwerk der Klägerin die Anlagensteuerung beschädigt wurde, was einen vorübergehenden Stillstand der Produktion zur Folge hatte.
Die Klägerin macht Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Außerdem hat es die Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftigen materiellen Schäden anlässlich der Beschädigung des Stromkabels festgestellt. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision blieb erfolglos.
Dem Urteil des BGH ist zu entnehmen:
Handlung in Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amtes
„In seinem Anwendungsbereich verdrängt § 839 BGB als vorrangige Spezialregelung konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB. Im Rahmen der Haftung nach § 839 BGB tritt gemäß Art. 34 Satz 1 GG – im Wege der befreienden Haftungsübernahme – der Staat beziehungsweise die jeweilige Anstellungskörperschaft als Anspruchsgegner des Geschädigten an die Stelle dessen, der in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat; in diesem Falle scheidet eine persönliche Haftung des Amtsträgers gegenüber dem Geschädigten aus …
Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes darstellt, bestimmt sich nach der ständigen Senatsrechtsprechung danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen …
Hiernach können auch Mitarbeiter eines privaten Unternehmens Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dies kommt neben den Fällen der Beleihung eines Privatunternehmens mit hoheitlichen Aufgaben auch dann in Betracht, wenn Private als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig werden …“
Übernahme hoheitlicher Aufgaben durch Private
„Dafür ist erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang und eine engere Beziehung zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe bestehen, wobei die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss nimmt, dass der Private gleichsam als bloßes ,Werkzeug‘ oder ,Erfüllungsgehilfe‘ des Hoheitsträgers handelt und dieser die Tätigkeit des Privaten deshalb wie eine eigene gegen sich gelten lassen muss …
Da die auf bürgerlich-rechtlicher Grundlage beruhende Heranziehung privater Unternehmer zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eine Vielzahl von Fallgestaltungen umfasst, die sich sowohl durch den Charakter der jeweils wahrgenommenen Aufgabe als auch durch die unterschiedliche Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zu dieser Aufgabe sowie durch den Grad der Einbindung des Unternehmers in den behördlichen Pflichtenkreis unterscheiden, ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, der ein ,bewegliches Beurteilungsraster‘ zugrunde liegt:
Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt – was vor allem in der Eingriffsverwaltung der Fall ist –, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der öffentlichen Hand zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Privaten ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen …“
Hoheitlicher Charakter der Ausführung von Schutzplanken?
„Zwar handelt es sich bei der Montage von Schutzplanken im Rahmen der Erneuerung einer öffentlichen Straße als Maßnahme der Verkehrssicherung um eine hoheitliche Aufgabe. Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 StrWG SH werden die mit dem Bau, der Unterhaltung und der Überwachung der Verkehrssicherheit der öffentlichen Straßen zusammenhängenden Aufgaben als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit wahrgenommen.
Der hoheitliche Charakter steht bei der Errichtung von Schutzplanken jedoch nicht im Vordergrund. Es handelt sich um eine Maßnahme im Bereich der Daseinsvorsorge. Hier ist eine Haftung des Staates für das Handeln Privater zwar nicht von vornherein ausgeschlossen …, allerdings ist sie nicht in gleicher Weise geboten wie im Bereich der Eingriffsverwaltung, in dem der Staat mit hoheitlichen Anordnungen in die Rechts- und Freiheitssphäre von Bürgern eingreift und sich daher nicht der eigenen Haftung dadurch entziehen kann, dass er die Durchführung einer Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt …
Im Bereich der Daseinsvorsorge kommt eine Haftung des Staates insbesondere dann in Betracht, wenn die übertragene Aufgabe einen engen Bezug zur Eingriffsverwaltung aufweist, wie zum Beispiel die Aufstellung eines Verkehrszeichens, wodurch eine Verkehrsregelung unmittelbar umgesetzt wird… Dies ist bei Schutzplanken, die der passiven Verkehrssicherheit und nicht der Verkehrslenkung dienen, nicht der Fall …“
Relevanter eigener Ausführungsspielraum des Unternehmers
„Werden selbständige Unternehmer im schlicht-hoheitlichen Bereich auf privatrechtlicher Grundlage mit dienst- oder werkvertraglichen Leistungen beauftragt, ist bei Anwendung des vorgenannten ,beweglichen Beurteilungsrasters‘ eine differenzierende Betrachtung geboten.
Erfolgt eine erhebliche Einflussnahme der öffentlichen Hand, etwa durch bindende Vorgaben, Weisungen oder detaillierte Planungen, liegt die Einordnung des privaten Unternehmers als Verwaltungshelfer nahe. Anders verhält es sich, wenn dem Unternehmer nach der konkreten vertraglichen Ausgestaltung ein relevanter eigener Entscheidungs- beziehungsweise Ausführungsspielraum verbleibt.
Das Maß der Einflussnahme durch die öffentliche Hand war bereits in den früheren Entscheidungen des Senats, in denen die sog. ,Werkzeugtheorie‘ zur Anwendung kam, ein zentrales Abgrenzungskriterium und ist es nach Entwicklung der Rechtsfigur des Verwaltungshelfers geblieben, indem dieser Gesichtspunkt nunmehr in die anzustellende Gesamtbetrachtung einzubeziehen ist …“
Die sog. ‚Werkzeugtheorie‘
„Dabei liegt die Annahme, der Unternehmer habe als ,Werkzeug‘ oder ,verlängerter Arm‘ der Behörde gehandelt, bei einfach gelagerten Tätigkeiten näher als bei einem komplexen (Bau-)Vorhaben, bei dem die öffentliche Hand als Auftraggeber regelmäßig ein Fachunternehmen gerade wegen dessen besonderer Sachkunde heranzieht.
Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechungsgrundsätze seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Seine Würdigung, dass die vertragliche Gestaltung, insbesondere der Inhalt der Ausschreibungsunterlagen, einen relevanten eigenen Entscheidungs- beziehungsweise Ausführungsspielraum der Beklagten belege, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und angemessen abgewogen.
Dabei hat es nach Auswertung der Ausschreibungsunterlagen, insbesondere der Leistungsbeschreibung und des Leistungsverzeichnisses, rechtsfehlerfrei entscheidend darauf abgestellt, dass die Beklagte sich in eigener Verantwortung nach der Lage der Versorgungsleitungen zu erkundigen hatte, das Leistungsverzeichnis nur einen ,funktionalen‘ Charakter aufwies und keine Detailplanung für die (gefahrträchtigen) Rammarbeiten vorgegeben war, es also der Beklagten überlassen wurde, wo und wie sie diese ausführte …“
Keine Anweisungen zur Durchführung der Montagearbeiten
„Der funktionale Charakter des Leistungsverzeichnisses kommt zum Beispiel in der Position … deutlich zum Ausdruck. Dort heißt es lediglich, dass eine Schutzeinrichtung am äußeren Fahrbahnrand herzustellen ist, die bestimmte Mindest- beziehungsweise Maximalgrößen erfüllen muss (Aufhaltestufe mindestens H1, Wirkungsbereichsklasse maximal W4, Systembreite maximal 21 cm).
Dem Auftragnehmer werden jedoch weder ein konkretes Fahrzeugrückhaltesystem noch Anweisungen zur Durchführung der Montagearbeiten vorgegeben. Insbesondere die gefahrträchtigen Rammarbeiten hatte die Beklagte in eigener Verantwortung und ohne diesbezügliche Detailvorgaben durchzuführen.
Entgegen der Auffassung der Revision spricht der Umstand, dass die S. AG den Verlauf der von ihr festgestellten Versorgungsleitungen durch Holzpflöcke und Fahrbahnmarkierungen kenntlich gemacht sowie eine entsprechende Planskizze … erstellt hatte, nicht gegen einen relevanten Ausführungsspielraum der Beklagten.“
Erkundigungspflicht
„Daraus ergab sich lediglich, an welchen Stellen nach Auffassung der S. AG Rammarbeiten nicht oder nur mit größter Vorsicht erfolgen durften. Die Planung der Montagearbeiten oblag aber weiterhin der Beklagten als dem verantwortlichen Fachunternehmen unter Beachtung etwaiger technischer Richtlinien, in denen zum Beispiel der Montageabstand zum Fahrbahnrand präzisiert wurde …
Dementsprechend wird in dem Baustellenprotokoll … – unmittelbar vor Tätigkeitsbeginn der Beklagten – ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Herstellen der Suchgräben durch die S. AG die Beklagte nicht von ihrer Pflicht entbinde, sich über vorhandene Versorgungsleitungen im Bereich der aufzustellenden Fahrzeugrückhaltesysteme bei den Versorgungsträgern zu informieren. Dies verdeutlicht, dass die Erkundigungspflicht der Beklagten ungeachtet der Einschaltung der S. AG unverändert fortbestand.
Dass die Beklagte bei der Montage der Schutzplanken – was bei einem Bauvorhaben dieser Größenordnung eine Selbstverständlichkeit ist – eine Reihe technischer Anforderungen zu beachten hatte und es sich um standardisierte Bauteile handelte, machte sie nicht zum bloßen ,verlängerten Arm‘ der öffentlichen Hand. Die konkrete Planung der Ramm- und Montagearbeiten sowie der damit zusammenhängende Bauablauf lagen weiterhin in ihren Händen …“
Sorgfaltspflicht eines Tiefbauunternehmers
„Tiefbauunternehmer haben bei Bauarbeiten an öffentlichen Straßen mit dem Vorhandensein unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen zu rechnen, äußerste Vorsicht walten zu lassen und müssen sich der unverhältnismäßig großen Gefahren bewusst sein, die durch eine Beschädigung von Strom-, Gas-, Wasser- oder Telefonleitungen hervorgerufen werden können …
Leben und Gesundheit von Menschen sind bei unsachgemäßer Ausführung derartiger Arbeiten gefährdet, insbesondere bei – wie hier – Berührung eines Stromkabels oder durch die Folgen ausströmenden Gases.
Deshalb sind an die im Bereich von Versorgungsleitungen tätigen Tiefbauunternehmer hohe Anforderungen an die Erkundigungs- und Sicherungspflichten bezüglich der verlegten Versorgungsleitungen zu stellen. Der Tiefbauunternehmer muss sich im Rahmen der allgemeinen technischen Erfahrung die Kenntnisse verschaffen, welche die sichere Bewältigung der auszuführenden Arbeiten voraussetzt.
Er ist insbesondere verpflichtet, sich den erforderlichen Grad von Gewissheit über den Verlauf der Gasleitungen wie auch sonstiger Versorgungsleitungen zu verschaffen, und zwar dort, wo die entsprechenden zuverlässigen Unterlagen vorhanden sind …“
Bundesgerichtshof, Urt. v. 13.04.2023 – III ZR 215/21
Entnommen aus der Fundstelle Bayern 6/2024, Rn. 66.