Rechtliches Sicherheit

Unfallversicherungsschutz im Homeoffice

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Das Sozialgericht (SG) Schwerin hat in einem Streit um die Gewährung von Versicherungsschutz im Zusammenhang mit einem Unfall nach Beendigung des Homeoffices entschieden, dass der Klägerin dieser zusteht, da auch der Rückweg nach dem Ende der Tätigkeit im Homeoffice als mitversicherter Betriebsweg vom gesetzlichen Unfallversicherungsschutz erfasst sei.

Sachverhalt

Eine 42-jährige Sachbearbeiterin/Integrationsfachkraft war seit 2015 bei der Bundesagentur für Arbeit beschäftigt. Die dortige Arbeitszeitvereinbarung sieht vor, dass die Hälfte der Arbeitszeit in der Dienststelle zu erbringen ist und die andere Hälfte im Homeoffice erbracht werden kann.

Die Mitarbeiterin verrichtete ihre Arbeit an drei Tagen der Woche in der Dienststelle und an den anderen zwei Tagen der Woche im Homeoffice. Im Homeoffice begann sie häufig frühzeitig zu arbeiten, damit sie regelmäßig einen früheren Arbeitsschluss am Freitag herausarbeiten konnte.

Sie wohnt in einer zweigeschossigen Wohnung. Die unterschiedlichen Wohnungsetagen sind mit einer Metalltreppe verbunden. Ihr vollausgestattetes Arbeitszimmer befindet sich im Dachgeschoss, dem Obergeschoss ihrer Wohnung. Die Metalltreppe führt von unten, gegenüber der Küche, direkt in das zweigeteilte Obergeschoss, in dem sich rechts der Arbeitsbereich und links eine Abstellfläche befinden.

Sturz nach Arbeitsende

Am Dienstag, den 01.03.2022 ging die Mitarbeiterin ab 6 Uhr ihrer Tätigkeit an ihrem häuslichen Arbeitsplatz im Homeoffice nach. Gegen 16.03 Uhr, nach dem digitalen Ausstempeln und Herunterfahren des Rechners, sammelte sie von ihrem Arbeitsplatz ihre Signaturkarte, ihr Headset, den Büroschlüssel und ihre Notizen vom Arbeitstag in einer üblicherweise hierfür von ihr verwendeten „blauen Mappe“ und verließ damit den Arbeitsbereich.

Sie stürzte auf der Treppe auf dem direkten Weg vom Obergeschoss in den Wohnbereich im Untergeschoss ihrer Wohnung und zog sich hierbei eine Sprunggelenksdistorsion mit Außenbandteilruptur rechts zu. Eine knöcherne Verletzung wurde ausgeschlossen.

Ab dem 04.05.2022 war sie wieder arbeitsfähig. Tätigkeitsbegleitend führte sie die physikalische Therapie weiter, die erst im November 2022 abgeschlossen werden konnte. Für den Zeitraum vom 13.04.2022 bis zur Arbeitsfähigkeit am 03.05.2022 gewährte ihr die Bundesagentur Verletztengeld.

Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt

Mit Bescheid vom 31.05.2022 lehnte die Unfallversicherung die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vom 01.03.2022 und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass während der Homeoffice-Tätigkeit nur Unfallversicherungsschutz für Tätigkeiten in sachlichem Zusammenhang mit der Tätigkeit bestehe.

Hier sei auf den konkreten Moment der Verrichtung abzustellen und die entsprechende objektivierte Handlungstendenz. Nach neuerer Rechtsprechung seien die Wege innerhalb des häuslichen Bereiches während der Homeoffice-Tätigkeit versichert, wenn es sich hierbei um einen Weg zur Toilette oder zur Nahrungsaufnahme handele.

Hier bestehe der Unfallversicherungsschutz im gleichen Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Betriebsstätte, d. h., dass Wege innerhalb des häuslichen Bereiches in Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt sein müssten, die betriebliche Arbeit zu verrichten.

Im Unfallzeitpunkt sei hier jedoch die Tätigkeit bereits beendet gewesen und die Bürotür durchschritten. Als sie auf der Treppe stürzte, habe sich die Mitarbeiterin auf dem Weg in ihren Wohnbereich befunden. Nach dem Durchschreiten der Tür des Homeoffice-Büros sei die Homeoffice-Tätigkeit beendet gewesen und die objektivierte Handlungstendenz für das Betreten der Treppe habe darin bestanden, eine private Verrichtung aufzunehmen.

Unfall im unversicherten Privatbereich?

Da sich der Unfall im unversicherten privaten Bereich ereignet habe, bestehe hierfür kein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, weshalb die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls gem. § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) und die Leistungspflicht der Unfallversicherung nicht vorliegen würden.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hatte die Mitarbeiterin Klage vor dem Sozialgericht Schwerin (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass sie am 01.03.2022 im Rahmen der innerbetrieblichen Regelungen im Homeoffice gewesen sei und um 16.03 Uhr ihren Arbeitsplatz im Dachgeschoss der Wohnung verlassen habe, um ihre Büroschlüssel und das Headset in die im unteren Wohnungsgeschoss stehende Arbeitstasche zu bringen sowie die Notizen des Arbeitstages zu vernichten.

Verwahren von Arbeitsgerät

Erst anschließend sei ihre Tätigkeit beendet gewesen. Sie habe sich deshalb auf dem Weg in die untere Etage der Wohnung noch bei versicherter Tätigkeit befunden. Das Verbringen der Gegenstände in die Arbeitstasche sei dienstlich veranlasst gewesen. Das Headset und den Büroschlüssel habe sie für die Tätigkeit am nächsten Tag am Unternehmenssitz benötigt. Wegen der Folgen des Bänderrisses bedürfe sie weiterhin physiotherapeutischer Behandlung.

Die Klage hatte Erfolg. Zu seinem Urteil hat das SG zunächst ausgeführt, dass die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. §§ 54, 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig ist. Das Feststellungsinteresse der Mitarbeiterin auf Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ergibt sich aus den gesundheitlichen Folgen des Unfalls und der Leistungsablehnung der Unfallversicherung.

In dieser Situation kann sie die Grundlagen der möglicherweise in Zukunft infrage kommenden Leistungsansprüche in der isolierten Feststellungsklage klären lassen, um ggf. (später) konkrete Leistungen geltend machen zu können.

Nach SG gesetzlicher Unfallversicherungsschutz gegeben

Die Mitarbeiterin stand am 01.03.2022 auf dem Weg von ihrem Homeoffice-Arbeitsplatz im Dachgeschoss in den Wohnbereich ihrer Wohnung unter gesetzlichem Unfallversicherungsschutz. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Unfälle sind zeitlich begrenzte von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

Am 18.06.2021 ist mit der Anfügung von Satz 3 in § 8 Abs. 1 SGB VII eine Neuerung zum Unfallversicherungsschutz im Homeoffice gesetzlich geregelt worden. Danach besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte, wenn die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt wird.

Versicherte Tätigkeiten

Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Versicherte Tätigkeiten sind nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII auch das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Ersatzbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgt.

Nach ständiger unfallversicherungsrechtlicher Rechtsprechung müssen die Voraussetzungen der „versicherten Tätigkeit“, der „Verrichtung“, der „Einwirkung“ und des „Gesundheitsschadens“ vollbewiesen sein. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit.

(…)

Sozialgericht Schwerin, Urt. v. 13.12.2022 – S 16 U 49/22

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz 17/2024, Rn. 159.