Das Oberverwaltungsgericht NRW hat entschieden, dass eine planbedingte Überschreitung der Immissionswerte von etwa 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts im Einzelfall hinzunehmen sein kann, etwa dann, wenn in einem besonders lärmvorbelasteten Bereich die Erhöhungen der Immissionspegel unterhalb der Wahrnehmbarkeitsschwelle für das menschliche Ohr liegen.
Normenkontrollverfahren
In einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO in einem Normenkontrollverfahren ging es vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) u. a. um die Frage, ob eine planbedingte Überschreitung der Immissionswerte von etwa 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts im Einzelfall hinzunehmen sein kann.
Das OVG hat grundsätzlich ausgeführt, dass erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis in einem gegen einen Bebauungsplan angestrengten Normenkontrollverfahren ist, dass der Antragsteller hinreichend substanziiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird.
Berücksichtigung privater Belange
An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es, wie hier, um das subjektive Recht des klageführenden Wohnhauseigentümers aus § 1 Abs. 7 BauGB auf fehlerfreie Berücksichtigung seiner privaten Belange im Rahmen der Abwägung geht.
Auch insoweit reicht es aus, dass er Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen. Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang, d. h. auf ein mehr als nur geringfügig schutzwürdiges Interesse berufen kann.
Geltendmachung einer Rechtsverletzung
Denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass der Plangeber ihn bei der Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat. Die bloße Behauptung einer theoretischen Rechtsverletzung mag allerdings im Einzelfall dann nicht zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung i. S. v. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO genügen, wenn diese Behauptung nur vorgeschoben erscheint, tatsächlich eine Rechtsverletzung aber offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet.
Davon ausgehend war hier der Antragsteller, gemeinsam mit seiner Ehefrau, als Eigentümer eines südlich vom Plangebiet liegenden, mit einem Dreifamilienhaus bebauten Grundstücks antragsbefugt. Eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung erscheint nach seinem Vortrag jedenfalls insoweit möglich, als es um seinen Schutz vor planbedingtem Lärmzuwachs geht. Der Antrag war jedoch unbegründet.
Erfordernis eines schweren Nachteils
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Das Erfordernis eines schweren Nachteils bindet die Aussetzung der Vollziehung einer Norm an erheblich strengere Voraussetzungen, als sie sonst für den Erlass einstweiliger Anordnungen gem. § 123 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz verlangt werden.
Die Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans zur Abwehr eines schweren Nachteils ist nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen gerechtfertigt, die durch Umstände gekennzeichnet sind, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung gleichsam unabweisbar erscheinen lassen.
Voraussetzungen für Außervollzugsetzung
Nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des OVG stellt dabei allein der Umstand, dass die Umsetzung des angegriffenen Bebauungsplans unmittelbar bevorsteht, noch keinen schweren Nachteil im Verständnis von § 47 Abs. 6 VwGO dar.
Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verwirklichung des Bebauungsplans in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eine schwerwiegende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Positionen des jeweiligen Antragstellers konkret erwarten lässt.
Aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten sein kann die Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans, wenn sich dieser bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich unwirksam erweist und seine Umsetzung den jeweiligen Antragsteller, unterhalb der Schwelle des schweren Nachteils, konkret so beeinträchtigt, dass die einstweilige Anordnung jedenfalls deshalb dringend geboten ist.
Gemessen an diesen Maßstäben lagen hier die Voraussetzungen für eine Außervollzugsetzung des angegriffenen Bebauungsplans nicht vor. Bei summarischer Prüfung lässt sich nicht feststellen, dass die planbedingten Lärmimmissionen am Grundstück den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordern. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Antragsteller nicht mehr zumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt wäre.
Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse
Nicht mehr hinzunehmen sind Immissionen jedenfalls dann, wenn sie mit gesunden Wohnverhältnissen i. S. d. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB nicht in Einklang zu bringen sind. Eine exakte Grenze i. S. eines eindeutigen Grenzwerts lässt sich allerdings insoweit nicht fixieren.
Die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse sind jedoch im Regelfall gewahrt, wenn die Orientierungswerte für Dorf- oder Mischgebiete von 60 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts unterschritten werden, da die genannten Baugebiete neben der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben auch dem Wohnen dienen und die Orientierungswerte hierauf zugeschnitten sind.
Ebenso ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt, wo die Grenze exakt verläuft, bei der die Schwelle zur Gesundheitsgefahr durch Lärmimmissionen erreicht bzw. überschritten wird. Die Grenze der Gesundheitsgefahr, bei der eine Ermittlung der Lärmbeeinträchtigung nach Maßgabe eines Summenpegels geboten ist, beginnt (jedenfalls) regelmäßig für Wohngebiete bei einem äquivalenten Dauerschallpegel von etwa 70 dB(A) tags und 60 dB(A) nachts.
(…)
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.05.2024 – 10 B 186/24
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Baden-Württemberg 19/2024, Rn. 232.