Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse eines AfD-Mitglieds als rechtswidrig bewertet, da die zuständige Behörde u. a. nicht geprüft habe, ob Umstände vorliegen, die die Regelunzuverlässigkeitsvermutung widerlegen können.
Sachverhalt
Der Antragsteller ist Inhaber eines „kleinen Waffenscheins“, des Europäischen Feuerwaffenpasses sowie mehrerer Waffenbesitzkarten, auf denen zuletzt eine Kurz- und eine Langwaffe eingetragen waren. Er ist Mitglied des Thüringer Landesverbandes der Partei „Alternative für Deutschland“ (im Folgenden: AfD-LV Thüringen).
Im März 2021 stufte das Thüringer Amt für Verfassungsschutz (AfV) den AfD-LV Thüringen im Verfassungsschutzbericht als Beobachtungsobjekt im Bereich des Rechtsextremismus ein. Auf dieser Grundlage übermittelte das AfV unter dem 23. Mai 2022 dem Antragsgegner (Landkreis) einen Vermerk, in dem es die dieser Einschätzung zugrunde liegenden Feststellungen und Bewertungen mit dem Ziel der Weitergabe an die unteren Waffenbehörden zusammenfasste.
In der Folge widerrief der Antragsgegner nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 18. April 2023 die dem Antragsteller erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse, forderte ihn zur Abgabe von Waffen und Munition sowie zur Rückgabe der Erlaubnisdokumente auf und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides an.
Regelunzuverlässigkeit
Zur Begründung nahm der Antragsgegner im Wesentlichen Bezug auf den Vermerk des AfV vom 23. Mai 2022 und stellte fest, dass aus der Mitgliedschaft des Antragstellers im AfD-LV Thüringen die Annahme der Voraussetzungen des Regelunzuverlässigkeitstatbestandes des § 5 Abs. 2 Nr. 3b WaffG folge. Es sei erwiesen, dass der AfD-LV Thüringen rechtsextremistische Bestrebungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes verfolge.
Der Antragsteller erhob Widerspruch und wandte sich vor dem Verwaltungsgericht Gera gegen den Sofortvollzug der Maßnahme. Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag statt, weil nach seiner Auffassung nicht mit der von § 5 Abs. 2 Nr. 3b WaffG geforderten Gewissheit feststehe, dass der AfD-LV Thüringen Bestrebungen verfolge, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien.
Dagegen hat sich der – beim Thüringer Innenministerium angesiedelte – Vertreter des öffentlichen Interesses mit der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht gewandt. Seine Beschwerde hatte im Ergebnis keinen Erfolg.
Normen und Leitsatz
WaffG – §§ 4 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 2 Nr. 3, 45 Abs. 2 Satz 1, 45 Abs. 5
Ein Bescheid zum Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis bedarf einer eigenständigen waffenrechtlichen Bewertung des Sachverhaltes durch die Waffenbehörde. Die Behörde hat notwendige Feststellungen zu einer kämpferisch-aggressiven Haltung des Landesverbandes der AfD zu treffen, wie sie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis erforderlich ist.
Die Behörde hat weiterhin zu prüfen, ob es dem Antragsteller gelungen ist, die Regelvermutung des Waffengesetzes zu widerlegen, dass eine Person, die Mitglied in einer als verfassungsfeindlich eingestuften Vereinigung ist, typischerweise die verfassungsfeindlichen Ziele der Vereinigung auch teilt.
Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 19.02.2024 – 3 EO 453/23
Aus den Gründen
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die – hier allein beantragte – aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den im Bescheid vom 18. April 2023 unter Ziffer 1 erklärten Widerruf der ihm erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse, der bereits nach § 45 Abs. 5 des Waffengesetzes (WaffG) von Gesetzes wegen sofort vollziehbar ist, angeordnet.
Die vom Vertreter des öffentlichen Interesses mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich zu beschränken hat, gebieten keine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung in der Sache.
Widerlegung der Regelvermutung
Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass der angefochtene Erlaubniswiderruf unter Ziffer 1 des Bescheides des Antragsgegners vom 18. April 2023 in seiner dem Senat vorliegenden Fassung offensichtlich rechtswidrig ist.
Dies folgt allerdings entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht bereits aus einer unzureichenden Feststellung einer verfassungsfeindlichen Ausrichtung des AfD-LV Thüringen (dazu unter 1.). Es fehlt an der nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderlichen Feststellung einer kämpferisch-aggressiven Haltung der Vereinigung (dazu unter 2.a.). Zudem mangelt es an der Prüfung einer möglichen Widerlegung der Regelvermutung durch den Antragsgegner (dazu unter 2.b.).
Versagungsgründe
Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Danach ist – also ohne, dass der zuständigen Behörde ein Ermessen zukommt – eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Antragsteller nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nicht (mehr) die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt.
Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG in der hier maßgeblichen aktuellen Fassung vom 20. Februar 2020 besitzen in der Regel Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren entweder (Buchst. a) Bestrebungen einzeln verfolgt haben, die u. a. gegen die verfassungsmäßige Ordnung (Buchst. aa) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Buchst. bb) gerichtet sind, oder (Buchst. b) Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, oder (Buchst. c) eine solche Vereinigung unterstützt haben.
Die Voraussetzungen dieser hier herangezogenen Ermächtigungsgrundlage sind – nach dem derzeitigen Erkenntnisstand – nicht dargetan.
(…)
Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 9/2024, Lz. 893.