Rechtliches Sicherheit

Kein zulässiges Rückwärtsfahren auf einer Einbahnstraße

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Im Hinblick auf die Kollision zweier rückwärtsfahrender Kfz in einer Einbahnstraße hatte der Bundesgerichtshof (BGH) über die Frage zu entscheiden, wem die Schuld an dem Zusammenstoß zukommt – dem rückwärts aus einer Grundstückszufahrt stoßenden Autofahrer oder der vor einem Parkplatz zum Einparken zurücksetzenden Autofahrerin.

Sachverhalt

Ein Autofahrer hatte sein Kfz vorwärts in einer Grundstückszufahrt abgestellt, die sich an einer Einbahnstraße rechtwinklig in Fahrtrichtung rechts befand. Eine weitere Autofahrerin war in Fahrtrichtung der Einbahnstraße an der Grundstückszufahrt vorbeigefahren.

Sie hielt dann im Bereich einer gerade freiwerdenden Parklücke, die sich links parallel zur Fahrbahn befunden und welche in Höhe der Ausfahrt begonnen hat. Sie wollte in diese Parklücke einfahren, sobald sie frei geworden war. Beide Fahrzeuge stießen zusammen, als der Autofahrer, der aus der Grundstückszufahrt kam, rückwärts in einem Rechtsbogen auf die Einbahnstraße fuhr und die wartende Autofahrerin rückwärtsstartete, um dem aus der Parklücke herausfahrenden Kfz Platz zu machen.

Das aus der Grundstückausfahrt herausfahrende Kfz wurde bei dem Zusammenstoß auf der linken Seite beschädigt. Der aus der Ausfahrt herausfahrende Autofahrer behauptete, er wäre gestanden, als er vorwärts weiterfahren wollte und die Autofahrerin dann rückwärts auf ihn aufgefahren sei. Die übrigen Beteiligten behaupteten, er und die Fahrerin seien gleichzeitig rückwärtsgefahren, als es zum Zusammenstoß gekommen sei.

Verfahrensgang

Der Haftpflichtversicherer der Autofahrerin regulierte den Schaden des aus dem Grundstück kommenden Kfz mit einer Haftungsquote von 40 % und nahm ein Mitverschulden von 60 % bei dem aus der Einfahrt rückwärtsfahrenden Kfz an.

Der Geschädigte akzeptierte die Haftungsquote nicht und klagte die restlichen 60 % vor dem Amtsgericht (AmtsG) ein; dieses gab der Klage – bis auf einen Teil der geltend gemachten Zinsen – statt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht (LG) das Urteil des AmtsG abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Geschädigte verfolgte seinen Klageanspruch durch Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) weiter. Der BGH hob das Berufungsurteil auf und wies die Sache an das LG zurück.

Rückwärtsfahrverbot und Ausnahmen davon

In einer Einbahnstraße dürfe man nur in die vorgeschriebene Fahrtrichtung fahren. Das Vorschriftenzeichen 220 i. V. m. § 41 Abs. 1 StVO gebiete, dass die Einbahnstraße nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden dürfe.

In der Gegenrichtung stehe die Straße dem Fahrzeugverkehr auf der Fahrbahn grundsätzlich nicht zur Verfügung. Somit sei das Rückwärtsfahren auf einer Einbahnstraße in die falsche Richtung in jedem Fall unzulässig.

Eine Ausnahme von diesem Verbot stelle lediglich das unmittelbare Rückwärtseinparken entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung und das Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Einbahnstraße dar.

Demgegenüber sei ein Rückwärtsfahren auch dann unzulässig, wenn es dazu diene, erst zu einer freien oder freiwerdenden Parklücke zu gelangen. Dies gelte auch für den Fall, wenn das Rückwärtsfahren dazu diene, einem Fahrzeug die Ausfahrt aus einer Parklücke zu ermöglichen, um anschließend selbst in diese einfahren zu können.

Nach den zuvor genannten Grundsätzen sei im vorliegenden Fall zu entscheiden gewesen, wer den Unfall in der Einbahnstraße zu verantworten habe.

Zurücksetzen vor Parklücke verkehrswidrig

Die vor dem Parkplatz zum Einparken zurücksetzende Autofahrerin hatte gegen die Verkehrsregeln in einer Einbahnstraße verstoßen. Dies sei anzunehmen, weil diese nach den feststehenden Tatsachen einige Meter rückwärtsgefahren sei, um dem ausparkenden Fahrzeug Platz zu machen.

Zwar gelte auch hier für den aus dem Grundstück fahrenden Autofahrer § 10 Satz 1 StVO, wonach der, welcher aus einem Grundstück auf die Fahrbahn einfahren möchte, sich so verhalten müsse, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei.

Dieser Grundsatz gelte aber nur für Verkehrsteilnehmer, die in einer Einbahnstraße in der vorgeschriebenen Fahrtrichtung unterwegs gewesen seien. Insoweit wäre der aus dem Grundstück rückwärtsfahrende nur bei einem erlaubten unmittelbaren Ein- und Ausparken der Autofahrerin für den Unfall verantwortlich gewesen.

Entgegen der in der Rechtsliteratur vertretenen Ansicht, sei hier auch kein Verstoß des aus dem Grundstück fahrenden Autofahrers anzunehmen, weil etwa das Zurücksetzen der Autofahrerin ein Umsetzen des allgemeinen Rücksichtnahmegebote gem. § 1 Abs. 1 StVO dargestellt habe. Daher sei die zurücksetzende Autofahrerin am Unfall schuld gewesen.

Rückwärts gerichtete Ausfahrt aus Grundstück regelkonform

Es spreche auch nichts dafür, dass aufgrund eines Anscheinsbeweises eine Mitschuld des aus dem Grundstück kommenden Kfz anzunehmen gewesen ist. Die Vorschriften des § 10 Satz 1 StVO wie auch § 9 Abs. 5 StVO seien zwar auf den Vorgang anzuwenden, dass der Fahrer aber gegen Sorgfaltspflichten insoweit verstoßen hat, sei nicht ohne Weiteres anzunehmen.

Ein Anscheinsbeweis komme nur bei einem typischen Geschehensablauf in Betracht, dieser liege aber nicht vor. Weil die zum Parken rückwärts stoßende Autofahrerin definitiv gegen die StVO verstoßen habe, könne aus der Tatsache, dass das andere Kfz rückwärts vom Grundstück auf die Einbahnstraße eingefahren sei, nicht darauf geschlossen werden, dass dessen Fahrer auch eine Mitschuld trage.

Wie ausgeführt, müsse dessen Fahrer nicht mit einem in unzulässiger Richtung fahrenden Kfz rechnen. Insoweit könne nur eine Ausnahme von dieser Regel behauptet und dann mit normalen Beweismitteln nachgewiesen werden. Der Rechtsstreit sei daher zur weiteren Prüfung in dieser Hinsicht an das LG zurückzuweisen gewesen.

Bundesgerichtshof, Urt. v. 10.10.2023 – VI ZR 287/22

Entnommen aus der Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz 24/2024, Rn. 214.