Bedrohungsmanagement bietet Unternehmen die Chance, nicht nur auf funktionaler Ebene, sondern auch kulturell zu wachsen – dieser Artikel zeigt, warum es jetzt an der Zeit ist, diese interdisziplinäre Aufgabe fest in der Unternehmensrealität zu verankern. Teil 1 widmet sich dabei dem Aspekt der Prävention sowie den Erfordernissen der Interdisziplinarität, der Professionalisierung sowie der Schaffung einer offenen, gelebten Fehlerkultur.
Bedrohungsmanagement ist mehr als nur ein Sicherheitskonzept – es ist eine Frage der Unternehmenskultur. In einer Zeit, in der sich Bedrohungslagen zunehmend diversifizieren und dynamisieren, benötigen Organisationen neue, interdisziplinäre Lösungsansätze. Zwar ist Bedrohungsmanagement als Fachdisziplin nicht neu, doch hat es in vielen Unternehmen und Organisationen bislang keinen systematischen Einzug gehalten. Dabei ist genau dieser strukturierte und vorausschauende Umgang mit potenziellen Gefahren essenziell, um präventiv „vor die Lage“ zu kommen.
Prävention maßgeblich
Im Juli 2024 betrat ein 29-jähriger Mann – früher kurzzeitig Mitarbeiter in einer Anwaltskanzlei – das Büro und richtete mit einer legal erworbenen Langwaffe tödliche Schüsse auf eine 23-jährige Kollegin. Anschließend beging er Selbstmord. Die Tat fand in einer vertrauten Arbeitsumgebung statt. Das Motiv wird noch untersucht, doch ein persönlicher Zorn auf das Arbeitsumfeld gilt als wahrscheinlich.
Im Februar 2025 wurde ein 32‑Jähriger angeklagt, seinen Chef, den Betreiber eines Sushi-Restaurants in Berlin-Rudow, mit Messern und einer Machete bedroht zu haben – um ausstehenden Lohn einzutreiben.
Diese Fälle zeigen, wie Gefühle von Groll, Wut und Rache am Arbeitsplatz funktional zu realer Bedrohung werden können – und das in kurzer Zeit. Es reicht nicht, nur auf traditionelle Risiken zu achten: Auch emotionale Belastungen müssen früh erkannt werden. Reaktive Maßnahmen (z. B. Kündigung oder polizeiliche Intervention) greifen oft zu spät.
Wir brauchen präventive, interdisziplinäre Ansätze: Sicherheitsabteilungen, HR, Psychologie und Führungskräfte müssen gemeinsam Muster wie Kündigungsfrust, Lohnstreit, Mobbing oder Machtverlust erkennen und steuern.
Bedrohungsmanagement, ein „Schnabeltier“?
In der aktuellen Sicherheitslandschaft gleicht Bedrohungsmanagement fast schon einem Schnabeltier: schwer einzuordnen, vielseitig, ungewöhnlich[1] – und gerade deshalb überlebenswichtig. Es fungiert als Brückentier zwischen Disziplinen, Fachabteilungen und Kulturen.
Psychologie und Kriminologie liefern die theoretischen Grundlagen, doch auch Wissen aus dem Arbeitsrecht, der Compliance, dem Datenschutz, der Unternehmenssicherheit und der betrieblichen Mitbestimmung ist erforderlich. Eine enge Zusammenarbeit mit HR ist ebenso unerlässlich wie interdisziplinäres Denken und Handeln. Ein besonders ermutigender Aspekt in diesem Zusammenhang ist die große Einigkeit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen. Beide Seiten erkennen die Relevanz des Themas an und setzen sich gemeinsam dafür ein, es voranzubringen.
Diese gemeinsame Haltung bildet eine wichtige Grundlage für konstruktive Zusammenarbeit und zeigt, dass Gewaltprävention kein polarisierendes, sondern ein verbindendes Anliegen ist.
Wesentliche Bausteine
Wesentliche Bausteine eines wirksamen Bedrohungsmanagements sind eine organisationsweite Sicherheitskultur, professionelle Bedrohungsmanager sowie klar definierte, funktionierende Prozesse. Dabei kommt es jedoch nicht auf starre Routinen an, sondern auf flexible Strukturen, die sich den Dynamiken des jeweiligen Einzelfalls anpassen können.
Nur wenn kulturelle Sensibilität und prozessuale Verlässlichkeit zusammengedacht werden, lässt sich auf erste Warnsignale angemessen reagieren – bevor aus individueller Belastung reale Gefahr wird.
Eine Sicherheitskultur, die ein aktives Hinschauen, Verantwortung und eine offene Meldekultur fördert, ist von grundlegender Bedeutung. Das Verständnis von Melden kritischer Situationen muss umdefiniert werden: Hilfe für Betroffene, Schutz/Prävention für das Unternehmen und der Beschäftigten, Unterstützung bei eigener Unsicherheit statt Denunziantentum, Verrat oder Petze.
Die Rolle von Führungskräften
Es braucht Verantwortung, Vernetzung, Offenheit und eine Fehlerkultur. Führungskräfte sind nicht dazu angehalten, sämtliche Herausforderungen im Team eigenständig zu lösen. Vielmehr ist es entscheidend, dass sie über ein gut gepflegtes Netzwerk verfügen, relevante Experten kennen und die Einbindung dieser Fachkompetenzen als Vorbild aktiv vorleben.
Zwischenfazit
Wird ein Bedrohungsmanagement im oben beschriebenen Sinne aufgebaut, so kann eine Kultur der Zusammenarbeit geschaffen werden, die sicherstellt, dass komplexe Probleme effektiv und interdisziplinär angegangen werden. Eine Kultur, in der das Melden von Auffälligkeiten, einem „schlechten Bauchgefühl“ oder die Frage nach Unterstützung als Normalität empfunden werden.
[1] Ein Schnabeltier (Ornithorhynchus anatinus) ist ein eierlegendes Säugetier aus Australien, das Merkmale von Reptilien, Vögeln und Säugetieren kombiniert, wie einen Entenschnabel, Eierlegung, dichten Pelz und Milchproduktion, und daher als Brückentier zwischen diesen Tierklassen angesehen wird.