Rechtliches Sicherheitskonzepte

Die Loveparade 2010 – Autopsie einer vorhersehbaren Katastrophe

Schwarze Trauerschleife auf weißem Grund.
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Der Artikel skizziert in Kürze die Rahmenbedingungen, die Chronologie und die Ursachen für das Unglück während der Loveparade 2010 in Duisburg. Besonders im Brennpunkt stehen die Mechanismen des Massengedränges.

Es gibt wenige Krisenszenarien, welche so gut dokumentiert sind wie das Unglück während der Loveparade 2010 am 24.07.2010 in Duisburg. Dabei kamen 21 Menschen ums Leben, mindestens 652 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Nach Angaben des Selbsthilfevereins LoPa-2010 begingen in den vier Folgejahren mindestens sechs Überlebende der Ereignisse aufgrund der seelischen Belastung Selbstmord.


Quelle: Rampenkopf 14:28 Uhr, Foto Ulf Kleczka.[1]

In den Medien wurde das Unglück oft als Massenpanik bezeichnet. Tatsächlich aber kam es im unteren Bereich des Zu- und Abgangs zur Veranstaltung, einer ehemaligen Hauptrampe zum Güterbahnhof, zu einem Gedränge mit massiven Drucksituationen unter den Besuchern.

Als ehemaliges Kind der Stadt und mit guter Kenntnis der Örtlichkeiten, möchte ich dem Unglück gerne einen Beitrag widmen.

Die Falle – nur ein gemeinsamer Zu- und Abgang zum Veranstaltungsgelände

Beginnen möchte ich mit einem Übersichtsbild, welches Teile des Geländes von oben zeigt. Das Luftbild wurde aus nördlicher Richtung aufgenommen. Es sind Zu- und Abgang zum Veranstaltungsgelände darauf zu sehen. Zusätzlich sieht man äußerst rechts im Bild einen Teil der Bundesautobahn 59, welche am Veranstaltungstag gesperrt war, um als Bereitstellungsraum für Einsatzfahrzeuge zu dienen.

Links im Bild ist die Hauptrampe zu sehen. Zu- und abfließende Besucher mussten sich über diese Rampe bewegen. Die roten Pfeile zeigen die beiden gegenläufigen Bewegungsrichtungen für die zu- und abfließenden Menschen auf der Rampe selbst. Die blauen Pfeile zeigen die Bewegungsrichtungen zum Rampenzugang von Osten und Westen durch die Unterführung (Karl-Lehr-Straße).

Die zweite Rampe in der Bildmitte wurde um 16:02 Uhr für abfließende Besucher geöffnet. Allerdings wurde die Rampe zunächst kaum genutzt, weil sie den meisten Besuchern nicht bekannt war.

Das Unglück selbst spielte sich am Fuß der Hauptrampe ab. Dort verdichteten sich am Nachmittag die ab- und zufließenden Besuchermassen aufgrund der gegenläufigen Bewegungsrichtungen sehr stark, kamen zum Stillstand und tausende von Menschen steckten dort fest.

Im Internet wird man zum Unglück viele Videos finden, welche das Gedränge im Rampenbereich um ca. 16:38 Uhr zeigen. Die Videos vermitteln sehr anschaulich das Gedränge und die Drucksituation, denen die Menschen ausgesetzt waren. Man sieht darin auch, wie Menschen einen Lichtmast am Rand der Rampe hochklettern, um aus dem Gedränge hinauszugelangen.

Die Chronologie des Unglücks

Bereits ab 14:00 Uhr verdichteten sich die Besucher am oberen Ende der Rampe, weil dort Musiktrucks langsam vorbeifuhren. Die Nutzung der Rampe als einziger Zu- und Abgang verschärfte die Situation. Die Nebenrampe wurde erst ab 16:02 Uhr als zweiter Zugang freigegeben.

An der Hauptrampe gab es keine Ordner oder Hinweisschilder, welche ankommende Besucher zügig durch den Flaschenhals bewegt hätten.

Mangelhafte Kommunikation und Koordinierung mit der Polizei

Die Veranstaltungsleitung wollte um 14:30 Uhr Unterstützung durch die Polizei anfordern, erreichte den zuständigen Polizeiführer aufgrund technischer Probleme jedoch erst um 15:15 Uhr. Um 15:50 Uhr wurden Polizeiketten im Ost- und Westtunnel gebildet, um den überfüllten Rampenkopf zu entlasten. Um 16:00 Uhr wurde eine weitere Polizeikette im unteren Rampenbereich gebildet, um zu verhindern, dass abfließende Besucher in die Tunnel strömten. Parallel wurden die Eingangsschleusen zu den Tunneleingängen gesperrt, allerdings kam es aus noch ungeklärten Gründen (z. B. Kommunikationsprobleme bei Polizei und/oder Ordnungsdienst, ausfahrender RTW) ab ca. 16:02 Uhr von der Westseite zu verstärktem Besucherzulauf in den Tunnel.

Um 16:13 Uhr wurde die Polizeikette im Osttunnel überrannt und die Polizeikräfte konnten diese aufgrund des hohen Besucherdrucks nicht wiederherstellen. Die Polizeikette im Westtunnel wurde um 16:20 Uhr kontrolliert aufgelöst. Warum die Polizeikette auf der unteren Rampe nicht zeitgleich ebenfalls geöffnet wurde, um einen Stau auf der Rampe zu vermeiden, bleibt bis heute unklar.

Unglückliche Steuerung der Besucherströme

Die Sperrung der Rampe und Öffnung der Tunnel führten zu einem erheblichem Menschenaufkommen und Druck im unteren Bereich der Rampe. Ab 16:22 Uhr kletterten erste Personen an einem Lichtmast hoch, andere erklommen eine zunächst noch abgezäunte kleine Treppe. Vor der Treppe gab es die tödlichen Vorgänge, weil dort die Menschen auf ca. fünf bis sechs Personen je Quadratmeter zusammengedrängt wurden. Um 16:38 Uhr wurde eine erste kollabierte Frau über den Köpfen der Menschen zur Treppe durchgereicht. Ab 16:45 Uhr waren deutliche Hilferufe aus der Menge zu hören.

Um 16:50 Uhr war im oberen Bereich der Rampe eine Polizeikette vollständig, um Heimgänger aufzuhalten. Noch um 16:51 Uhr aber fanden Besucher am Westeingang Einlass. Erst um 16:55 Uhr wurde dieser Zugang abgeriegelt, der Osttunnel erst um 17:12 Uhr. Bis das Menschenknäuel aufgelöst werden konnte und genug Polizisten und Sanitäter vor Ort waren, war es ca. 17:20 Uhr.

Die Todeszone – der Rampenfuß

Die entscheidende Phase der Katastrophe fand von 16:25 Uhr bis 16:45 Uhr statt. Die Hauptbewegung der Menschenmenge am Rampenfuß verlief besonders in Richtung des rechten Rampenrandes und der dortigen Treppe. Die Treppe war ursprünglich mit einem Zaun abgesperrt. Diese Absperrung wurde aber überwunden und immer mehr Personen versuchten aus der Menge herauszukommen, indem sie die Treppe hinaufstiegen.

Dies führte offenbar auch dazu, dass die nachströmende Menschenmasse sich in Richtung der Treppe orientierte. Die Bewegung verlief dabei wellenartig. Vor der Treppe selbst kam es dann zu einer Menschenverdichtung von ca. fünf bis sechs Personen je Quadratmeter.

Videoaufnahmen von 16:55 Uhr bis 17:03 Uhr belegen, dass Gruppen von Menschen umfielen, Personen über andere kletterten und sich zunehmend verknäulten. Mögliche Ursachen dafür waren Kreislaufkollapse und Momente größeren Drucks durch Drängler. Eine stärkere Wellenbewegung der Masse wurde zudem durch ein Polizeifahrzeug ausgelöst, welches sich zwischen 16:49 – 17:00 Uhr im Rampenfuß durch die Menschenmasse bewegte.

Die Verletzungsmuster und Todesursachen

Bei mindestens 21 Menschen kam es zu einer Brustquetschung, welche in Folge zur einem Erstickungszustand durch Absinken des arteriellen Sauerstoffgehalts führten. Augenzeugen berichteten, dass eingekeilte Menschen tot in der Menge standen. Um 17:02 Uhr wurde das erste Todesopfer gemeldet und um 17:13 Uhr erreichte der erste Rettungswagen die Rampe.

Der Veranstalter hatte die Besucheranzahl für den Tag des Unglücks mit 1,4 Millionen Personen angegeben. Die Rampe war der einzige Zu- und Abgang zum Veranstaltungsgelände. Erschwerend kamen die gegenläufigen Bewegungen von zu- und abfließenden Besuchern hinzu, welche sich auf der Rampe und dem Rampenunterführungsbereich treffen mussten. Es bleibt unklar, wie der Veranstalter und die Genehmigungsbehörde bei der zu erwartenden Besuchermenge von einem reibungslosen Besucherzufluss und -abfluss ausgehen konnten.

Rechtsfolgen

Nach dem Unglück schoben sich der Veranstalter, die Polizei, die örtlichen Behörden sowie der Crowdmanager gegenseitig die Verantwortung für die Katastrophe zu. Zusätzlich gaben in einer Pressekonferenz am Abend des Unglücks der Leiter des Krisenstabes, der Oberbürgermeister und ein Polizeisprecher den Besuchern eine Mitschuld an der Auslösung des Unglücks, weil sie gedrängelt und Sicherheitsabsperrungen überklettert hätten.

Im Nachgang und vor Gericht strittig waren insbesondere die mangelhafte Kommunikationsverbindung zwischen Veranstalter und Polizei, die Nichteinhaltung von Veranstaltungsauflagen, eine mangelhaftes Ordnersystem während der Veranstaltung, die mangelnde Kontrolle der Aufsichtsbehörde und das späte Eingreifen der Polizei, nachdem die Veranstaltungsorganisation offenbar bereits völlig aus dem Ruder gelaufen war.

Erste Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Am Folgetag der Veranstaltung leitete die Duisburger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung ein.

Am 18.01.2011 gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass Anfangsverdacht gegen 16 Personen aus dem Verantwortungsbereich des Veranstalters, der Stadt Duisburg und der für die Veranstaltung verantwortlichen Polizeibeamten bestehe. Am 11.07.2011 ergänzte die Staatsanwaltschaft, dass aus ihrer Sicht die Erteilung der Genehmigung für die Loveparade 2010 rechtswidrig gewesen sei.

Der zum Unglück amtierende Oberbürgermeister von Duisburg, Adolf Sauerland, wurde auf Grund eines Bürgerentscheides am 12.02.2012 abgewählt.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg erhob im Februar 2014 gegen 10 Personen Anklage. Das Landgericht Duisburg lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens zunächst mit Beschluss vom 30.03.2016 ab, musste sich aber dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 18.04.2017 beugen und das Strafverfahren durchführen.

Gerichtsverfahren

Die Hauptverhandlung begann am 08.12.2017 und gilt als einer der umfangreichsten Strafprozesse im Deutschland der Nachkriegszeit. Bei den Beschuldigten handelte es sich um vier Beschäftigte des Veranstalters sowie sechs Mitarbeiter der Stadtverwaltung.

Der eingeschaltete Sachverständige konnte in seinem Gutachten den Hergang und die Ursachen der tragischen Ereignisse weitgehend aufklären. Das Veranstaltungsgelände war für die erwarteten Besucherströme nicht geeignet. Insbesondere der Bereich oberhalb der Rampe und die Eingangsschleusen waren zu klein und viel zu schmal.

Die zu- und abfließenden Besucher blockierten sich auf der Rampe gegenseitig. Laut Gutachten wäre es auch ohne Polizeiketten zu diesen Menschenstauungen und -verknäulungen gekommen. Die Ursachen waren insofern eine Fehlplanung der Veranstaltung und eine unkoordinierte Steuerung der Besucherströme.

Das Gericht sah nur eine geringe Schuld der Angeklagten und die Staatsanwaltschaft Duisburg stimmte einer Einstellung des Verfahrens zu. Im April 2020 wurde mitgeteilt, dass alle Verfahren ohne Urteil eingestellt werden sollen. Mehrere Anwälte von Nebenklägern protestierten anschließend gegen diese Entscheidung.

Fazit

Eine Kombination aus grundlegenden Fehlplanungen der Veranstaltung, mangelhafter Steuerung der Besucherströme, Kommunikationsprobleme und unzureichende Koordinierung mündeten in die beschriebene Katastrophe.

Das Unglück hat deutlich gemacht, welche grundsätzliche Gefahr durch die Verdichtung und Dynamik innerhalb von Menschenmassen bei Großveranstaltungen ausgeht. Haben sich Stauungen und Verknäulungen erst einmal gebildet, sind diese sehr schwer wieder aufzulösen. In den verdichteten Menschenmengen besteht dann erhebliche Verletzungs- und Lebensgefahr. Dies insbesondere infolge des Drucks auf den Brustkorb und der damit einhergehenden Einschränkung der Atmung und Sauerstoffaufnahme.

Besonders tragisch bleibt, dass viele Geschädigte weiterhin unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden und die Geschädigten und Angehörigen in diesem Fall leider keinen Rechtsschutz gefunden haben.

[1] https://loveparade2010doku.wordpress.com/2011/08/06/bewegungsmodell/.