Rechtliches Sicherheit

Entziehung der Fahrerlaubnis vor Inkrafttreten des CanG

Oberer Teil eines Medizinisch-psychologischen Gutachtens. Darauf liegen ein Autoschlüssel und ein Stift. Darunter liegt, halb verdeckt, ein Führerschein.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Auswirkungen das Cannabisgesetz (CanG) auf eine wegen regelmäßigen Cannabiskonsums angeordnete Fahrerlaubnisentziehung hat, die vor Inkrafttreten des CanG am 01.04.2024 ausgesprochenen wurde.

Die Fahrerlaubnisinhaberin wendet sich gegen die vorläufige Vollziehbarkeit der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, M, L und S. Am 30.06.2022 wurde der Fahrerlaubnisbehörde bekannt, dass die Fahrerlaubnisinhaberin am 06.02.2022 im Rahmen eines Suizidversuchs vorschriftswidrig psychoaktiv wirkende Arzneimittel eingenommen hatte.

Schädlicher Gebrauch von Cannabis

Nach dem Arztbrief einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 10.02.2022 wurde bei der Fahrerlaubnisinhaberin eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen diagnostiziert, im Entlassungsbericht vom 23.03.2022 darüber hinaus „psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: schädlicher Gebrauch“. Am 26.04.2022 diagnostizierte eine Ärztin dieser Klinik eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen.

Nach einem auf Anforderung der Fahrerlaubnisbehörde vom 17.05.2023 beigebrachten ärztlichen Gutachten einer amtlich ankerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 04.09.2023 lag bei der Fahrerlaubnisinhaberin eine rezidivierende depressive Störung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV vor. Es bestehe Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1, sofern die Auflage (fachärztliche Kontrollen im Abstand von sechs Monaten für zwei Jahre) eingehalten werde.

Fehlende Abstinenznachweise

Auf eine weitere Beibringungsanordnung vom 25.09.2023 hin legte die Fahrerlaubnisinhaberin ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom 08.01.2024 vor, wonach trotz positiver Befunde im Hinblick auf den veränderten Lebensstil und die Stabilisierung ihrer Persönlichkeit eine günstige Prognose wegen fehlender Abstinenznachweise derzeit nicht möglich sei. Daher sei davon auszugehen, dass die Fahrerlaubnisinhaberin zukünftig Cannabis konsumieren und psychoaktiv wirkende Arzneimittel missbräuchlich einnehmen werde.

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis legte die Fahrerlaubnisinhaberin ein ärztliches Attest der sie behandelnden Psychiaterin vom selben Tag vor, das einen positiven Krankheitsverlauf und eine glaubhaft berichtete vollständige Cannabisabstinenz auswies.

Entziehung der Fahrerlaubnis

Mit Bescheid vom 08.03.2024 entzog die Fahrerlaubnisbehörde der Fahrerlaubnisinhaberin die Fahrerlaubnis und verpflichtete sie unter Androhung unmittelbaren Zwangs, ihren Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete sie die sofortige Vollziehung der beiden Verfügungen an. Der Pflicht zur Abgabe des Führerscheins kam die Fahrerlaubnisinhaberin am 15.03.2024 nach.

Mit Beschluss vom 25.01.2025 stellte das VG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Fahrerlaubnisbehörde hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 wieder her. Hiergegen legte die Fahrerlaubnisbehörde erfolgreich Beschwerde ein.

Kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben

Der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1, § 11 Abs. 7 FeV i. V. m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV kann wegen der zum 1. April 2024 erfolgten Rechtsänderung nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden.

Der Grundsatz von Treu und Glauben gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts. Er bedarf der Konkretisierung, die anhand von Fallgruppen bzw. Ausprägungen vorgenommen wird. Zu diesen gehört der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, der ein hoheitliches Handeln voraussetzt, das im Widerspruch zu früher begründetem Vertrauen des Bürgers steht.

Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist widersprüchliches Verhalten erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Handelnde dadurch für den anderen Teil einen Vertrauenstatbestand schafft, auf den sich sein Gegenüber verlassen darf, oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen, was der Fall ist, wenn das frühere Verhalten zu dem späteren in unlösbarem Widerspruch steht.

Verpflichtung zu gesetzmäßigem Handeln

Bei der Anwendung des § 242 BGB im öffentlichen Recht ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Verwaltung zu gesetzmäßigem Handeln verpflichtet ist, was der Anwendung ein eigenes Gepräge verleiht, auch wenn der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wegen der gleichzeitigen Verpflichtung auf das „Recht“ keinen absoluten Vorrang genießt.

Die im Privatrecht entwickelten Konkretisierungen von Treu und Glauben lassen sich nicht unbesehen ins öffentliche Recht übertragen. Die öffentlichen Interessen haben einen höheren Stellenwert, auch wenn sie keinen absoluten Vorrang beanspruchen.

Keine Erstreckung des neuen Rechts auf Altfälle vorgesehen

Hieran gemessen macht die Fahrerlaubnisbehörde zu Recht geltend, dass sie nicht verpflichtet oder gehalten war, entgegen geltendem Recht auf das bereits mit Schreiben vom 25.09.2023 angeordnete, negative Fahreignungsgutachten vom 08.01.2024 hin untätig zu bleiben, was im Ergebnis eine Rückwirkung bzw. Erstreckung des seit 01.04.2024 geänderten Rechts auf Altfälle bewirken würde, ohne dass der Gesetzgeber dies vorgesehen hat.

Die Regelung in Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, wonach regelmäßiger Cannabiskonsum die Fahreignung entfallen ließ, galt bis zum Inkrafttreten ihrer Änderung durch das Cannabisgesetz am 01.04.2024 und war wegen des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts unverändert der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.

(…)

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 23.04.2025 – 11 CS 25.203

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Baden-Württemberg 14/2025, Rn. 208.