Grenzen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in fundamentaler Weise gewandelt – von physischen Trennlinien zu transnationalen Grenzräumen, die zunehmend technologisch überwacht werden. Der Beitrag beleuchtet die wesentlichen Aspekte dieser Veränderung von Grenzen im europäischen Kontext und analysiert, welche technologischen Entwicklungen sich abzeichnen und wie diese zu beurteilen sind.
Die unilateral verordneten aktuellen Kontrollen an den bundesdeutschen Grenzen, die zugleich Binnengrenzen im europäischen Schengen-Raum sind, stellen in vielfacher Hinsicht eine Gegenentwicklung dazu dar, wie Grenzen sich in vergangenen Jahrzehnten verändert haben. Innerhalb der Europäischen Union, aber auch im globalen Horizont, haben sich Grenzen von einem linienhaften Phänomen zu transnationalen Grenzräumen weiterentwickelt.
Smart Borders – virtuelle Grenzkontrollen
Hierbei spielen nicht nur zwischenstaatliche Abkommen eine Rolle, sondern in zunehmendem Maße auch der Einsatz technologischer Maßnahmen zur Grenzüberwachung und Grenzkontrolle sowie zur Datengewinnung und -auswertung. Im europäischen Kontext firmiert diese Entwicklung unter dem Schlagwort der „Smart Borders“, was bedeutet, dass Grenzen zunehmend durch eine intelligente und virtuelle Ebene ergänzt werden sollen.
Diese Entwicklung von Grenzen gibt Anlass, in diesem Beitrag vertieft über das Phänomen der Staatsgrenzen – ihre Gestalt und Wirkung – aus migrationsethischer Perspektive nachzudenken. Welche konkreten Maßnahmen verbergen sich hinter diesen oben nur allgemein angesprochenen Veränderungen von Grenzen und wie lassen sich diese Veränderungen im Rahmen größerer Entwicklungsschritte näher beschreiben?
Auf welchen Ebenen lassen sich Grenzen kontrollieren?
Mit Blick auf die polizeiliche Arbeit könnte man auch formulieren: Auf welchen verschiedenen Ebenen lassen sich Grenzen heutzutage kontrollieren und wie ist diese Entwicklung zu beurteilen?
Mit Blick auf das Thema dieser Ausgabe zur Künstlichen Intelligenz soll dabei ein Schwerpunkt auf dem Prozess der Virtualisierung europäischer Grenzen liegen, die im Rahmen verschiedener Maßnahmen erreicht werden soll, um anschließend ausgewählte Aspekte kritisch einzuordnen. Manche Maßnahmen dieser Entwicklung sind schon umgesetzt, andere werden im Rahmen von Forschungsprojekten näher erprobt und weitere wiederum haben den Schritt der Umsetzung noch vor sich – meist wenig beachtet von der allgemeinen europäischen Öffentlichkeit.
Bevor die unterschiedlichen Facetten virtueller Grenzen näher beleuchtet werden, soll zunächst eine damit verbundene ganz grundsätzliche Frage im Vordergrund stehen.
Was ist eigentlich eine Grenze?
Grenzen sind künstlich geschaffene Phänomene, die einem größeren historischen und politischen Kontext unterliegen, sich über die Zeit verändern können und dabei zugleich immer auch in ethischer Hinsicht zu hinterfragen sind.
Völkerrechtlich betrachtet umgeben Grenzen den territorialen Raum eines Staates, über den dieser Jurisdiktionsgewalt, also Hoheit, hat. Dieses Gebiet erstreckt sich nicht nur an Land, sondern auch zu Wasser innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone. Ein Großteil der weltweiten politischen Grenzen zieht sich durch die Natur, inmitten von Meeren, entlang von Flüssen oder mitten durch Wüsten.
So verläuft die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich zu einem großen Teil entlang des Rheins, die chilenisch-argentinische Grenze entlang der höchsten Anden-Gipfel und die Grenzen zwischen Libyen, Ägypten und dem Sudan durch die libysche Wüste. Mit dem bloßen Auge sind Grenzen folglich nicht immer zu erkennen, selbst wenn sie auf Karten markiert sind und politisch-rechtliche Auswirkungen haben.
Vorstellung einer linienhaften Trennung zu undifferenziert
Jenseits dieser „grünen Grenzen“ sind Grenzen an einer wachsenden Zahl von Stellen durch künstliche Befestigungen wie Mauern oder Zäune verstärkt. Diese klar markierte Trennlinie zwischen zwei unterschiedlichen Hoheitsbereichen prägt klassischerweise das Bewusstsein von Grenzen, das auf einem binären Verständnis von Innen und Außen beruht: Wer in diesem Land, wer in jenem Land lebt, wird vom Grenzverlauf entschieden; welche Macht in diesem Bereich gilt, welche in jenem Bereich, ebenso.[1] Eine bewehrte Mauergrenze entlang einer Staatsgrenze verdeutlicht dieses Verständnis von Herrschaft auch in physisch-visueller Weise.
Diese aus heutiger globalisierter Perspektive jedoch zu undifferenzierte Vorstellung einer linienhaften Trennung zweier Herrschaftsbereiche durch eine Grenze hat ihre wirkungsgeschichtliche Ursache in den Westfälischen Friedensverträgen von 1648 und dem darin festgelegten Territorial- und Souveränitätsprinzip. Diese sahen nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges vor, dass ein Staat feste Grenzen hat, welche dessen Herrschaftsbereich und die Reichweite der Geltung seiner Gesetze eindeutig bestimmen.
Relativierung des Gebots der Nicht-Einmischung
Das Fundament dieser Ordnung war das Gebot der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten untereinander, das allerdings im Verlauf des Globalisierungsprozesses zunehmend relativiert wurde.[2] Die Kontrolle eines Staates über die eigenen Grenzen – sei es für Handelsgüter wie Dienstleistungen und Waren, für Kapital oder für Menschen – ist in einer globalisierten Welt aufgrund zahlreicher Verflechtungen jedoch kein absolut zu setzendes Merkmal staatlicher Souveränität mehr.
Zugleich verfängt die populistische Parole in den vergangenen Jahren in verschiedenen Gesellschaften zunehmend, die (vermeintlich verloren gegangene) Kontrolle über die eigenen Grenzen – mitunter ohne Rücksicht auf Verluste – wiedererlangen zu wollen.
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Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Deutschen Polizeiblatt 6.2025, S. 8 ff.
[1] Vgl. Schmitt, Von Grenzen, Menschen und Mauern. Migrationsethische Perspektiven in der globalisierten Weltgesellschaft, Freiburg 2022, Kap. I.1.1.
[2] Vgl. Herzog, Rede des Bundespräsidenten anlässlich des 350-jährigen Jubiläums des Westfälischen Friedens, 24.10.1998.
