Einreisestopp
Im vorliegenden Fall geht es um einen 46-jährigen polnischen Staatsangehörigen, der von 1984 bis 2000 in Deutschland gelebt hatte. Seit seinem achten Lebensjahr leidet er an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose; er war mehrmals stationär in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht. 1999 wurde er vom Landgericht Stuttgart nach versuchtem Mord zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt. Er hatte versucht, seinen Vater durch einen Messerstich in den Kopf zu töten. Der Vater ist seit dieser Zeit schwerst pflegebedürftig. Im Jahr 2000 wurde der Kläger ausgewiesen und nach Polen abgeschoben. Seine Mutter und Schwester leben weiterhin in Deutschland. In Polen war der Kläger nach erneuter Straffälligkeit von 2005 bis 2013 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Das zuständige polnische Amtsgericht hat die Sicherungsmaßregel gegen den Kläger im Jahr 2013 aufgehoben, weil es die gutachterlich attestierten, vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefahren nicht für ausreichend hoch hielt, um ihn weiter in der geschlossenen Psychiatrie unterzubringen.
Der Kläger beantragte daraufhin die Befristung der Wirkungen seines von der Ausweisung ausgehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots auf Null. Das beklagte Land verfügte hingegen im Mai 2014 eine Befristung für weitere 10 Jahre, da von dem Kläger weiterhin eine erhebliche Gefahr ausgehe. Das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart verpflichtete im Juli 2014 das Land zur Befristung auf sofort; ließ aber die Sprungrevision zu. Das BVerwG hat das Urteil des VG nun aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Auch nach der Neufassung des § 7 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU im Dezember 2014 bestehe für die Befristung eines Einreiseverbots für Unionsbürger, bei denen gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU der Verlust des Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt worden ist, keine Höchstgrenze.
Gefahrenprognose ist maßgebend
Maßgeblich für die Befristungsentscheidung ist nach Darlegung des BVerwG zunächst die Prognose über die Fortdauer der vom Unionsbürger ausgehenden Gefahr. Die sich daraus ergebende Frist sei dann – soweit geboten – unter Zugrundelegung der schützenswerten Interessen des Betroffenen zu verkürzen und müsse insgesamt verhältnismäßig sein. Bei der Fristbestimmung handele es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung, nicht um eine Entscheidung nach Ermessen. Dabei begrenze die vom BVerwG als Höchstdauer für eine tragfähige Prognose der individuellen Gefährlichkeit benannte Frist von zehn Jahren nicht die mögliche Gesamtdauer eines Einreiseverbots, sondern bezeichne lediglich einen in die Zukunft wirkenden Prognosezeitraum, weil sich eine längere Zeitspanne typischerweise nicht überblicken lasse.
Zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit
Für die Befristung selbst komme es zunächst darauf an, ob weiterhin eine hinreichend schwere Gefährdung für die öffentliche Sicherheit bestehe. Die Gesamtdauer des Einreiseverbots, das im Zeitpunkt der Entscheidung des VG schon seit 14 Jahren bestand, sei dabei im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Da das VG keine Feststellungen zur Dauer der vom Kläger weiterhin ausgehenden Gefährdung und zu seinen persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Deutschland getroffen habe, war die Sache laut BVerwG zur weiteren Aufklärung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Quelle:
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.03.2015 – 1 C 18.14 –.
