Sicherheit

Umfassende Kommunikationskontrolle in Großbritannien vor der Einführung

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Geplante Kommunikations-Kontrolle in Großbritannien

Wie durch Meldungen der britischen Medien bekannt wurde, plant die britische Regierung ein Gesetz, das alle Kommunikationsdienste-Anbieter in Großbritannien verpflichten soll, staatlichen Stellen (Justiz, Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendienste und weiteren Stellen) Echtzeit-Zugriff auf die gesamte Kommunikation des Landes zu gewähren, ohne dass es dazu wie bisher eines richterlichen Beschlusses bedarf. Die so gewonnenen Verkehrsdaten sollen bis zu 24 Monate verfügbar gehalten werden. Bekannt ist, dass Großbritannien im  Rahmen des UKUSA- Abkommens regelmäßig  aus der Kommunikationsüberwachung  durch das Government Communications Headquarters (GCHQ) gewonnene Daten mit der National Security Agency (NSA) der USA und anderen Partnern (Kanada, Australien und Neuseeland) austauscht.

Internet-Verbindungen aus dem übrigen  Europa, die lediglich durch Großbritannien „durchgeleitet“ werden, können von diesen Maßnahmen betroffen sein. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass hierbei sensitive und umfangreiche betriebliche Kommunikationsinhalte deutscher und anderer europäischer Unternehmen an fremde Stellen abfließen. Nicht zuletzt können derartige Daten durch die USA und Großbritannien auch zur Terrorismusabwehr verwendet werden, ohne dass Betroffene die Möglichkeit haben, fehlerhafte Daten zu berichtigen. Damit besteht die Gefahr, bei der Einreise in die USA oder nach Großbritannien wegen der durch die dortigen Dienste  falsch interpretierten Daten mit einem Verfahren überzogen zu werden.

Das „Interception Modernisation Programme“ des britischen Innenministeriums

Unter dem Eindruck der sich stetig fortentwickelnden Möglichkeiten moderner Kommunikation hat das britische Innenministerium (Home Office) zur Bekämpfung des Terrorismus und der internationalen Kriminalität und der zu erwartenden Bedrohung während der Olympischen Sommerspiele in London das Interception Modernisation Programme entwickeln lassen. In einem Briefing der London School of Economics and Political Science wurde das Programm durch die Policy Engagement Network, Information Systems and Innovation Group, LSE, London, u.a. wie folgt bewertet:


Rahmenbedingungen für die Kommunikationsüberwachung (Lawful Interception)

Die gegenwärtigen rechtlichen Rahmenbedingungen für „Lawful Interception“ in Großbritannien nach dem „Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA)“ sowie die Praxis der Vorratsdatenspeicherung werden beschrieben. Das Briefing enthält auch die Definition des Begriffs „Kommunikationsdaten“ für Zwecke der Kommunikationsüberwachung.



Nutzung fortgeschrittener Techniken in der Kommunikation


Veränderungen in der Nutzung der Kommunikationsmedien, der Globalisierung der Datennetze und ihrer Nutzung sowie neue Formen der Datenkommunikation und die sich daraus ergebenden Forderungen nach Erweiterung der Kommunikationsüberwachung durch die Behörden werden dargestellt. Nicht zuletzt zwingt das sich immer mehr verbreitende „Cloud Computing“ zu neuen Ansätzen in der Kommunikationsüberwachung.

Die absehbare Entwicklung neuer E-Mail-Systeme wie Googles G-Mail und Microsofts Hotmail und deren Verarbeitung auf Servern außerhalb britischer Jurisdiktion oder die Anwendung bereits „quellenverschlüsselter“ Kommunikationsformen wie beispielsweise SKYPE oder die Nutzung anderer Möglichkeiten im Internet bei Nutzung des „Darknet“ erlauben gegenwärtig noch keinen Zugriff auf die Kommunikationsinhalte durch die britischen Behörden.

Soziale Netzwerke und die dort verarbeiteten Inhalte werden bereits umfassend beobachtet. Die Verschleierung der Internet Provider Address (IP) durch Kriminelle mit Hilfe von „Fast Flux“ Techniken und der Anstieg der durch Bot-Netze gekaperter Rechner veranlasste die Behörden, auch hier nach entsprechenden Möglichkeiten des Abfangens dieser Kommunikation zu suchen. In diesem Zusammenhang wird auch der künftige umfassende Einsatz von „Deep Packet Inspections-DPI“ zur Kommunikationsüberwachung angeregt. Allerdings müssten hierfür erst die Rechtsgrundlagen geschaffen werden, da der Regulation of Investigatory Powers Act (RIPA) derartige Eingriffe bisher nicht vorsieht.

Behörden mit Zugriff auf Kommunikationsdaten in Großbritannien

Gegenwärtig haben eine Vielzahl (474 lokale Behörden sowie 110 sonstige Behörden in Großbritannien, die Polizei, die Serious Organised Crime Agency-SOCA, der Sicherheitsdienst MI-5, der Nachrichtendienst MI-6 (Secret Intelligence Service – SIS) und nicht zuletzt das Government Communications Headquarters (GCHQ) Zugriff auf Kommunikationsdaten aller Art.

Der Interception of Communications Commissioner

Eine wichtige Rolle bei der Kommunikationsüberwachung in Großbritannien spielt auch der „Interception of Communications Commissioner“, dem die Aufsicht über die Kommunikationsüberwachung obliegt. Seine Berichte enthalten belastbare Zahlen über den Umfang der Kommunikationsüberwachung in Großbritannien in den vergangenen Jahren.

2008 wurden 1.508 und 2010 insgesamt 1.682 Kommunikationsüberwachungs-Operationen durch das britische Innenministerium genehmigt. In den vorgelegten Zahlen sind Überwachungsoperationen, die durch das Foreign & Commonwealth-Office, dem der Secret Intelligence Service (SIS bzw. MI 6) und das Government Communications Headquarters (GCHQ) unterstehen, nicht enthalten, da diese aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht veröffentlicht werden.

Allerdings dürften die Zahl der Überwachungsoperationen der britischen Dienste (SIS und GCHQ) weitaus höher liegen. Welche Möglichkeiten der Kommunikationsüberwachung bereits jetzt auch in Deutschland verfügbar sind, zeigt die „Technische Richtlinie zur Umsetzung gesetzlicher Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation“ (TR TKÜ) der Bundesnetzagentur.







Praxishinweise


  • Sollte das neue Gesetz in Großbritannien in Kraft treten ist damit zu rechnen, dass das EU-Parlament entsprechende Rechtsmittel einlegen wird, da das geplante Gesetz „ potentiell unvereinbar“ mit aktuellem oder noch geplantem EU-Recht sei.

  • Unabhängig hiervon muss sich jeder Nutzer moderner Kommunikationsverfahren bewusst sein, dass seine Kommunikation überwacht und die Inhalte mitgelesen werden können. Dies gilt insbesondere für die sensitive betriebliche Kommunikation.





Quellen: Briefing on the Interception Modernisation Programme, Policy Engagement Network, Information Systems and Innovation Group, LSE, Houghton Street, London, WC2A 2AE, 2010;

Annual Report of the Interception of Communications Commissioner, House of Commons, London 2011;

Securing Britain in an Age of Uncertainty: The Strategic Defence and Security Review, London, 2011;

The Justice and Security Green Paper, House of Lords, House of Commons, London, 27.März 2012.