Muslimischer Antisemitismus
Öffentlicher Antisemitismus, wie er beispielsweise in Berlin gerade von jungen Muslimen ausgeübt wird, verunsichert die deutsche Öffentlichkeit und auch die Sicherheitsbehörden. Zu sehr galt Antisemitismus als Attribut für Rechtsextremismus. Zudem demonstrieren nicht nur Palästinenser oder Personen, die Verwandtschaft dort haben. Unter anderem beteiligen sich auch Türken und Marokkaner an den Protesten und sind nicht weniger gewaltbejahend. Die Muslime identifizieren sich mit den „Widerstandskämpfern“ der Hamas und nutzen das Feindbild der Juden als Ventil zur Gewalt, stellvertretend für die westliche Mehrheitsgesellschaft, in der sie leben. Israel steht für Amerika und Europa, der jüdische Glaube für die Unterdrückung der Muslime und den Angriff auf den Islam.
Dabei spielt der Glaube des Islam, außer bei islamistischen Vertretern wie den Salafisten, eine deutlich untergeordnete Rolle. Vielmehr handelt es sich um tradierte Rollenbilder, die Generationen überdauern und gerade bei jungen Muslimen, die schon in der zweiten und dritten Generation in Europa leben, verstärkt aufgegriffen werden. Zudem eint dieses Feindbild die Muslime, die sich aktuell in Syrien, Ägypten und im Irak bekämpfen und die auch innerhalb Deutschlands und Europas gegnerische religiöse Vorstellungen haben. Der islamische oder vielmehr muslimische Antisemitismus ist ein Attribut junger, radikaler Muslime in Europa, der nun öffentliche Beachtung findet.
Spaltung der Linken
Die Frage pro Palästina oder pro Israel ist ein alter Zankapfel innerhalb der politischen Linken. In Göttingen gab es beispielsweise 2008 innerhalb der Antifa-Szene heftige Auseinandersetzungen um diese Frage, die in Prügeleien, Feindschaften und Abspaltungen ausarteten. Gerade diese Frage ist für die Linke eines ihrer größten Dilemmas. Denn die antizionistische Gewalt hatte bereits zu Zeiten der Tupamaros West und der RAF Tradition: Ulrike Meinhof rechtfertigte vom Gefängnis aus die blutige Geiselnahme während der olympischen Sommerspiele 1972 in München. Wie auch radikale Muslime, steht Israel für den amerikanischen Imperialismus. Gleichzeitig ist Judenhass immer mit dem Dritten Reich, Adolf Hitler und den Nationalsozialisten verbunden. Die Debatte, die in der Partei „Die Linke“ aktuell geführt wird, steht für diesen Zwiespalt, der die Linke weiter spalten wird.
Der Nutzen für Rechtsextremisten
Die Rechtsextremisten sind die großen Gewinner der Auseinandersetzung. Sonst nirgends gewollt und selbst Gegenstand von Protestmärschen werden Naziparolen wieder salonfähig. Zwar sind Rechtsextremisten damit nicht automatisch für Palästina, aber gegen Juden und gegen Israel zu sein, sorgt für eine neue Lagerbildung, denen sich Rechtsextremisten vereinzelt anschließen können. Sie sind in ihrer Haltung damit durch die anderen extremen Strömungen nicht mehr angreifbar. In dieser Hinsicht von einer „Unterwanderung“ zu sprechen, trifft jedoch nicht den Kern, dafür sind die antisemitischen Überzeugungen der anderen Gruppierungen viel zu intensiv und zu tief verwurzelt.
Bündnispotentiale zwischen Extremisten
Die Bilder gemeinsamer Demonstrationen von Linken, Rechten, Muslimen und Islamisten zeigt ein Gefahrenpotential auf, das in Deutschland bislang kaum sicherheitspolitische Beachtung fand. Dabei ist das Phänomen kein neues. Zu Zeiten der 68-Revolte waren Mitglieder der NPD durchaus nicht das Feindbild der APO, denn auch sie waren gegen das System und somit in weiten Teilen akzeptiert, trotz dessen, dass die Studenten immer wieder vom faschistischen Staat sprachen. Auch gibt es bereits, zwar vereinzelte, aber dennoch anschauliche Beispiele für Konvertierungen zwischen den Extremen, sowohl vom links- ins rechtsextreme Spektrum, als auch vom rechtsextremen Spektrum in die islamistische Szene.
Praxishinweise
- Gesinnungsübergreifende Bündnisse sollten, zumindest zweitweise, einkalkuliert werden, wenn es um bestimmte Positionen, wie beispielsweise die Israel-Frage oder Anti-Amerikanismus / Anti-Imperialismus, geht.
- Außerdem sollte beachtet werden, dass:
- aktuelle Eskalationen antisemitischer Gewalt symptomatisch für einen wachsenden Extremismus in Deutschland und Europa sind,
- der Antisemitismus radikale Muslime und Islamisten eint und sie stärkt,
- Rechtsextremisten ebenfalls gestärkt werden, die linke Szene hingegen durch die Israel-Frage geschwächt wird,
- das Potential radikaler und lagerübergreifender Bündnisse ein künftiges Problem der Sicherheitspolitik in Deutschland und Europa bleiben wird.