Sicherheit

Die Paradoxie der Moral: Gesetzliche Fürsorgepflicht für reisende Mitarbeiter

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Ob politisch zerrüttete Staaten wie Nigeria und Afghanistan oder von Naturkatastrophen erschütterte Gebiete und Territorien: Ungeachtet des tatsächlichen Risikos, welches eine Geschäftsreise für Mitarbeiter birgt, stellt der Gesetzgeber grundlegende Anforderungen an verantwortliche Unternehmen. Auf Basis der allgemeinen Fürsorgepflicht sind diese dazu verpflichtet, angemessene Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um Arbeitnehmer im Rahmen ihrer vertraglichen Leistungserbringung vor potenziellem Schaden zu bewahren – das gilt auch für Geschäftsreisen im In- und Ausland. Während in Deutschland das Bürgerliche Gesetzbuch die entsprechende Grundlage liefert, existieren auch in andern Ländern nahezu identische Normen. Dabei ist die darin begründete Fürsorgepflicht kein Postulat findiger Juristen. Im Gegenteil: Sie leitet sich aus einem historisch gewachsenen moralischen Prinzip ab, dessen Wurzeln grundlegenden ethischen Überlegungen entspringen.

Ethik und Moral in der Praxis

Wenn von Ethik die Rede ist, fällt es schwer, den Staubmantel antiker Weltanschauungen abzulegen, der dieser Spielart der praktischen Philosophie anhaftet. Dabei hat sie diese vermeintliche Diffamierung auf den zweiten Blick gar nicht verdient. Zwar wittern Unternehmensverantwortliche meist ideologische Predigten selbsternannter Moralapostel , wenn moralisches Handeln und gesellschaftliche Verantwortung zur Sprache kommen. Allerdings sind die Leistungen der Ethik für die unternehmerische Praxis bemerkenswert – insbesondere dann, wenn es um den Schutz der Mitarbeiter auf Geschäftsreisen geht.

Insbesondere Länder und Territorien mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko können für Unternehmen lukrative Märkte bieten. Dabei steht dessen wirtschaftliches Interesse allerdings nicht selten im Konflikt mit dem Sicherheitsbedürfnis der Mitarbeiter. Durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen versuchen Arbeitgeber daher, ihre gesetzliche Fürsorgepflicht angemessen zu erfüllen. Doch wann ist dieser ausreichend Sorge getragen? Die Anforderungen an die Reisesicherheit eines Unternehmens alleinig an straf- oder zivilrechtlichen Konsequenzen zu messen, ist mehr als fraglich. Da diese lediglich die Manifestierung einer spezifischen moralischen Anschauung darstellen, erscheint die Betrachtung von einer ethischen Warte aus für die Praxis weitaus ergiebiger.

Wenn der Zweck die Mittel heiligt

Um den Grundgedanken der Fürsorgepflicht und damit der Verpflichtung zu reisespezifischen Schutzmaßnahmen zu ergründen, kommt man um eine Spurensuche auf den Pfaden philosophischer Urväter nicht herum. Grundsätzlich herrscht über die ethische Beurteilung von menschlichem Handeln seit jeher Uneinigkeit: Von Aristoteles über Kant bis hin zu Habermas – seit Jahrtausenden gehen die Meinungen auseinander, wann eine Handlung aus moralischer Sicht geboten ist und wann nicht. Während die Anhänger der Kantschen Pflichtenethik die gute Absicht als ausschlaggebendes Kriterium betrachten, ist für Utilitaristen allein der beabsichtigten Zweck einer Handlung entscheidend.

Demnach kann es durchaus zulässig sein, den Schaden anderer in Kauf zu nehmen, wenn der dabei generierte Nutzen überwiegt. In der Praxis kann dies jedoch zu paradoxen Schlussfolgerungen führen: Ist der voraussichtliche Nutzen einer Geschäftsreise entsprechend groß, könnte demnach auch die Gesundheit oder gar der Tod eines Geschäftsreisenden akzeptabel, wenn nicht sogar moralisch geboten sein. Das diese Betrachtung nicht nur aus rechtlicher Perspektive mehr als fragwürdig ist, steht wohl außer Frage.

Definition der Risikoschwelle – ein schmaler Grat

In diesem Kontext weitaus vielversprechendere Überlegungen liefert hingegen die Risikoethik. Als Teilbereich der angewandten Ethik versucht sie, praxisorientierte Ansätze zu finden, wann andere Personen einem Risiko ausgesetzt werden dürfen und wann nicht. Damit spielt sie auch für Unternehmen eine bedeutende Rolle. So fordert sie ein grundlegendes Nichtschadensprinzip: Ohne Zustimmung des Betroffenen ist es aus ethischer Perspektive unzulässig, anderen einen Schaden zuzufügen. Das daraus abgeleitete Sorgfaltsprinzip lässt Risiken nur dann zu, wenn der Schadeneintritt aufgrund geeigneter Maßnahmen nicht mehr zu erwarten ist.

In der Praxis bedeutet dies: Hat ein Unternehmen ausreichende Schutzmaßnahmen für seine reisenden Mitarbeiter ergriffen, um mögliche Schäden abzuwenden, sind auch Geschäftsreisen in Hochrisiko-Gebiete ethisch zulässig – selbst dann, wenn es trotzdem zu einem Schadensereignis kommt. Die hierbei zu definierende Risikoschwelle ist dabei grundsätzlich individuell. Neben gesetzlichen Vorgaben kann hierbei vor allem die gängige Praxis ein hilfreiches Indiz liefern. Denn im Zweifel bewegt sich der Arbeitgeber auf einem schmalen Grat, der im Falle eines Zwischenfalls nicht mit einer Moralpredigt endet, sondern ernsthafte zivil- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.

 

Quellen:

Schildhammer (2009): Gutmensch. Ein Streifzug durch Moral und Ethik. Wien.

Bachmann, Rippe (2008): Ethische Risikobewertung. O.O.