Am 29. Januar 2015 wurde die Leiche von Lareeb K., 19 Jahre, an einem Waldrand im südhessischen Darmstadt gefunden. Noch am selben Tag verhaftete die Polizei ihre Eltern, die im dringenden Tatverdacht standen, ihre Tochter erwürgt und ihre Leiche dann „entsorgt“ zu haben. Am 1. Dezember 2015 wurden Lareebs Eltern am Landgericht Darmstadt wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Die Eltern befanden die Ermordung ihrer Tochter als notwendig, da sie mit dem Eingehen einer vorehelichen Beziehung die Ehre der Familie zerstört habe. Anlässlich solcher Gewalttaten wie Ehrenmorde stellt sich die Frage, wie verbreitet diese Sicht von Ehre in Deutschland ist, die Gewalt legitimiert und woraus sich diese Legitimation speist.
Ehre und Mord
Auf den ersten Blick erscheinen Ehre und Mord im diametralen Verhältnis zueinander. Entsprechend stößt die Bezeichnung eines Mordes als „Ehrenmord“ gleich in zweierlei Hinsicht auf Kritik. Zum einen sei eine abscheuliche Straftat wie Mord nicht mit dem Begriff der Ehre in Verbindung zu bringen. Zum anderen brandmarke die Wortschöpfung Ehrenmord Familientragödien zu einem vermeintlich eigenen Phänomen innerhalb der muslimischen Migrantengesellschaft. Bezogen auf die Motivation eines Mordes, eine erschütterte Ehre wieder herzustellen, ist die Bezeichnung allerdings folgerichtig. Ehre definiert Absicht und eine kulturelle Legitimation zur Gewalt, die sich nicht nur in Morden wiederfindet, sondern noch in anderen Gewaltphänomenen.
Legitimation zur Gewalt
Ehrenmorde sind zweifelsohne die extreme Form ehrmotivierter Gewalt. Eine weitere Form ist die Blutrache. Sie ist die gewalttätige Vergeltung einer Sippe oder eines Familienclans gegen einen anderen, um die Ehre des Clans wieder herzustellen. Meist ist der Auslöser eine gewalttätige Handlung des einen Sippenmitgliedes gegen das eines anderen. Die Vergeltung und regelmäßig einsetzende Wiedervergeltung kann zu einer endlosen Gewaltspirale führen, die sich noch über Generationen hinweg fortsetzt. In Deutschland werden derartige Blutsfeden dann bekannt, wenn sie in Massenschlägereien ausarten. Solche Vorfälle, in denen mehrere Personen und zuweilen auch Polizisten verletzt werden, fanden 2015 beispielsweise in Essen und Berlin statt, also in den Städten, in denen verfeindete Familienclans, die in der Regel jeweils mehrere hundert Mitglieder zählen, leben.
Die Anzahl bekannt gewordener Fälle durch öffentlich ausgetragene Gewalt ist verhältnismäßig gering. Denn meistens finden die Formen von Ehrgewalt im privaten und familiären Rahmen statt. So stellt auch die Zwangsehe junger Frauen oder minderjähriger Mädchen, teilweise Kindern, eine Art von Ehrgewalt dar. Die Registrierung der Fälle ist nach wie vor problematisch, weil viele Frauen sich dem Willen der Familie, nicht selten als Folge psychischer und physischer Gewalt, fügen. Der Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung ermittelte für das Jahr 2013 460 Fälle von Zwangsverheiratung, die alleine in Berlin bekannt wurden. Das Dunkelfeld schätzen sie deutlich höher ein.
Das Beratungsangebot wurde in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet, Frauenhäuser und Vereine wie Peri e.V. weisen seit Jahren auf die Verbreitung von Zwangsehen in Migrantengesellschaften in Deutschland hin.
Glaube, Erziehung und ein reduziertes Frauenbild
Es ist Fakt, dass ehrmotivierte Gewalt heutzutage in muslimisch geprägten Familien und Familienclans stattfindet. Allerdings wäre die monokausale Erklärung, dies habe seine Begründung einer islamischen Religion, viel zu kurz gegriffen und irreführend. Denn zum einen halten sich solche tradierten Familiengesetze bereits seit der vorislamischen Zeit, zum anderen werden sie teilweise auch von Anhängern der jesidischen Religion, also Nicht-Muslimen, befolgt. Jedoch manifestierte die Einführung des Islam ein Frauenbild, in dem diese Mutter und Hüterin der Familienehre ist. Die Stellung der Frau definiert sich nach Koran und den Hadithen, den Überlieferungen von Aussprüchen und Taten des Propheten Mohammed, als gehorsame Dienerin ihres Mannes und selbstlose Mutter, die vor allem die Töchter ebenfalls nach diesem Bild erzieht. Selbstverwirklichung und die Entwicklung eigener persönlichen Stärken passen in dieses Konzept nicht hinein. Da der Mann Versorger und Entscheider und damit das Familienoberhaupt ist, wacht er über die Ehre der Frauen. Dieses starre Familienbild definiert ein Ideal, in dem geringe Abweichungen des einzelnen Mitgliedes drakonische Strafen nach sich ziehen können.
Fazit: Kulturell begründete Rechtswirklichkeit contra Integration
Im Fall des Mordes an Lareeb K. hatte die Staatsanwaltschaft für ihre Eltern eine lebenslange Strafe mit besonderer Schwere der Schuld verlangt. Die Tat sei „kaltblütig geplant“ gewesen. Dementgegen argumentierten die Verteidiger der Eltern, diese seien in ihrer „Glaubenswelt
gefangen“ gewesen, daher könne nicht von Mordmerkmalen gesprochen werden. Sie plädierten auf Totschlag und Beihilfe. Die Frage der kulturellen oder auch glaubensbegründeten Vorstellungen von Recht und Unrecht sind immer wieder Gegenstand in Gerichtsprozessen, die sich mit Ehrgewalt befassen. Diese Sicht einer anderen Rechtswirklichkeit aufgrund der kulturellen Herkunft deutet auf eine Fehlintegration hin, durch die das geltende Recht Deutschlands und die damit verbundenen Rechte des Einzelnen keinen Geltungsanspruch besitzen.
Fälle wie der Mord an der 19jährigen Lareeb müssen Anlass geben, die Bedeutung von Integration zu hinterfragen und genau zu definieren. Vor allem verlangen die unterschiedlichen Formen von Ehrgewalt mehr politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Solange sie immer nur dann kurz behandelt werden, wenn wieder ein Mensch aufgrund solcher Vorstellungen getötet wird, verkommen sie zum Politikum zwischen einer Abwiegelung zum Einzelfall einerseits und dem generellen Attribut von Migranten andererseits. Stattdessen bedarf er der intensiven Auseinandersetzung mit dem Phänomen und neuer, großflächig angelegten (Dunkel-)Feldstudien, die mehr Aufschluss über die Dimension von ehrbegründeter Gewalt geben und aus denen Schutzmaßnahmen für die Opfer, aber auch Handhaben für die Täter aus den Familien abgeleitet werden können. Solche können beispielsweise in nachhaltigen pädagogischen Konzepten niedergelegt werden, die in Integrationsmaßnahmen, aber auch im Schulunterricht eingebunden werden.
Quelle:
Dienstbühl, Dorothee: Ehrgewalt in Deutschland. Ein fremdes Phänomen zwischen Generalverdacht und Verharmlosung, Frankfurt am Main (ISBN 978-3866764330). Das Buch ist im September 2015 im Verlag für Polizeiwissenschaft erschienen.
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