Nach der Analyse der persönlichen Risiken stellt sich automatisch die Frage, wie man diese Risiken minimieren kann. Im vorangegangenen Beitrag ist auf die besondere Bedeutung der persönlichen Aufmerksamkeit hingewiesen worden. Sobald man in öffentlichen Bereichen unterwegs ist, sollte man dies immer im Zustand einer „entspannten Aufmerksamkeit sein.“
Nehmen wir einmal eine etwa 40 Jahre alte Frau an, nennen wir sie Frau F., sportlich aktiv, denkt über ihr persönliches Risikoprofil nach. Ihr fallen dazu sofort zwei Szenarien ein:
Sie fühlt sich auf ihrem Weg zur Arbeit zunehmend unwohl, weil sie immer wieder am Bahnhof aggressiv angebettelt wird. Besonders unangenehm ist ihr dabei, dass die Bettler oft ganz nahe an sie herantreten bzw. ihr den Weg versperren. Sie möchte dann nicht unhöflich sein und die Situation auch nicht eskalieren lassen.
Frau F. arbeitet in einem Supermarkt und parkt dort – wenn sie das Auto nimmt – auf einem großen Freiluftparkplatz. Gerade in der dunklen Jahreszeit hat Sie zunehmend ein mulmiges Gefühl, wenn sie zu ihrem Auto geht. Zwar ist auf diesem Parkplatz bisher nichts passiert, auf einem anderen Parkplatz hat es allerdings schon Übergriffe auf Frauen gegeben.
„Am besten wäre, wenn ich irgendwas dabei hätte …“, denkt Frau F.
Aber was?
Frau F. hatte sich zunächst überlegt, ein Messer mitzunehmen. Ihr war aber dann sehr schnell klar, dass sie sich ohne Übung höchstwahrscheinlich selbst verletzen bzw. ihr das Messer wahrscheinlich abgenommen würde.
Es gibt noch eine andere Überlegung: Ein Messer ist im Nahbereich eine extrem gefährliche Waffe. Wo immer ein Messer ins Spiel kommt, geht es rasch um Leben und Tod. Wann sollte Frau F. das Messer ziehen?
Aus den Überlegungen von Frau F. wird schnell deutlich:
- Mitgeführte Verteidigungsmittel müssen beherrscht werden.
- Die Verteidigungsmittel müssen zu den Risikoszenarien passen.
Als solche kommen taktische Taschenlampen und sogenannte „Tactical Pens“ in Betracht. Beides sind Alltagsgegenstände, die in Deutschland nicht als Waffen angesehen werden. Der Zusatz „tactical“ betont die Eignung zu Kampf und Selbstverteidigung.
Mit der guten alten Taschenlampe nichts mehr gemein: Tactical Flashlights
In der dunklen Jahreszeit eine Taschenlampe dabei zu haben, war ja noch nie verkehrt. Immer noch zu haben sind die 4,5 Volt-Funzeln mit dicken Batterien im dünnen Bauch aus Blech. Unhandlich, schwer und zur Verteidigung nur sehr bedingt geeignet. Das fällt wahrscheinlich den meisten Menschen ein, wenn sie an „Taschenlampen“ denken.
Mit „normalen“ Taschenlampen kaum noch Gemeinsamkeiten: Tactical Flashlights
„Tactical Flashlights“ haben damit praktisch gar nichts mehr zu tun. Sie sind robust gebaut, meist aus Aluminium und haben eine hohe Leuchtkraft. Durch die schlanke Form kann man sie problemlos mitführen.
Die Leuchtkraft ist erstaunlich hoch. Manche Lampen, wie z.B. die der Firma Fenix, haben oft mehrere Leuchtstufen. Die in den technischen Angaben verwendete Bezeichnung für den abgegebenen Lichtstrom ist Lumen. Die Leuchtkraft schon von 500 Lumen ist beachtlich.
Wir empfehlen Frau F. zunächst und für alle Fälle eine taktische Taschenlampe mit mindestens 600 besser 1000 Lumen. Damit kann Sie z.B. den Weg zum Auto voll ausleuchten. Potenziellen Angreifern signalisiert sie gleichzeitig: Ich bin vorbereitet! Die Lampe sollte zudem über eine Stroboskop-Funktion verfügen. Ist schon die Blendwirkung von 1000 Lumen enorm – außer einem gleißend hellem Licht sieht man nichts mehr, so wird diese durch den unregelmäßig flackernden Stroboskop-Modus nochmal verstärkt.
Auf dem Weg zu ihrem Auto kann sich Frau F. daher jederzeit richtig Licht machen und ggf. verdächtige Personen schon von aus der Ferne erkennen.
Dabei ist wichtig, sich mit der Handhabung der Lampe vertraut zu machen. Grundsätzlich sind die taktischen Taschenlampen alle gleich aufgebaut. Unterschiede bestehen – neben der Leuchtkraft – in der Art der Stromversorgung. Hier gibt es im Wesentlichen Batterien und wechselbare Akkus. Letztere können bei manchen Modellen via USB im Gerät geladen werden, bei anderen bedarf es eines extra Ladeteils. Die Ladung mit dem USB ist praktisch, da an den meisten Computerarbeitsplätzen ein USB-Anschluss nebst Kabel vorhanden sein sollte. So muss man nicht ein Ladegerät mit sich rumschleppen, denn nach Murphy‘s Law ist der Akku natürlich immer dann schwach, wenn man die Lampe am nötigsten braucht.
Ein weiterer Unterschied ist die Lage des Ein/Aus- bzw. Leuchtstufenschalters. Hier gibt es Modelle, bei denen der Knopf am hinteren Ende der Lampe ist und Modelle, bei denen er auf dem Korpus am Kopf der Lampe liegt. Da man den Knopf zum Herauf- und Herunterschalten der Lampe braucht, zwingt einen der hinten liegende Knopf, die Lampe in der erhobenen Faust zu halten. Dies ist per se schon eine etwas martialisch anmutende Haltung. Sie ist bei Polizeikräften und dem Militär völlig unproblematisch, im zivilen Normalgebrauch könnte dies provozieren.
„Very tactical …“ – Schaltelemeent hinten
Weniger martialisch: Schaltelement vorne
Gegen den vorne liegenden Knopf wird oft vorgebracht, man müsse umgreifen, um die Lampe zum Schlagen zu verwenden. Dem ist nicht so, denn – um Frau F. wieder ins Spiel zu bringen – sollte man z.B. an der Autotür überrascht werden, so kann man sofort in den Hammergriff wechseln. Der Daumen ruht dann dabei einfach auf dem Lampenglas. Das ist bei guten Tactical Lights bruchfest.
Einfaches Umgreifen in die sogenannte „Hammerfaust“ ohne Daumenunterstützung bzw. mit Daumenunterstützung
Lernen durch Schmerz: Einsatz der Taschenlampe als „Druckpunktverstärker“
Wir sagten es schon, sollte Frau F. beim Einsteigen in ihren Wagen überrascht werden und das Stroboskop nicht sofort wirken, greift sie kurz um und kann mit dem hinteren Ende der Lampe auf den Angreifer einhauen. Die Taschenlampe wird zum „Kubotan“, zum Druckverstärker. Sie ist härter als Fäuste und wuchtiger als Schlüssel oder ähnliche Gegenstände. Trifft Sie auf Gesicht, Schädel oder Gelenke, sorgt sie für starke Schmerzen und unter Umständen schwere Verletzungen. Ein Schlag auf die Schläfe kann tödliche Verletzungen für den Angreifer hervorrufen.
Ein derartiger Einsatz muss also durch eine sogenannte Notwehrsituation gerechtfertigt sein. Was heißt das?
Nach § 32 Strafgesetzbuch handelt derjenige, der einen anderen verletzt nicht rechtswidrig, wenn er in Notwehr handelt.
Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Ein gegenwärtiger Angriff liegt vor, wenn jemand meine rechtlich geschützten Interessen bedroht. Ob das so ist, wird später aus, wie es die Juristen nennen, „objektiver Sicht“ festgestellt. Es kommt also nicht darauf an, ob sich Frau F. irgendwie nur bedroht fühlt („… wie guckt der mich denn an?“), sondern es braucht auch noch objektivierbare Anhaltspunkte. Wird Frau F. zum Beispiel am Bahnhof am Weitergehen gehindert, so ist ihre rechtlich geschützte Handlungsfreiheit nicht nur bedroht, sondern schon beeinträchtigt. Ein Angriff liegt vor. Sie muss nun das mildeste Mittel zur Abwehr auswählen, das den Angriff mit Sicherheit beendet. Letzteres ist wichtig. Erfolgt ein Angriff überraschend und hat Frau F. keine Zeit nachzudenken, weil sie sich erschreckt hat, gibt es vielleicht kein milderes Mittel als mit der Lampe zuzuschlagen. Die Rechtsordnung verlangt im Übrigen auch nicht, dass sie einfach umdreht und wegläuft. Das kann zwar unter Umständen sehr klug sein, gefordert wird das vom Recht nicht. In unserem Fall darf sie dem Übeltäter gleichwohl nicht sofort die Taschenlampe auf die Stirn hauen, sondern es reicht, wenn sie den Täter z.B. zur Seite schiebt. Reagiert dieser nun heftiger, schimpft er etwa und packt er Frau F. „am Kragen“, entsteht eine viel gefährlichere Situation. Als unter Umständen körperlich Schwächere kann sie den Griff wahrscheinlich tatsächlich nur durch Einsatz der Lampe als Schlagwerkzeug abwehren. Frau F. muss zur Ausübung der Notwehr nämlich nicht warten, bis der Täter tatsächlich zugreift oder zuschlägt. Der unmittelbar bevorstehende Angriff darf auch schon mit Notwehr abgewehrt werden.
Wir sehen, eine entsprechende Taschenlampe ist – gerade in der dunkleren Jahreshälfte – ein hervorragendes und vielseitiges Tool auch in Notwehrsituationen.
Dual Use: der Tactical Pen
In diesen Zusammenhang passt ein weiteres interessantes Tool: der sogenannte „Tactical Pen“, nur unzureichend übersetzbar mit „Selbstverteidigungsstift“. Worum geht es?
Der Tactical Pen ist in der Regel ein ganz normaler Kugelschreiber. Er ist nur etwas stabiler gebaut, nämlich aus Metall, meistens aus dem von der Tactical Flashlight schon bekannten Flugzeugaluminium. Wir haben auch hier wieder ein EDC („everyday carry“), das nicht ein reines Verteidigungsmittel ist, sondern ein ganz normaler Gebrauchsgegenstand, den man wirklich immer und überall unkompliziert mitnehmen kann. Wie schon unsere taktische Lampe gelten solche Schreibgeräte nicht als Waffen. Sie können daher – wie Taschenlampen auch – mit ins Flugzeug genommen werden. Sie haben normale Schreibminen, die wie bei jedem Kuli leicht austauschbar sind.
Allen gemeinsam ist allerdings auch, dass sie – wie die Taschenlampe – als sogenannte „Druckverstärker“ eingesetzt werden können, oder auf gut Deutsch: Man kann damit gemein pieken. Der Tactical Pen verfügt meist über ein spitz zulaufendes Ende, das vor allem – im Unterschied zur Taschenlampe – gegen Muskelpartien des Angreifers eingesetzt werden kann.
Wehrhafter Verwandter: ein Tactical Pen von „Schrade“ ist unauffällig …
Dabei sind die Powerkulis meist nicht so spitz, dass sie in den Übeltäter eindringen. In einer Selbstverteidigungssituation sollen sie in erster Linie Schmerz zufügen und dem Angegriffenen dadurch die Möglichkeit zur Flucht geben.
Frau F. könnte im Bahnhof etwa einen unauffälligen Powerkuli durchaus in der Hand halten, ohne besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Der Vorteil: Sollte sie von irgendwem gepackt oder belästigt werden, genügt ein Schlag mit dem Stift – etwa auf den großen Oberschenkelmuskel – und der Angreifer ist aus dem Konzept. Es ist wichtig, sofort die Flucht zu ergreifen bzw. Hilfe zu suchen und nicht etwa nachzuschauen, was mit dem Angreifer ist („Hit-and-Run-Taktik“). Sobald man sich in Sicherheit gebracht hat, sollte die Polizei verständigt werden.
Der Tactical von „Böker“ ist nicht nur hübsch anzusehen, er hinterlässt auch auf dem Oberschenkel eines Angreifers einen sehr schmerzhaften „Eindruck“ …
Der Kuli hat einen weiteren Vorteil: Er ist auch bei größtem Stress – und ein Angriff ist größter Stress – einfach einzusetzen. Das Einzige, was Frau F. vorher üben muss, ist die richtige Haltung und den raschen Einsatz des Stiftes.
Der Stift sollte in der Faust gehalten werden. Die Säbelhaltung ist nicht zu empfehlen, weil zu schwach. Der Stift kann leicht nach hinten aus der Hand rutschen.
Besser ist die Hammerfaust-Haltung (wie schon bei den Tactical Flashlights) …
Ungeübte sollten einen Stift wählen, bei dem der Daumen oben aufliegt. Diese Haltung ist robust. Mit einem Stück Pappe kann man die Stiche üben.
Der Tactical Pen ist einfach zu bedienen. Trotzdem: das „Ziehen“ und der kompromisslose Einsatz in einer Notsituation sollte unbedingt mehrfach geübt werden. Mit Karton und Trainingspartner wird man rasch sicher.
Wer den Stift in einer Notwehrsituation einsetzt, sollte das bereits oben zur Notwehr Beschriebene beachten.
Frau F. ist zu raten, einen solchen Stift zu kaufen. Dabei hat sie eine große Auswahl an Farben und Formen. Wichtig ist, dass ihr der Stift gefällt, damit sie ihn auch wirklich immer mitnimmt. Weiterhin ist natürlich wichtig, dass er gut in ihrer Hand liegt.
Für jeden Geschmack etwas dabei:
Smith und Wesson M&P Tactical: der große Schwere mit der starken Spitze …
Ein klassischer Tactical Pen – mit fast 15,5 cm einer der Größeren …
(ca. 40,00 EUR)
Elegant und unauffällig …
Der Schrade Tactical (SCPENBK) ist sehr dezent und wenig martialisch. In der Durchschlagskraft steht er den anderen Pens in nichts nach.
(ca. 35,00 EUR; 14,5 cm)
Gut für die Handtasche: Edeldesign mit Kugelspitze …
Der Böker 09BO069 hat eine abgerundete Spitze. In Handtaschen verhält er sich dadurch friedlich und bohrt die anderen Sachen nicht an. Typisch für die Qualitätsmesserschmiede Böker: der Edle kommt in einer ebenso edlen Schatulle. (ca. 28,00 EUR; 15 cm)
Nur mit Abstrichen empfehlenswert: Doppelspitzen …
Prinzipiell auch geeignet sind sehr preiswerte Angebote (< 5 EUR). Nicht so günstig ist jedoch die
Spitze am Ende. Der sichere Hammerfaustgriff mit Daumenunterstützung ist hier nicht einsetzbar
(ca. 4,00 EUR; 15 cm).
PRAXISHINWEIS:
Dieser Beitrag ergänzt die Reihe „Übergriffe im Alltag“
Teil 1: „Awareness“ und „EDC“ finden Sie hier
Teil 3: EDC – jetzt wird „gepfeffert“