Der Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) für das Jahr 2016 zeichnet das Bild einer zunehmenden Bedrohungslage in nahezu allen Bereichen der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) in der Bundesrepublik Deutschland. Vor allem die Zunahme der Gewaltbereitschaft ist in allen extremistischen Spektren nachvollziehbar und entsprechend besorgniserregend.
Rechtextremismus
Die Entwicklung rechtsextremer Tendenzen in Deutschland zeigt weiterhin einen Anstieg. Die Verfassungsschutzbehörden schätzen von den insgesamt ca. 23.000 Anhängern mit 12.100 folglich über 50 % als gewaltorientiert ein. Auch Gewalttaten, die als rechtsextremistisch eingeordnet werden, stiegen auf 1.600 an (2015: 1.408). Die Gewalt richtete sich insbesondere gegen Fremde, Asylsuchende oder Personen, die dafür gehalten werden. Eine weitere Entwicklung ist besorgniserregend: Es zeigten sich Personen an Straftaten gegen (geplante) Asylunterkünfte beteiligt, die zuvor keinerlei Bezug zur rechtsextremen Szene aufwiesen. Zudem und vor allem wurde explizite Hetze gegen politische Akteure verstärkt registriert.
Phänomen Reichsbürger
Erstmals wurden „Reichsbürger“ und sog. „Selbstverwalter“ als eigenständiger Phänomenbereich in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen. In den Fokus geriet die Bewegung, als bei einem Polizeieinsatz gegen einen Reichsbürger dieser einen Polizisten erschoss. Die Gefährlichkeit der Reichsbürger hängt vor allem mit Ängsten und Frustration zusammen. Da sich Anhänger immer häufiger vom staatlichen System betrogen fühlen und ihre persönliche Situation oft als ausweglos empfinden, wachse ihr Hass auf Vertreter des Staates. Insgesamt zählen deutschlandweit etwa 12.800 Personen zum Phänomen „Reichsbürger und Selbstverwalter“. Dabei ist diese Szene organisatorisch wie ideologisch völlig heterogen. Ihnen gemein ist die Ablehnung des politischen Systems und dass sie geltende Staatsgrenzen nicht anerkennen. Sorge bereiten vor allem solche Personen, die Waffen besitzen. 100 Reichsbürgern wurden 2016 die Waffenscheine entzogen. Von den Anhängern gelten ca. 800 Personen als rechtsextrem.
Linksextremismus
Im Jahr 2016 wurde ein Anstieg des linksextremistischen Personenpotenzials um + 7 % auf 28.500 Personen verzeichnet. Dieser Wert ist der höchste Stand seit 2012. Besonders die Anzahl der Anhänger des gewaltorientierten Linksextremismus stieg um etwa zehn Prozent auf 8.500. Autonome bilden mit 6.800 (2015: 6.300) Personen die mit Abstand größte Gruppe innerhalb des gewaltorientierten Linksextremismus. Allerdings waren die registrierten linksextremistischen Straf- und Gewalttaten im Vergleich zum Jahr 2015 leicht rückläufig, was über die Intensität der Gewalt nicht gesagt werden kann. Ziel linksextremer Gewalt sind vor allem Polizisten, die als „Systemschweine“ diffamiert werden und denen die Lebensberechtigung abgesprochen wird.
2016 als bisheriger Höhepunkt des Islamistischen Terrorismus
Deutschland wurde 2016 vom islamistischen Terrorismus geprägt, wie in keinem Jahr zuvor. Bereits im Februar wurde ein Bundespolizist am Hauptbahnhof Hannover von einer 15-jährigen Salafistin niedergestochen und schwer verletzt. Diese Tat verübte das Mädchen im Namen des Islamischen Staates (IS). Im April 2016 verüben Islamisten einen Sprengstoffanschlag auf den Tempel der Sikh in Essen, bei dem drei Menschen verletzt werden. Im Juli 2016 attackierte ein angeblich 17-Jähriger, der sich als Geflüchteter aus Afghanistan ausgab, mit Axt und Messer in einer Regionalbahn bei Würzburg Fahrgäste. Fünf Menschen wurden dabei schwer verletzt, ein Familienvater lebensgefährlich. Der Terrorist, der sich zuvor in einer Videobotschaft zum IS bekannte, wurde von der Polizei erschossen. Nur wenige Tage später sprengt sich im bayerischen Ansbach ein 27-Jähriger auf einem Platz vor einem Musikfestival in die Luft, 15 Menschen wurden verletzt. Der syrische Flüchtling stand nach einer mehrfach verlängerten Duldung kurz vor der Abschiebung nach Bulgarien. Der Islamische Staat (IS) beansprucht den Anschlag ebenfalls für sich. Am 19. Dezember 2016 fuhr der bereits als Gefährder eingestufte und mehrfach kriminell auffällig gewordene Anis Amri mit einem LKW in die Menschenmenge des Weihnachtsmarktes an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche am Berliner Breitscheidplatz. Er tötete 12 Menschen und verletzte 55, zum Teil schwer. Neben diesen verübten Anschlägen dürfen vereitelte Anschläge durch rechtzeitige Festnahmen der Polizei nicht vergessen werden. Insgesamt sieben Anschläge konnten verhindert werden oder sie missglückten in der Durchführung.
Laut Verfassungsschutzbericht gibt es in Deutschland insgesamt etwa 24.400 Islamisten. Davon sind etwa 10.000 Mitglieder der türkischen Milli-Görüs-Bewegung zuzurechnen. Die Zahl der Salafisten steigt dem Bericht zufolge von 8.350 im Jahr 2015 auf aktuell 10.100. Auch die Zahl der sogenannten Gefährder steigt auf 680 Personen an. Die Gewalttäter sind nach Angaben des BfV fast durchgängig salafistisch geprägt.
Antisemitismus als wachsendes Problem in Deutschland
Israelfeindlichkeit und explizite Hetze gegen Juden müssen seit einigen Jahren in Deutschland wieder verstärkt wahrgenommen werden. Ab Seite 184 wird im Verfassungsschutzbericht explizit auf den islamischen Antisemitismus verwiesen: „Antisemitismus ist nicht nur ein Agitationsthema von Rechts- und Linksextremisten, sondern stellt auch ein wesentliches Element in der Ideologie des gesamten islamistischen Spektrums dar. Vor allem in der islamistischen Propaganda spielt der Antisemitismus eine Rolle. Hier werden Stereotype und Vorurteile verwendet, die mit der judenfeindlichen Hetze in Europa vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert in Verbindung gebracht werden können.“
Gerade in sozialen Netzwerken wie Facebook wird diese Hetze ersichtlich, jedoch wird sie nur selten – auch nach Beschwerden – gelöscht oder geahndet. Doch auch physische Gewalt gegen Juden nimmt zu. Alleine in Berlin wurden im Jahr 2016 173 antisemitische Straftaten registriert, davon mindestens sechs Gewaltdelikte gegen Juden. Das Dunkelfeld ist indes deutlich höher einzuschätzen. Judenfeindliche Propaganda sowie Aufrufe zur Gewalt werden beispielsweise beim jährlich in Berlin stattfindenden Quds-Marsch offen und lautstark propagiert. Dabei findet sich ein im Hass gegen Juden vereintes Bündnis aus Anhängern der islamistischen Hisbollah, anderen muslimischen Antisemiten, Rechtsextremisten bis hin zu antizionistischen Linken zusammen.
Spionage
Deutschland geriet im Jahr 2016 verstärkt in das Fadenkreuz von Cyberspionage. Etwaige Bestrebungen seien vor allem aus Russland, China und dem Iran nachvollziehbar. Doch auch der türkische Nachrichtendienste MIT zeige in Deutschland eine erhöhte illegale nachrichtendienstliche Aktivität. Politik und Bundesverwaltung strategisch auszuspionieren. Hauptsächlich betroffen seien das Auswärtige Amt und seine Auslandsvertretungen, das Finanz- und das Wirtschaftsministerium. Auch das Kanzleramt und Dienststellen der Bundeswehr stünden im Fokus.
Fazit und Ausblick
Der Verfassungsschutzbericht des Jahres 2016 dokumentiert eine Lage, nach welcher sich Deutschland im Fadenkreuz extremistischer Bestrebungen und illegaler nachrichtendienstlicher Spionage befindet. Der Präsident des BfV sieht den islamistischen Terrorismus als größte Gefahr für die Sicherheit der Menschen in Deutschland, das Anschlagsrisiko sei ungebrochen hoch. Zudem fördern sich die unterschiedlichen Strukturen gegenseitig. Auch antisemitische Ideologien, die sowohl im rechts- als auch im linksextremen Spektrum salonfähig sind, erfahren einen Zuspruch, der beängstigend ist.