Hinweis: Dieser Beitrag ist eine Fortsetzung zum Artikel „Voraussetzungen der Strafbarkeit – Was prüft ein Strafrichter?“ mit dem Ziel, dem Sicherheitspersonal die Grundprinzipien des Strafrechts näherzubringen.
Niemand muss sich strafbare Handlungen gegen sich gefallen lassen
Das Prinzip Notwehr ist so alt wie das Strafrecht selbst. Und es besagt nichts anderes, als dass man sich wehren darf, wenn man widerrechtlich angegriffen wird. Deshalb ist gerade dieses Thema natürlich für Sicherheitskräfte von hoher Relevanz. Denn ob Einsatz als Türsteher
oder Bewachung eines Juweliergeschäfts: das Risiko, angegriffen zu werden, ist hoch und der oder die Betroffene sollte wissen, wie er oder sie sich zur Wehr setzen darf.
In Deutschland findet sich die Notwehr in § 32 StGB geregelt. Dieser erklärt, dass, wer in Notwehr handelt, nicht rechtswidrig handelt, also eine grundsätzlich strafbare Handlung, wie etwa Zuschlagen, nicht bestraft wird. Und er erklärt, was Notwehr ist, nämlich die erforderliche Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs. Hier finden sich also beinahe alle zu prüfenden Voraussetzungen fein sauber aufgezählt, wie so oft in Jura zählt nämlich jedes Wort.
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Gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff
Ein Angriff ist die von einem Menschen drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen. Also etwa auf Gesundheit, aber auch auf die Ehre (auch eine Beleidigung ist ein Angriff) oder das Eigentum. Dieser Angriff muss verboten sein und er muss gegenwärtig sein, also gerade stattfinden und noch andauern. Wenn also etwa die Beleidigung schon ausgesprochen ist und keine weitere zu befürchten ist, liegt keine Notwehrlage mehr vor.
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Von sich oder einem anderen
Man muss also nicht zwingend selbst angegriffen werden, man darf auch anderen zu Hilfe eilen (sog. Nothilfe).
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Geeignete und erforderliche Abwehr
Natürlich muss die Abwehrhandlung geeignet sein, um den Angriff abzuwehren. Entscheidender ist das Merkmal der Erforderlichkeit. Das bedeutet, dass man von mehreren geeigneten Mitteln das mildeste wählen muss. Das ist schon schwieriger. Klar, man darf also nicht jeden Angreifer gleich umbringen. Aber was muss man hinnehmen und welches Risiko muss man eingehen?
Wichtig ist: man muss sich nicht alles gefallen lassen, muss also nicht unbedingt weglaufen, wenn sich eine Fluchtgelegenheit bietet. Auch wichtig ist: bei der Notwehr muss das Mittel nicht im Verhältnis zur abgewendeten Gefahr stehen. Man darf also durchaus jemanden niederschlagen, der einem die Geldbörse stehlen will, unabhängig davon, wieviel Geld sich in dieser befindet. Entscheidend ist nur, dass es kein milderes Mittel geben durfte.Wo ein Schlag reicht, darf also kein Schuss fallen.
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Gebotene Abwehr
Natürlich gibt es gewisse Grenzen, quasi Extremfälle, in denen auch das mildeste Mittel nicht erlaubt ist. Jeder Jurastudent lernt im ersten Semester den (zum Glück fiktiven) Fall, in dem ein alter Mann im Rollstuhl Kinder vom seinem Baum schießt, die dort Kirschen stehlen wollen und er keine andere Möglichkeit hat, dies zu verhindern. Aber außerhalb von solchen extremen Situationen ist, das sei nochmal betont, keine Güterabwägung notwendig
Was, wenn man sich täuscht oder über die Stränge schlägt?
Es klingt nun nach einem ziemlichen Risiko für denjenigen, der sich wehren möchte. Handelt er innerhalb der Vorgaben, ist er straffrei. Aber wenn er nun eine Situation falsch einschätzt oder es mit der Abwehr übertreibt?
Hier kann man zu Teilen beruhigen. Denn der Gesetzgeber möchte, dass man für seine Rechte auch einstehen kann und dazu gehört auch, nicht aus Furcht vor Strafe doch lieber die Abwehr zu unterlassen. Man unterscheidet in diesem Kontext zwei Konstellationen, die jeweils dazu führen, dass die fehlerhafte Abwehrhandlung zwar rechtswidrig ist, aber mangels Schuld nicht bestraft wird:
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Der Erlaubnistatbestandsirrtum
Dieses lange Wort (Juristen gewöhnen sich an solche „Monster“ schnell) steht für Situationen, in denen Menschen denken, angegriffen zu werden und sich wehren, obwohl in Wahrheit kein Angriff vorliegt. Ein gutes Beispiel hierfür sind Scherzattacken, wenn etwa jemand mit einer Spielzeugwaffe einen anderen erschrecken möchte. Wenn dann das Opfer des schlechten Scherzes zuschlägt, begeht er mangels Angriff und folglich mangels Notwehrlage selbst eine strafbare Handlung. Aber: wenn er sich angegriffen fühlen durfte, wenn also in seiner Lage „Otto Normalbürger“ sich ebenfalls angegriffen gewähnt hätte, wird die Tat nicht bestraft.
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Der Notwehrexzess
Eine Notwehrlage ist keine Situation, in der man sich als Opfer ruhig und besonnen über alle Möglichkeiten Gedanken macht, eine rationale Entscheidung trifft und entschlossen vorgeht. Es ist eine Situation, in der man angegriffen wird, da spielen Angst und Adrenalin eine Rolle. Folglich kann es durchaus dazu kommen, dass jemand fester zuschlägt, als es notwendig wäre, oder jemand denkt, der Angriff hält noch an, obwohl er schon vorbei ist, etc. Hier regelt § 33 StGB: wer die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet, wird nicht bestraft.
In der Theorie einfach, in der Praxis kompliziert
Natürlich sind das nur Grundzüge der Thematik. Es gibt gerade im Strafrecht eine schier unendliche Vielzahl an denkbaren und auch an tatsächlich auftretenden Konstellationen. Was, wenn jemand einen nicht vorhandenen Angriff annimmt und dabei noch überreagiert? Was, wenn jemand einen Angriff provoziert, um unter dem „Deckmantel“ der Notwehr sein Gegenüber verprügeln zu können? Zu diesen und vielen anderen brisanten Fragen gibt es eine Vielzahl an Gerichtsentscheidungen, Diskussionen in der Fachliteratur und ständig kommen neue Fälle vor Gericht, in denen es wieder anders ist.
Dennoch mag dieser Artikel zu einer ersten Einordnung dienen und dabei helfen, das Prinzip Notwehr besser zu verstehen.