Verdeckte Videoüberwachung ist grundsätzlich ein Eingriff in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild. Dieser Eingriff ist jedoch zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht und weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind. Die verdeckte Videoüberwachung muss das einzige noch verbleibende Mittel darstellen und sie darf insgesamt nicht unverhältnismäßig sein (BAGE 105, 356). Der Verdacht selbst muss sich gegen einen zumindest räumlich oder funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten, nicht notwendig aber nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft werden (BAGE 105, 356).
Der Fall
Diese Grundsätze berücksichtigend hatte ein Lebensmitteleinzelhändler mit Zustimmung des Betriebsrats eine verdeckte Videoüberwachung des Kassenbereiches für einen Zeitraum von 14 Tagen vorgenommen, nachdem er in den Warengruppen Tabak/ Zigaretten/Nonfood einen das übliche Maß übersteigenden Inventurverlust festgestellt hatte. Der Arbeitgeber hatte nach Entdeckung des Verlustes intern Recherchen durchgeführt, die aus seiner Sicht nur den Schluss zuließen, dass der Verlust vom Personal zu verantworten war. Er führte dann weitere Kontroll- und Revisionsmaßnahmen sowie Taschenkontrollen bei den Mitarbeitern durch, ohne dass hierdurch Aufklärung erreicht wurde. Beim Betriebsrat beantragte der Arbeitgeber als letztes Mittel eine verdeckte Videoüberwachung im Kassenbereich »zum Zwecke der Aufklärung von Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers« und begründete dies mit Diebstählen im Bereich Zigaretten/Nonfood, wobei sich die Videoüberwachung gegen die Mitarbeiterinnen A und M richten sollte. Der Betriebsrat stimmte zu, die Videoüberwachung wurde in der Zeit vom 15. 12. bis 29. 12. 2013 durchgeführt.
Was passierte dann?
In einer Videosequenz vom 18. 12. 2013 sah der Arbeitgeber, dass die Mitarbeiterin D (die spätere Klägerin) eine im Kassenbereich befindliche »Musterpfandflasche« über den Scanner zog, eine Leergutregistrierung durchführte, die Kassenlade öffnete und Geld aus der Kasse entnahm, das sie später in ihre Tasche steckte. Der von D erstellte Kassenbon wies eine Pfandbarauszahlung i. H. v. 3,25 Euro für 13 Pfandflaschen bzw. -dosen aus. Das Video wurde der D am 20. 01. 2014 vorgespielt. Ihre Reaktion hierauf sowie der Inhalt des Gesprächs zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin waren im späteren Prozess streitig. Am 22. 01. 2014 hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachts- bzw. Tatkündigung an. Der Betriebsrat stimmte am 23. 01. 2014 zu. Am gleichen Tag kündigte der Arbeitgeber fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstzulässigen Termin. D klagte, bekam vor dem Arbeitsgericht Recht, verlor aber vor dem Landesarbeitsgericht und dem Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 22. 09. 2016, 2 ZAR 848/15).
Die Entscheidung des BAG
Die Richter des BAG sahen in der Manipulation des Kassenvorgangs zum Zweck, sich auf Kosten des Arbeitgebers zu bereichern, einen Vorgang, der »an sich« ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB sei. Ein Arbeitnehmer, der sich vorsätzlich auf Kosten des Arbeitgebers einen ihm nicht zustehenden Vermögensvorteil verschafft, verletzt seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 242 BGB) erheblich. Unabhängig von der Höhe des durch die Pflichtverletzung entstehenden Schadens kommen zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen, die sich unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers richten, typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht, weil mit der Pflichtverletzung ein Vertrauensbruch verbunden ist. Auch eine langjährige unbeanstandete Beschäftigung kann den eingetretenen Vertrauensverlust nicht aufwiegen. Das BAG sah in der Verwendung der D belastenden Videos im Rahmen der Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler. Diese hatte die Auffassung vertreten, dass in der verdeckten Videoüberwachung ein ungerechtfertigter Eingriff des Arbeitgebers in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie in ihr Recht am eigenen Bild lag und die erlangten Erkenntnisse und die sie belastende Videosequenz daher im Prozess nicht als Beweis verwertet werden dürften. Dieser Auffassung erteilten die Richter des BAG im Ergebnis eine Absage.
Grundsätzlich hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu vereinbaren ist. »Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Partei sein, überwiegt das Interesse an einer Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht. Es muss sich darüber hinaus gerade auch die Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen. Ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst dabei nicht nur das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, sondern auch dessen mittelbare Verwertung etwa durch Vernehmung von Zeugen über den Inhalt des Bildmaterials« (BAG a. a. O.).
Nach Auffassung der Richter des BAG hatte das LAG diese Grundsätze berücksichtigt. Die verdeckte Videoüberwachung des Kassenbereiches griff zwar in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin ein. Der Eingriff war aber aufgrund überwiegender Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt, zumal dieser zuvor andere Aufklärungsmaßnahmen erfolglos durchgeführt hatte. Dass der Arbeitgeber das Video-Material auswertete und die durch die Auswertung gewonnenen Erkenntnisse zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses verwendete, verletzte das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin ebenfalls nicht.
Kreis der Verdächtigen
Dass der Arbeitgeber wegen der Inventurdifferenzen zwei andere Arbeitnehmerinnen konkret in Verdacht hatte und diese durch die verdeckte Videoüberwachung überführen wollte, während die D nicht zum Kreis der Verdächtigen gehörte, führte auch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot für die Videosequenz, auf dem die Klägerin bei der Kassenmanipulation zu sehen war. Denn eine verdeckte Videoüberwachung zur Aufdeckung von Straftagen von Beschäftigen darf nicht nur dann erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass von ihr ausschließlich Arbeitnehmer betroffen sind, hinsichtlich derer es bereits einen konkretisierten Verdacht gibt. Der Kreis der Verdächtigen muss zwar eingegrenzt sein, die Überwachungsmaßnahme muss aber nicht in der Weise begrenzt werden, dass nur die Personen überwacht werden, gegen die sich der Verdacht richtet. Es dürfen auch Personen überwacht werden, gegen die kein konkreter Verdacht besteht. Erlangt der Arbeitgeber im Rahmen der verdeckten Videoüberwachung Erkenntnisse über ein Fehlverhalten einer nicht unter Verdacht stehenden Person, darf er diese verwerten, auch wenn insoweit alle anderen zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen vom Arbeitgeber nicht ausgeschöpft waren.
Fazit:
Zufallsfunde in/aus einer zulässigen verdeckten Videoüberwachung, die ein erhebliches Fehlverhalten eines Arbeitnehmers zum Nachteil des Arbeitgebers offenbaren, dürfen gegen den Arbeitnehmer verwendet werden, auch zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Zulässig ist eine verdeckte Videoüberwachung, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
- Grund: Verdacht auf Straftaten oder sonstiges Fehlverhalten zum Nachteil des Arbeitgebers
- Zweck: Aufdeckung von Straftaten zum Nachteil des Arbeitgebers oder anderer erheblicher Pflichtverletzungen zum Nachteil des Arbeitgebers
- Ultima ratio: Der Arbeitgeber hat zuvor erfolglos andere ihm zumutbare Aufklärungsarbeiten (z. B. interne Recherchen, Taschenkontrollen) durchgeführt.
- Kreis der Verdächtigen muss räumlich oder funktional eingegrenzt sein.
- Zustimmung des Betriebsrats, sofern ein solcher besteht.
Quelle: RdW focus, 10/2019