Die unternehmerische Organisationsfreiheit des Arbeitgebers hat Vorrang vor dem Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) aktuell in einem Rechtsstreit um die betriebsbedingte Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nach einer Betriebsänderung.
Interessenausgleich im Insolvenzverfahren
Geklagt hatte ein schwerbehinderter Mann, der seit 1982 für einen Gießereibetrieb als „Kernmacher-Anlernling“ gearbeitet hatte. Seine Aufgaben waren Hilfstätigkeiten in der „Kernmacherei“.
Der Mann ist von Geburt an – als Folge von Sauerstoffmangel – in seinen geistigen Möglichkeiten eingeschränkt. Er ist mit einem GdB von 50 (ab diesem Wert spricht man von Schwerbehinderung) anerkannt.
Zur Kündigung des Schwerbehinderten kam es, weil die Gießerei – mit insgesamt 73 Mitarbeitern – in Insolvenz geriet. In dem Insolvenzverfahren verständigten sich die Arbeitgeberin und der Betriebsrat in einem Interessenausgleich auf die betriebsbedingte Kündigung von 17 Mitarbeitern. Auf der zugehörigen Namensliste steht auch der Name des Kernmacher-Anlernlings, unter der laufenden Nummer 17. Seine Aufgaben sollen künftig die in der „Kernmacherei“ verbliebenen vier Kernmacher übernehmen.
Beschäftigungsanspruch für Schwerbehinderte
Dagegen klagte der gekündigte Schwerbehinderte und berief sich auf den im Sozialgesetzbuch IX geregelten Beschäftigungsanspruch (früher: § 81 Abs. 4 SGB IX, inzwischen findet sich die Regelung in § 164 Abs. 4 SGB IX).
Die Regelung besagt, dass Schwerbehinderte in einem bestehenden Arbeitsverhältnis von ihrem Arbeitgeber – bis zur Grenze der Zumutbarkeit – verlangen können, dass das Arbeitsverhältnis entsprechend der gesundheitlichen Situation des Schwerbehinderten durchgeführt wird.
Diese Regelung wurde 2001 eingeführt. Sie setzt eine EU-Richtlinie „für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ (RL 2000/78/EG) um.
Wie jetzt das BAG entschied, gibt dies schwerbehinderten Menschen jedoch keine Beschäftigungsgarantie.
Unternehmerische Entscheidungsfreiheit
Nach der aktuellen Entscheidung können Arbeitgeber „eine unternehmerische Entscheidung treffen, welche den bisherigen Arbeitsplatz des Schwerbehinderten durch eine Organisationsänderung entfallen lässt“. Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, so der Leitgedanke der BAG-Entscheidung, darf nicht unbegrenzt eingeschränkt werden.
Entscheiden sich also Arbeitgeber für eine Reorganisation ihres Betriebes mit der Folge, dass es keine Beschäftigung mehr für einen schwerbehinderten Arbeitnehmer gibt, tangiert dies nicht den Beschäftigungsanspruch. Arbeitgeber sind, so das BAG, nicht verpflichtet, einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den sie nach ihrem Organisationskonzept nicht mehr benötigen.
Zum Tragen kommt der Beschäftigungsanspruch laut BAG damit erst bei der Frage, ob es etwaige andere Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf einem anderen Arbeitsplatz gibt – was im entschiedenen Fall zu verneinen war. Andere als die Kernmacher-Hilfstätigkeiten kamen für den Schwerbehinderten nicht in Frage (Az. 6 AZR 329/18).