Der Fall der beiden Berliner „Ku’Damm-Raser“ beschäftigt mittlerweile seit knapp drei Jahren die Justiz. Die beiden Männer rasten mit hoher Geschwindigkeit in der Nacht zum 1. Februar 2016 über den Berliner Kurfürstendamm. Dabei ignorierten sie mehrere rote Ampeln. An einer Kreuzung kam es dann zu einer Kollision mit einem unbeteiligten Fahrzeug – der 69-jährige Fahrer hatte keine Chance auszuweichen und verstarb noch in seinem Auto an den Folgen des Unfalls. In erster Instanz wurden die beiden Fahrer vor dem Landgericht (LG) Berlin wegen gemeinschaftlichen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Es war das erste Mordurteil in einem Raser-Fall. Bis dahin wurden die Täter meist nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt – ein Unterschied, der sich ganz besonders im Strafmaß bemerkbar macht. Während Mord nach § 211 Strafgesetzbuch (StGB) stets mit lebenslanger Haftstrafe belangt wird, können Gerichte fahrlässige Tötung nach § 222 StGB mit einer Geldstrafe ahnden.
Das Urteil des Landgerichts wurde jedoch wegen Mängeln in der Urteilsbegründung vom Bundesgerichtshof (BGH) kassiert. Die Richter kritisierten vor allem, dass nicht ausreichend auf den erforderlichen Tötungsvorsatz eingegangen wurde. Im ersten Urteil des LG wurde lediglich darauf abgestellt, dass spätestens in der letzten Sekunde vor dem Zusammenprall ein Tötungsvorsatz vorlag. In diesem Moment hätten die Raser jedoch keinerlei Chance mehr gehabt, den Zusammenprall mit dem Opfer zu verhindern. Dagegen wandten die Anwälte der beiden Raser ein, dass sich der Vorsatz an einem Rennen teilzunehmen von dem Vorsatz jemanden zu töten erheblich unterscheide. Insbesondere, da die Fahrer davon ausgingen, alles unter Kontrolle zu haben. Die Raser gingen deshalb in Revision.
Wegen der geschilderten Mängel bezüglich der Feststellung des Tötungsvorsatzes hat der 4. Strafsenat des BGH das Urteil des Landgerichts insgesamt aufgehoben und eine neue Beweisaufnahme angeordnet. Die Verurteilung wegen Mordes konnte keinen Bestand haben, weil sie auf einer in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaften Grundlage ergangen ist (Urt. v. 01.03.2018, Az. 4 StR 399/17).
Urteilsbegründung soll Antworten auf Grundsatzfragen geben
Anschließend musste sich also abermals das LG Berlin mit dem Fall beschäftigen (Urteil vom 26.03.2019, Az. 532 Ks 9/18). Dabei gingen die Richter wie bereits im ersten Urteil von einem bedingten Tötungsvorsatz aus. Das bedeutet, dass die Täter den Tod eines anderen Menschen zumindest billigend in Kauf genommen haben. Deshalb verurteilten sie die beiden Raser erneut wegen Mordes.
Mit großem Interesse wurde nun die Urteilsbegründung des Gerichts erwartet, denn Beobachter und die juristische Fachwelt erhofften sich davon insbesondere Antworten auf drei Fragen:
- Warum handelten die Täter vorsätzlich und nicht bloß fahrlässig?
- Wie konnten die Täter den für den gemeinschaftlichen Mord erforderlichen gemeinsamen Tatentschluss fassen, wenn sie doch in zwei verschiedenen Autos unterwegs waren?
- Woraus schließt das Gericht, dass die Fahrer beim Einfahren in die Kreuzung trotz roter Ampel das Geschehen noch unter Kontrolle hatten? Denn nur wenn der Unfall vermeidbar gewesen wäre, ist den Rasern der Tod des Opfers zuzurechnen.
Bezüglich des Rasers, der letztlich mit dem Opfer zusammen stieß, schließt das LG bereits aus der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung darauf, dass er darum wusste, durch sein Verhalten Dritte in Lebensgefahr zu bringen. Er wusste, dass er beim Einfahren in die Kreuzung trotz roter Ampel so schnell sein würde, dass er nicht mehr ausreichend auf andere Verkehrsteilnehmer reagieren könnte. Vor allem kannte er die Kreuzung und wusste deshalb, dass dort auch nachts mit Verkehr zu rechnen sei. Dennoch raste er mit knapp 160 km/h über den Kurfürstendamm, denn er wollte das Rennen unbedingt gewinnen, um seinem Kontrahenten seine vermeintliche Überlegenheit zu demonstrieren, so das Gericht. Dabei war ihm das Leben anderer Verkehrsteilnehmer völlig gleichgültig. Mithin handelte er vorsätzlich.
Dem anderen Fahrer konnte nachgewiesen werden, dass er etwa 90 Meter vor der Kreuzung kurz den Fuß vom Gas nahm, dann aber das Gaspedal wieder bis zum Anschlag durchdrückte und dass obwohl er bereits die rote Ampel sehen konnte und sich auf dem Weg dorthin noch eine Baustelle befand. Bis zu dem Moment, in dem er sich entschloss, wieder Gas zu geben, hätte er sein Fahrzeug noch rechtzeitig zum Stehen bringen können. Indem er jedoch die Fahrt fortsetzte, nahm er den Tod anderer zumindest billigend in Kauf.
Eigengefährdung schließt Vorsatz nicht aus
Den Einwand, dass die erhebliche Eigengefährdung der Täter gegen einen Tötungsvorsatz spreche, begegneten die Richter damit, dass die beiden Täter tatsächlich nicht befürchteten zu Tode kommen zu können. Dies sei auch durchaus nachvollziehbar, denn zur Tatzeit sei nicht mit querenden LKW zu rechnen gewesen und Kollisionen mit anderen PKW hätten bei der hohen Geschwindigkeit der Raser kaum eine Lebensgefahr für sie dargestellt. Insofern spricht eine latente Eigengefährdung nicht gegen einen Vorsatz.
Ebenso knifflig wie das Vorsatz-Problem war die Frage, wie die Raser während des laufenden Rennens überhaupt einen gemeinsamen Tatplan fassen konnten. Ein solcher Plan ist bei der mittäterschaftlichen Tatbegehung zwingend erforderlich, damit die Tatbeiträge wechselseitig zugerechnet werden können. Im Berliner Raser-Fall ist dies vor allem für den Fahrer entscheidend, der nicht mit dem Opfer kollidiert ist. Die Richter stellten fest, dass die beiden Fahrer durch mehrmaliges Beschleunigen und Aufeinander-Warten zunächst lediglich konkludent, also stillschweigend, ein „Stechen“ vereinbarten. In der letzten Kurve vor dem Unfallort fasste der Todesfahrer dann den Entschluss, das Rennen um jeden Preis zu gewinnen. Der andere Fahrer erkannte dies, nahm jedoch wie beschrieben etwa 90 Meter vor der Kreuzung den Fuß vom Gas. Als er dann aber doch wieder beschleunigte, trat er dem Rennen unter Billigung all seiner Risiken bei, sodass nach Ansicht des LG ein gemeinsamer Tatplan vorlag. Hätte er dagegen 90 Meter vor der Kreuzung angehalten, hätte der andere Fahrer sich wohl als „Sieger“ gesehen und seine halsbrecherische Fahrt nicht weiter fortgesetzt. Auch der nicht am Unfall beteiligte Fahrer hatte somit das Tatgeschehen in den Händen.
LG sieht weitere Mordmerkmale verwirklicht
In seinem zweiten Raser-Urteil wich das Landgericht also in einigen Punkten von der ersten Entscheidung ab und reagierte so auf die Rüge des BGH. Auch bezüglich der Mordmerkmale ging das Gericht nun weiter als noch 2017. Während damals nur der Einsatz eines gemeingefährlichen Mittels bejaht wurde, stellten die Richter nun fest, dass die Tötung auch heimtückisch erfolgte. Heimtücke liegt immer dann vor, wenn ein Täter die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt. Die Richter argumentierten, dass ein von rechts in die Kreuzung bei Grün einfahrender Autofahrer nicht damit rechnen würde, dass ein mehr als doppelt so schnell wie erlaubt fahrender anderer Verkehrsteilnehmer von der Seite in ihn hinein fahren würde. Das Opfer sei somit völlig ahnungslos gewesen und konnte keinerlei Schutzmaßnahmen ergreifen. Dies sei auch den beiden Rasern klar gewesen.
Außerdem sieht das LG auch das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“ verwirklicht. Die Tötung des Geschädigten stehe in einem krassen Missverhältnis zu ihrem Anlass, nämlich der Durchführung eines illegalen Straßenrennens und sei deshalb besonders verachtenswert.
Juristische Aufarbeitung noch längst nicht abgeschlossen
Die Anwälte der Fahrer haben bereits angekündigt gegen das Urteil erneut vor dem BGH Revision einzulegen. Sie sind nach wie vor der Ansicht, dass ihre Mandanten nicht vorsätzlich gehandelt hätten. Es könne auch nicht von niedrigen Beweggründen ausgegangen werden, wenn der Tod eines anderen Menschen überhaupt nicht gewollt sei.
Auch die Fachwelt ist von dem neuen Raser-Urteil noch nicht vollkommen überzeugt. Besonders an der Begründung für die Annahme einer Mittäterschaft bestehen Zweifel. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie der BGH nun über den Fall entscheidet. Die juristische Aufarbeitung des Falles ist also noch längst nicht vorbei.