Gefahrenabwehr

Handlungsbedarf bei der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung

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Am 13.01.2020 hat auf Antrag der FDP-Bundestagsfraktion eine Anhörung im Innenausschuss, mit dem Titel: „Vorsorgestrukturen ausbauen – Ehrenamt im Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken“ (Bundestagsdrucksache: 19/ 8541) stattgefunden. Neben den Problemen mit der Findung von Nachwuchs für die ehrenamtlichen Organisationen, wie Freiwillige Feuerwehr, Deutsches Rotes Kreuz und THW, ging es in dieser Anhörung auch um Schwachstellen in der Ausstattung zur Abwehr von ABC-Gefahren und der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung.

Hier stellte sich im Zusammenhang mit der Organisation der Katastrophenhilfe die Frage: Was kann und muss der Staat leisten? Und in welchem Umfang muss von der Bevölkerung erwartet werden können, im Rahmen der Selbsthilfefähigkeit Vorsorge zu betreiben? Vorsorge beispielsweise in dem Sinne, dass Bürgerinnen und Bürger einen gewissen Vorrat an Lebensmitteln, Getränken, Medikamenten, aber auch einfache Hilfsmittel haben. Ebenso sollten Gaskocher, Kerzen oder Taschenlampen vorhanden sein, falls es zum Beispiel zu einem längeren Stromausfall kommt.

Die empfohlene Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung umfasst nach den Empfehlungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe jedoch noch wesentlich mehr. Dass es um die Selbsthilfefähigkeit in Deutschland nicht gut bestellt ist, darüber waren sich alle Sachverständigen bei der Anhörung im Deutschen Bundestag einig.

So hatte der Berliner Landesbranddirektor Karsten Homrighausen von einer Vollkasko-Mentalität gesprochen, die in der Bevölkerung vorherrsche. Weite Teile der Bevölkerung würden ausschließlich den Staat in der Pflicht sehen. Auch der ehemalige Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Hartmut Ziebs sieht deutliche Mängel, wie zum Beispiel bei der Bevorratung von Lebensmitteln. Der Sachverständige vom Deutschen Roten Kreuz forderte sogar, dass der Bevölkerungsschutz in Deutschland neu gedacht werden müsse. Darüber, wie das konkret aussehen könnte, gab es nur wenige Vorschläge. Ein Vorschlag war der Ausbau der Kompetenzen zu Gunsten des Bundes. Auch im Hinblick auf die Mängel in der Ausstattung der Hilfsorganisationen und deren Beseitigung. Doch ob die Bundesländer hier Kompetenzen abtreten, kann bezweifelt werden.

Wo ist die Lösung?

Für diese Anhörung kann man der FDP-Bundestagsfraktion dankbar sein. Hat sie doch ein Thema auf die Tagesordnung der Bundespolitik gesetzt, das sonst nur dann an Bedeutung gewinnt, wenn ein Hochwasser oder eine andere Katastrophenlage Deutschland aktuell betrifft. Man denke nur zuletzt an die großen Waldbrände im Osten von Deutschland im Sommer 2019. Ausführlich wurde über die Notwendigkeit der Ausstattung mit Löschhubschraubern, Flugzeugen und Waldbrandvorsorge für Deutschland gesprochen. Hat sich etwas getan? Leider, nein. Diese Diskussion wird erst dann wieder in der Fachwelt, in der Politik und der Öffentlichkeit wahrnehmbar sein, wenn im Sommer die Wälder in Flammen stehen. Aus diesem Grund kann die kritische Frage gestellt werden: Wie lange möchte man die Probleme noch beschreiben?

Vieles ist schon bekannt, seien es Mängel in der Ausstattung und in den Strukturen, oder aber auch die Problembeschreibung der fehlenden Selbsthilfefähigkeit. Bereits in den Gefahrenberichten der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, wurde die Problematik der fehlenden Selbsthilfefähigkeit deutlich beschrieben. Diese Gefahrenberichte sind zum Teil schon 15 Jahre alt. So hat die Schutzkommission im Dritten Gefahrenbericht 2006 zahlreiche Handlungsfelder beschrieben. Neben der unbedingten Stärkung der Aufklärung und Schaffung von Warnmöglichkeiten und der Selbsthilfefähigkeit, war dies auch die Stärkung des erhöhten baulichen Basisschutzes, zu der die Bevölkerung angehalten werden sollte – alleine schon aufgrund des Mangels an öffentlichen Schutzräumen.

Unnötige Strukturen zerschlagen

Würde heute im Jahr 2020 ein Fazit zu den Gefahrenberichten der Schutzkommission gezogen werden, so wurde keines der Handlungsfelder zum Thema der Selbsthilfefähigkeit wirklich angepackt. Was letztlich auch nicht verwundert, denn: Wer soll es vor Ort machen? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe kann das aufgrund seiner Struktur nicht leisten. Der Vorläufer des heutigen Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, der Bundesverband für den Selbstschutz (kurz BVS), wurde 1997 aufgelöst, da für ihn keine Notwendigkeit mehr gesehen wurde.

Ähnlich verhielt es sich damals auch mit dem funktionierenden und flächendeckenden Warn-Netz mittels Sirenen. Sie wurden nicht mehr für notwendig erachtet – heute bauen die Kommunen sie für viel Geld teilweise wieder auf. Mit der Auflösung des BVS wurden auch die zahlreichen Dienststellen in der Bundesrepublik mit ihren haupt- und ehrenamtlichen Strukturen abgeschafft, die sich unter anderem mit der Aufklärung der Bevölkerung vor Ort beschäftigten. Diese Struktur bekommt man nicht wieder, ohne viel Geld in die Hand nehmen zu müssen. Daher ist ein Neuaufbau auch unwahrscheinlich. Will man tatsächlich die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung stärken, so geht das nur direkt über die Gemeinde- und Stadtverwaltungen oder über die Feuerwehren. Beides findet man in nahezu jeder Gemeinde. Dementsprechend müsste auch von dort aus, die Aufklärung der Bevölkerung zum Selbstschutz erfolgen. Damit Kommunen das vor Ort machen, sind finanzielle Anreize notwendig. Letztlich ist die Politik auf Bundes-, vor allem aber auch auf Landesebene gefragt, wie der Mangel bei der Selbsthilfefähigkeit behoben werden soll. Was nicht mehr nötig ist, sind weitere Beschreibungen der Problematik oder Schaufenster-Debatten, wenn es wieder zu einer Schadenslage gekommen ist. Beides hat man nämlich schon lange genug gemacht.

Quellen:
  • Parlamentsfernsehen Deutscher Bundestag, Aufzeichnung der Anhörung Januar 2020
  • Zeitung Das Parlament, Deutscher Bundestag zur Anhörung, Januar 2020
  • Gefahrenberichte Schutzkommission, Bundesinnenministerium/ Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe