Am 25. März 2021 hat der Deutsche Bundestag mehrheitlich das Gesetzespaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt nach Vorlage von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) gegen Kinder beschlossen. Neben einer Verschärfung des Strafrechts soll zudem die Strafverfolgung effektiver werden, um Kinder besser zu schützen und das Entdeckungsrisiko der Täter zu erhöhen.
Verbrechen mit hohem Dunkelfeld
2019 wurden 4.055 Opfer (2018: 4.129) vollendeter Misshandlungen von Kindern registriert. Bei der sexuellen Gewalt gegen Kinder bewegen sich die Opferzahlen schon seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau: 2019 stieg die Zahl der Kinder, die als Opfer von sexueller Gewalt (vollendete und versuchte Taten) registriert wurden, um 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 15.936 (2018: 14.606). Das bedeutet, dass 2019 durchschnittlich 43 Kinder jeden Tag zum Opfer von sexueller Gewalt wurden. Auch die Zahl der Opfer sexuellen Missbrauchs ist um ca. 9 % auf 15.701 gestiegen.
Besonders auffällig sind die Entwicklungen im Bereich der Kinderpornografie: Im Jahr 2019 wurden 12.262 Fälle (2018: 7.449) von Herstellung, Besitz und Verbreitung kinderpornografischer Schriften in der PKS erfasst. Das entspricht einem Zuwachs von fast 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Anstieg liegt vor allem in der internationalen Zusammenarbeit begründet, wie mit dem US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC), die dem BKA im Berichtsjahr rund 62.000 Hinweise gemeldet haben. Zugleich stieg in der PKS 2019 der Anteil jugendlicher Tatverdächtiger: 41 Prozent der registrierten Tatverdächtigen waren unter 21 Jahre alt, 23 Prozent zwischen 14-18 Jahre und 12 Prozent unter 14 Jahre. Diese Entwicklung wird vor allem durch die Nutzung von Social Media erklärt, in denen auch solche Inhalte geteilt würden, ohne dass den Personen direkt die Strafbarkeit dieser Inhalte bewusst ist. Die Herstellung von Kinderpornografie ist ein weltweites Problem, bei dem Täter/Täterinnen und Opfer aus dem In- und Ausland stammen.
Doch all diese Zahlen stellen nur das Hellfeld dar. Gewalt, und insbesondere sexuelle Gewalt gegen Kinder, hat ein hohes Dunkelfeld. Die WHO schätzt 9 Prozent der Kinder und Jugendlichen als gefährdet ein. Gründe dafür sind: Geringere Möglichkeiten Hilfe zu erfahren (je jünger, desto hilfloser), Abhängigkeit (insbesondere, wenn die Täter aus der Familie stammen), Angst vor noch schlimmerem Übel und vieles mehr. Dies trifft umso mehr zu, da die Täter meist aus dem Umfeld ihrer Opfer kommen: 25 Prozent der erfassten Übergriffe passieren in der eigenen Familie und in etwa 50 Prozent stammen die Täter aus dem sozialen Umfeld, bzw. dem erweiterten Familien- und Bekanntenkreis, wie der Nachbarschaft oder Vereinen. Fremdtäter bzw. Fremdtäterinnen stellen eher eine Ausnahme dar.
Die beschlossenen Änderungen
Die am 25. März 2021 nach zweiter und dritter Lesung beschlossenen Änderungen betreffen nicht nur das StGB und die Ermittlungspraxis, auch soll die Sensibilität im Umgang mit Kindern in der Justiz gesteigert werden. Das Gesetzespaket sieht folgende Änderungen vor (die Kernpunkte wurden vom BMJV mit Stand vom 25. März 2021 entnommen):
1. Verschärfungen und Erweiterungen des Strafgesetzbuchs (StGB):
- Der Grundtatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern wird künftig ein Verbrechen sein mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe (bisher als Vergehen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht).
- Verbreitung, Besitz und Besitzverschaffung von Kinderpornografie werden zum Verbrechen hochgestuft. Für die Verbreitung von Kinderpornografie sieht das Gesetz Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor (bisher drei Monate bis fünf Jahre). Besitz und Besitzverschaffung können künftig mit Freiheitsstrafen von einem Jahr bis zu fünf Jahren geahndet werden (bisher bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe). Das gewerbs- und bandenmäßige Verbreiten kann künftig mit Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren bestraft werden (bisher sechs Monate bis zehn Jahre).
- Es werden einige Empfehlungen der Reformkommission Sexualstrafrecht umgesetzt. So wird unter anderem der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen unter Vereinheitlichung der Altersschutzgrenze auf 18 Jahre neu gefasst und um Handlungen mit oder vor Dritten erweitert.
- Strafbarkeit von kindlichen Sexpuppen: Das Gesetz sieht die Aufnahme einer ausdrücklichen Strafbarkeit des Herstellens, Inverkehrbringens, Erwerbs und Besitzes von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild vor (künftig § 184l des Strafgesetzbuchs). Der Strafrahmen für die Herstellung und Verbreitung liegt bei bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, für Erwerb und Besitz bei bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.
- Verjährung: Bei dem Straftatbestand der Herstellung kinderpornografischer Inhalte, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, wird die Verjährungsfrist künftig erst mit Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers zu laufen beginnen.
2. Prävention und Qualifizierung der Justiz:
- Das Gesetz sieht die Einführung besonderer Qualifikationsanforderungen für Familienrichterinnen und Familienrichter sowie die Verankerung von konkreten persönlichen und fachlichen Eignungsvoraussetzungen für Verfahrensbeistände vor. Vergleichbares wird für Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte geregelt, die in Jugendschutzsachen in der Lage sein müssen, mit den kindlichen Opferzeugen verständig und einfühlsam umzugehen.
- Mit der Änderung der Kindesanhörung wird sichergestellt, dass das Familiengericht in Kindschaftsverfahren das Kind regelmäßig – unabhängig von seinem Alter – anhört und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind verschafft.
- Um Kinder und Jugendliche umfassend zu schützen, werden die Fristen für die Aufnahme von relevanten Verurteilungen in erweiterte Führungszeugnisse ganz erheblich verlängert: bei besonders kinderschutzrelevanten Verurteilungen auf bis zu 20 Jahre zuzüglich der Dauer der Freiheitsstrafe. Wird ein Täter wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs oder sexuellen Kindesmissbrauchs mit Todesfolge zu mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe oder wiederholt wegen derart schwerer Taten verurteilt, so wird diese Verurteilung künftig lebenslang in das erweiterte Führungszeugnis aufgenommen.
3. Effektive Strafverfolgung:
- In der Strafprozessordnung wird ausdrücklich ein Beschleunigungsgebot für Strafverfahren mit minderjährigen Opferzeuginnen und Opferzeugen verankert.
- Die Anordnung von Untersuchungshaft wird in den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge und der gewerbs- oder bandenmäßigen Verbreitung kinderpornographischer Inhalte künftig unter erleichterten Voraussetzungen möglich sein.
- Telekommunikationsüberwachung wird künftig auch bei Ermittlungen wegen des Sichverschaffens oder Besitzes von Kinderpornografie möglich sein.
- Onlinedurchsuchung und Verkehrsdatenerhebung: Auch in den Fällen des Grundtatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte wird künftig eine Onlinedurchsuchung und eine Verkehrsdatenerhebung von auf Vorrat gespeicherten Daten angeordnet werden können.
Die Umbenennung sexuellen Missbrauch in sexuelle Gewalt, wie im Entwurf von Bundesjustizministerin Lambrecht vorgeschlagen und auch von der Deutsche Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e.V. gefordert, wurde nicht umgesetzt, da der Gewaltbegriff juristisch nicht klar abgegrenzt ist. Der Gesetzesentwurf muss noch vom Bundesrat verabschiedet werden.
Einschätzung und Fazit
Die Empfehlungen der Expertenkommission, die seit Juli 2017 dem damaligen Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorlagen, sind in vielen Punkten umgesetzt worden. Die nun beschlossenen Gesetzesänderungen sind wichtige Schritte, um die Strafverfolgung zu verbessern. Bereits die im März 2020 in Kraft getretene Gesetzesänderung des § 176 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. Abs. 6 StGB, mit der nun auch der Versuch des Cybergroomings unter Strafe gestellt wurde, ist ein wichtiger Baustein. Durch diese Änderungen sind die Fälle strafbewehrt, in denen der Täter glaubt, auf ein Kind einzuwirken, tatsächlich aber mit einem Erwachsenen kommuniziert. All diese Maßnahmen sind nicht allein als Erleichterung für die Ermittlungsbehörden zu bewerten: Je höher das Entdeckungsrisiko für die Täter ist, desto besser wirkt ein Schutz für Kinder.
Zwar greifen die Änderungen auch die Ermittlungsarbeit gegen Verbreitung von Kinderpornografie im Internet auf. Allerdings werden die hier beschlossenen Maßnahmen alleine nicht ausreichen. Das BKA dokumentierte für das Berichtsjahr 2019, dass bei jedem zehnten der 21.000 im BKA bearbeiteten Fälle die mitgelieferte IP-Adresse – als einziger Ermittlungsansatz – nicht abfragbar war, weil die dazu gehörenden Nutzerdaten den Providern nicht mehr vorlagen. Diese setzen noch immer nicht die Regelungen zu den gesetzlichen Mindestspeicherfristen um. Die führt dazu, dass die Verbreitung von Kinderpornografie nicht so effektiv bekämpft werden kann und das Entdeckungsrisiko noch immer gering erscheint.
Neben denen in dem Gesetzesentwurf beinhaltenden Maßnahmen, Verschärfungen und Erweiterung der Ermittlungskompetenzen bedarf es jedoch einer erweiterten Fürsorge für die Opfer und einen Ausbau der Prävention. Gerade die Corona-Pandemie zeigt, dass Kinder die von (sexualisierter) Gewalt betroffen sind, Schutzräume benötigen. Hier ist es an den Ländern, entsprechende Konzepte, beispielsweise in den Schulen und KiTas zu entwickeln und auszugestalten. Das Thema zur Sensibilisierung, Prävention und frühzeitige Intervention gehört genau in diese Stätten, da hier Pädagoginnen und Pädagogen mit Kindern arbeiten. Vor allem benötigen die Kinder, die Opfer geworden sind, eine professionelle und umfassende Hilfe, um die Erlebnisse und Traumata verarbeiten zu können. Entsprechend bedarf es neben mehr Fachberatungsstellen vor allem Therapieplätze.
Verwendete Quellen:
- BKA (Hrsg.): Vorstellung der Zahlen kindlicher Gewaltopfer (Stand: 30.03.2021)
- BMFSFJ: Schutz vor sexualisierter Gewalt (Stand: 30.03.2021).
- BMJV (Hrsg.): Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht (Stand: 30.03.2021).
- BMJV (Hrsg.): Gesetzespaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder beschlossen (Stand: 30.03.2021).
- Deutschlandfunk Kultur, Podcast Kindesmissbrauch: Welche Strukturen fördern die sexualisierte Gewalt? (vom 26.03.2021).