Ob ein Wegeberechtigter das Gartentor auf dem Grundstück seines Nachbarn nach seiner Durchfahrt offenlassen kann bzw. schließen muss, ergibt laut BGH eine Abwägung der beiderseitigen Interessen von Grundstückeigentümer und Wegeberechtigtem.
Ein Grundstückseigentümer kann die öffentliche Straße nur erreichen, wenn er auf einem gepflasterten Weg über das Nachbargrundstück fährt. Sein Überfahrtsrecht ist durch eine Grunddienstbarkeit im Grundbuch gesichert. Der Eigentümer des Grundstücks, das vorne direkt an der Straße liegt, hat sein Grundstück eingezäunt und zwei jeweils einflügelige Tore von ca. drei Metern Breite an den Grundstücksgrenzen angebracht. Der Kläger verlangte, dass der Wegeberechtigte beide Tore nach dem jeweiligen Passieren zu schließen habe. Dies war dem Wegeberechtigten lästig. Er meinte, das Tor müsse offenbleiben. Auch der Kläger dürfe es nicht schließen. Mit Klage und Widerklage verfolgten beide Eigentümer ihre vermeintlichen Ansprüche.
Schonende Ausübung der Grunddienstbarkeit
Der Bundesgerichtshof1 kam zu dem Ergebnis, dass nur eine umfassende Abwägung im Einzelfall zur Lösung des aufgetretenen Problems führen könne. Zuvor hatte das Landgericht gemeint, das Tor könne offenbleiben, das Oberlandesgericht Celle hingegen war als Berufungsgericht der Auffassung, es sei zu schließen. Der Bundesgerichtshof hat jetzt die relevanten Gesichtspunkte für die Abwägung der Interessen aufgezeigt. Ausgangspunkt für die Überlegungen des Bundesgerichtshofes ist § 1020 BGB. Hiernach hat ein Wegeberechtigter die Interessen des Grundstückseigentümers bei der Ausübung seines Wegerechts zu beachten und sein Wegerecht tunlichst schonend auszuüben. Hierbei seien das Interesse des Grundstückseigentümers an der ungehinderten Nutzung seines Grundstücks und das Interesse des Wegeberechtigten einer sachgemäßen Ausübung seines Wegerechts gegeneinander abzuwägen. Das Ergebnis hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Hierbei zählten auch individuelle, in der Person des Dienstbarkeitsberechtigten oder des verpflichteten Eigentümers begründete Gegebenheiten. Es könne hierbei nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass die Interessen des Grundstückseigentümers, sein Grundstück rundum an der Grenze einzufrieden, von vornherein schwerer wiegen als das Interesse des Wegeberechtigten an einer ungehinderten Zufahrt zu seinem Grundstück. Das Recht, das eigene Grundstück einzufrieden, reiche nur soweit, wie Rechte Dritter nicht entgegenstehen (§ 903 BGB). Deshalb sei auch das Interesse des Wegeberechtigten zu berücksichtigen. Für diese Straße stelle das Erfordernis, bei jeder Passage das Tor bzw. beide Tore jeweils öffnen und schließen zu müssen, eine wesentliche Beeinträchtigung dar. Es könne nicht gesagt werden, das Interesse des Eigentümers sei stets höher zu bewerten. Ein genereller Vorrang komme diesem nicht zu.
Abwägung der beiderseitigen Interessen
Im Hinblick auf das Interesse des Grundstückseigentümers an einer geschlossenen Einfriedung zur Vermeidung des Risikos eines Einbruchs sei zu berücksichtigen, ob in der Vergangenheit bereits Einbrüche auf diesem Grundstück oder in der Umgebung zu verzeichnen waren. Sollte eine Gefahr insoweit festzustellen sein, die über die allgemeine Gefahr von Einbrüchen hinausgeht, sei zu überlegen, ob das Schließen des Tores evtl. nur zeitlich begrenzt (z.B. von 22:00 Uhr bis 7:00 Uhr) erforderlich ist. Von Bedeutung sei darüber hinaus, ob und wie auf anderem Weg als über ein offenes Tor das Grundstück betreten werden kann. Schließlich sei auch zu berücksichtigen, ob eine zurückgenommene Einfriedung, die den Zufahrtsweg zum dahinterliegenden Grundstück offenlässt, dem Sicherungsinteresse des Grundstückseigentümers ausreichend Rechnung tragen könnte. Auf der Seite des Wegeberechtigten sei zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß das Öffnen und Schließen der Tore für diesen ganz konkret eine Beeinträchtigung der Wahrnehmung seines Wegerechtes bedeutet. Bei einem motorbetriebenen Tor, das mit einem Schalter oder gar Sender geöffnet und geschlossen werden kann, sei die Beeinträchtigung hierdurch wohl eher gering. Im vorliegenden Fall hingegen hatte ein Sachverständiger bestätigt, dass zumindest eines der Tore sehr schwergängig sei und mit einem üblichen Kraftaufwand, wie dies z.B. einem Kind möglich wäre, nicht bewegt werden kann. Damit alle diese Gesichtspunkte ermittelt und dann gegeneinander abgewogen werden können, hat der Bundesgerichtshof den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Anmerkung
Ergänzend zur gesetzlichen Pflicht zur schonenden Ausübung des Wegerechts ist im Gesetz auch strikt und ohne Abwägung von Interessen die Pflicht des Wegeberechtigten festgehalten, den hierfür erforderlichen Zustand eines vorhandenen Weges auf Dauer auf seine Kosten instandzuhalten, unabhängig davon, wer den Weg angelegt hat und in wessen Eigentum er steht. Zur erstmaligen Herstellung eines gefestigten Weges ist ein Wegeberechtigter hingegen nicht grundsätzlich verpflichtet.
1. Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.04.2021 – V ZR 17/20.
Besprochen in RdW 2022, Heft 2, Rn. 29.