Rechtliches

Kollision mit Linienbus: Busfahrer trägt Beweislast bei Unfall

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Ist unklar, ob ein Busfahrer bei der Abfahrt von einer Haltestelle den Blinker betätigt hat oder nicht, trägt dieser das Verschulden für einen daraus resultierenden Unfall, urteilte das Oberlandesgericht Celle (OLG).1 Das Gericht sah das Vorrecht des Busfahrers, wonach andere Verkehrsteilnehmer die Abfahrt von Haltestellen zu ermöglichen haben, erst dann als eröffnet an, wenn dieser die rechtzeitige und deutliche Kennzeichnung der Abfahrt bewiesen hat.

Im November 2019 kam es in einer Straße im niedersächsischen Verden zu einem Verkehrsunfall, an dem ein Auto und ein Linienbus beteiligt waren. Ein Fahrer eines Linienbusses stand an einer Haltestelle am rechten Fahrbahnrand, als er wieder in den fließenden Verkehr einfahren wollte. Zur gleichen Zeit fuhr ein Mann mit seinem Auto linksseitig an dem Bus vorbei. Der Busfahrer scherte in die Straße ein und die beiden Fahrzeuge kollidierten. Ungeklärt ist, ob der Busfahrer beim Einfahren in die Straße den linken Blinker gesetzt hatte oder nicht. Es entstand ein Schaden an dem Auto in Höhe von 10.016,20 €.

LG teilt hälftig, OLG korrigiert Schadensverteilung

Der Autofahrer klagte gegen das Busunternehmen auf Ersatz der Unfallschäden. Das Landgericht Verden (LG) teilte den Schaden zwischen den beiden auf. Die von dem Autofahrer eingelegte Berufung vor dem OLG Celle hatte teilweise Erfolg. Im Gegensatz zum LG urteilte das OLG Celle, dass der Autofahrer nur zu 25% den Verkehrsunfall verursacht hatte und damit seine Schäden zu 75% von dem Busunternehmen zu ersetzen sind.

Busunternehmen trägt Beweislast

Nach Ansicht der Richter hat das Busunternehmen einen höheren Haftungsquotienten zu tragen, weil es seiner Beweiserbringungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Bei der Beweisaufnahme sei ungeklärt geblieben, ob der Busfahrer seinen linken Blinker beim Ausfahren in die Straße betätigt habe. Es habe sich damit die Frage gestellt, ob das Busunternehmen oder der Autofahrer für diesen Umstand beweisbelastet ist. Das Zivilprozessverfahren ist im Wesentlichen von dem Grundsatz der Beweisführungslast geprägt. In der Regel wird danach der klagenden Partei aufgetragen, den Beweis für einen behaupteten Umstand zu erbringen. Allerdings sieht das Gesetz vielfältige Situationen vor, in denen die Beweislast der anderen Partei auferlegt wird (sog. Beweislastumkehr). Beim Vorliegen eines sog. Anscheinsbeweises wird ein bestimmter Ablauf an Ereignissen vermutet, die aufgrund bestimmter Erfahrungssätze als wahrscheinlich gelten. Spreche der erste Anschein für einen bestimmten Geschehensablauf, obliegt es sodann der anderen Partei, das Gegenteil zu beweisen. In der vorliegenden Konstellation stehen sich zwei Gebote der Straßenverkehrsordnung (StVO) entgegen. Einerseits sieht § 10 S. 1 StVO vor, dass derjenige, der vom Fahrbahnrand in den fließenden Verkehr einfährt, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließt. Dieser muss nach § 10 S. 2 StVO seine Absicht einzufahren rechtzeitig und deutlich mit dem Blinker ankündigen. Aus § 20 V StVO ergebe sich dahingegen ein Vorrecht der Busfahrer, die an bestimmte Fahrzeiten gebunden sind. Danach haben andere Verkehrsteilnehmer den Linienbussen die Abfahrt von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen.

Verschuldensvermutung beim Busfahrer

Im Gegensatz zum Kammergericht Berlin entschied das OLG nunmehr, dass bei einem ungeklärten Ablauf das Verschulden des Einfahrenden, also des Busfahrers, vermutet wird. Insbesondere spreche der konkrete Geschehensablauf als Anscheinsbeweis dafür, dass der Busfahrer die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Erst wenn der Busfahrer bewiesen habe, dass er das Einfahren rechtzeitig und deutlich mit dem Blinker angekündigt habe, könne er sich auf sein Vorrecht gemäß § 20 V StVO berufen.

Erhöhte Betriebsgefahr beim Autofahrer

Auf Seiten des Autofahrers hat das Gericht kein Verschulden an dem Verkehrsunfall feststellen können. Die übrigen 25% der Haftungsverteilung seien aufgrund der erhöhten Betriebsgefahr gerechtfertigt. Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs begründe grundsätzlich eine Haftung des Fahrzeughalters/ -führers, auch wenn ein Verschulden nicht nachgewiesen sei. Dass diese Betriebsgefahr erhöht sei, hänge mit der abstrakten Gefährlichkeit zusammen, die ein Vorbeifahren an Linienbussen mit sich bringe.

1 OLG Celle, Urteil vom 10.11.2021 – 14 U 96/21.

 

Entnommen aus RdW Kurzreport 8/2022, Rn. 133.